Ein Totengräber der Demokratie
Lsap-minister Etienne Schneider tritt zurück
Die Pressekonferenz des ehemaligen Wirtschaftsministers vom 23. Dezember 2019 war aufschlussreich. Etienne Schneider verlässt die politische Bühne, um sein Leben wieder zu erlangen, wie er sich ausdrückte. Im Grunde unverständlich, dass ein Politiker im besten Alter von 48 Jahren und nach acht Jahren Präsenz auf nationaler Ebene das Handtuch wirft, um das Leben wieder zu erlangen, das er sich eigentlich in dieser Form aufgebaut hatte. Der wahre Grund des Rücktritts ist also nicht diese plötzliche Gier nach einem neuen Leben, sondern die Erkenntnis, dass Etienne Schneider sein Ziel nicht erreichen kann.
Der Machtmensch Etienne Schneider wollte Staatsminister werden und hatte spätestens am 14. Oktober 2018 eingesehen, dass dieses Ziel, nachdem er als Spitzenkandidat seine Partei zum zweiten Mal nach 2013 in eine Niederlage geführt hat, nicht erreichbar ist. Streng genommen wäre sein Traum vom Posten des Staatsministers unter normalen demokratischen Gepflogenheiten überhaupt nicht realisierbar gewesen. Bis 2013 zählte nämlich noch der Wählerwille, seit 2013 hingegen nur mehr der Wille der Gambia-parteien. Etienne Schneider ging als Spitzenkandidat seiner Partei in die vorgezogenen Parlamentswahlen von 2013, in folgender Konstellation seit den Wahlen von 2009: CSV mit 26 Sitzen, LSAP mit 13 Sitzen, DP mit neun Sitzen, Grüne mit sieben Sitzen, ADR mit vier Sitzen und Déi Lénk mit einen Sitz. Sein Wille, eine Regierung anzuführen war also virtuell aussichtslos. So hatte er bereits im Vorfeld, vor den Wahlen vom 20. Oktober 2013, und zu dem Zeitpunkt unabhängig des zu erwartenden Wahlresultats, seine Koalition bestehend aus LSAP, DP und Grüne zusammengebastelt. Die alleinige Problematik stellte sich beim Zugewinn ausreichender Sitze, um im Parlament eine Mehrheit zu erlangen. Es fehlten demzufolge zwei Sitze. Nichtsdestotrotz war allerdings klar, sollte die erstrebte Mehrheit tatsächlich erlangt werden, dass die LSAP stärkste Partei dieses Gebildes wäre und somit Etienne Schneider Premierminister werden würde. Diesbezüglich ging die Wahl schief. Zwar wurde eine Mehrheit erreicht, jedoch nur durch den Zugewinn der DP. Sowohl LSAP als auch Grüne verloren gegenüber den Wahlen von 2009. Etienne Schneider wurde im Wahlbezirk Zentrum gar mit dem Verlust eines Sitzes bestraft, und die LSAP konnte ihre 13 Mandate von 2009 nur durch einen Sitzgewinn im Wahlbezirk Norden verteidigen. Dieser wiederum konnte trotz Stimmenverlusten nur aufgrund unseres Wahlsystems erreicht werden.
Eine Rechnung von Etienne Schneider ging also auf: Er hatte die angestrebte Parlamentsmehrheit erlangt. Die andere blieb jedoch offen, denn Premierminister konnte er mit diesen Resultaten nicht werden. Ergänzend sei zu erwähnen, dass die Parlamentsmehrheit auch nur aufgrund eines eklatanten Missachtens des Wählerwillens zustande kam. Nicht der Wähler hat die Mehrheit bestimmt, sondern die Gambia-parteien mit ihren Rechenschiebern.
Am Wahlabend machten 13 + 13 + 6 eine Gesamtanzahl von 32 Sitzen, und das genügte zur Regierungsbildung. Die oberste Priorität der Parteien nach der Wahl sollte eigentlich darin bestehen herauszulesen, was der Wähler überhaupt will. In diesem Fall jedoch bestimmte nicht der Wähler, sondern drei Parteien über die Zukunft des Landes, dies auf Initiative von Etienne Schneider. Allerdings benötigte er Verbündete, und er fand sie wie gesagt bei DP und Grünen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Xavier Bettel noch vor den Wahlen voller Überzeugung verkündet hatte, er würde nie in eine Regierung eintreten: „Sou eppes doen ech mir net un“waren seine Worte gegenüber „RTL“. Und auch die Grünen schieben alle moralischen Bedenken beiseite und greifen nach der ihnen angebotenen Macht, trotz Verlust eines Sitzes.
Etienne Schneider hingegen hatte seine hochgesteckten Ziele noch nicht erreicht. Am 14. Oktober 2018 trat er erneut als Kandidat im Bezirk Zentrum und als Spitzenkandidat seiner Partei an. Da er 2013 noch keine Einsicht zeigte, wurde der Wähler ihm und seiner Partei gegenüber dieses Mal deutlicher. Die LSAP verlor drei Sitze landesweit und fuhr das schlechteste Resultat seit jeher ein. Etienne Schneider wurde im Bezirk Zentrum zusammen mit seiner Wahlliste regelrecht abgestraft. Man hätte glauben können, er habe nunmehr die Botschaft verstanden. Ein Wählermandat zu einer Regierungsbeteiligung hatte die LSAP klar verfehlt. Doch schon am Wahlabend, als sich der Fernsehzuschauer auf einen einsichtigen und bescheiden auftretenden Spitzenkandidaten vorbereitet hatte, erklärte Etienne Schneider ohne Hemmungen, das Resultat wäre als „Uechtungserfolleg“seiner Partei zu deuten, und da die austretende Mehrheit (dank des Erfolgs der Grünen) mandatsmäßig bestätigt wurde, könne man die Regierungskoalition weiterführen.
Einmal mehr wurde der ausschlaggebende Wählerwille missachtet. Anders als 2013 brauchten die drei Parteien dieses Mal keinen Rechenschieber mehr zum Addieren der Mandate, die Finger beider Hände genügten, zumindest bei der LSAP. Die Spitzenkandidaten der drei Koalitionsparteien trafen sich daraufhin noch in der Wahlnacht im Staatsministerium und beschlossen die Fortführung der Regierung.
Dass auch die DP Stimmen, und einen Sitz, einbüßte, interessierte dabei niemanden. Zwar kam die Regierung zustande, doch das Hauptziel von Etienne Schneider, Regierungspräsident zu werden, konnte nicht verwirklicht werden.
Der Wähler hatte endgültig einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Etienne Schneider sah es schlussendlich ein, und nur ein knappes Jahr später kündigte er seinen Rücktritt an. Er möchte sein Leben zurück. Die Demokratie und die Wähler atmen auf. Die LSAP, so schwach wie nie zuvor, lässt er im Stich. Sie war nur das Mittel zum nicht erreichbaren Zweck. Georges Pierret,
Luxemburg