Am Puls der Gesellschaft
Parlament debattiert über Einführung eines Index des Wohlbefindens als Indikator für die Zufriedenheit in Luxemburg
Um die Frage zu beantworten, wie es um die Situation in einem Land bestellt ist, wird in der Regel zunächst das Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrachtet. Dabei handelt es sich um den Gesamtwert sämtlicher Waren, Dienstleistungen miteinbezogen, die während eines Jahres in dem betreffenden Land hergestellt wurden. Allerdings sagt dieser Wert nur bedingt etwas über die Zufriedenheit der Bevölkerung aus. Vor diesem Hintergrund hat Serge Wilmes (CSV) eine Parlamentsdebatte über die Einführung eines Index des Wohlbefindens initiiert. Nachdem die Debatte am 21. Januar nach zwei Redebeiträgen wegen der Nachricht vom Tod des Dp-fraktionspräsidenten abgebrochen worden war, wurde sie gestern fortgesetzt.
Als Initiator unterstrich Wilmes als erster Redner, dass das Wirtschaftswachstum nicht alles und der Mensch nicht in erster Linie ein Homo oeconomicus sei. Auch wenn der BIP benötigt werde, weil das Wirtschaftsmodell auf ihm basiere, bringe „Bip-fetischismus“nichts. Er verwies darauf, dass die Bip-daten erst vier Jahre nach ihrer Veröffentlichung definitiv seien und große multinationale Firmen ein Übergewicht hätten. Zudem würden die vielen Grenzgänger das Bild verzerren. Luxemburg, das beim BIP pro Einwohner weltweit auf dem dritten Platz liegt, verliere ohne die Grenzgänger 40 Prozent dieses Werts. Daher sei das Bruttonationaleinkommen (BNE) sinnvoller, weil realitätsnäher.
Wilmes erklärte auch, wie sich der Index des Wohlbefindens zusammensetzen soll. Dieser bestehe aus elf Kategorien, wie beispielsweise Beschäftigung und Sicherheit oder Wohnungsbau. Diese Kategorien unterteilten sich dann wieder in 63 Indikatoren. Einige davon seien objektiver Natur, so wie der Schulabschluss einer Person, andere wiederum subjektiv, wie das Sicherheitsempfinden, das oft nicht mit den Polizeistatistiken übereinstimme.
Handlungen besser als Theorie
Für André Bauler (DP) muss es das Ziel jeder Politik sein, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Der Index des Wohlergehens
sei zwar ein interessantes theoretisches Werkzeug, allerdings sei es wichtiger, dass die Politik greifbare Maßnahmen umsetze. Als Beispiele führte er den Télétravail, die Digitalisierung der Behörden sowie den Elternurlaub an. Am klassischen BIP kritisierte er, dass manches als Produktion statt Reparatur verbucht werde. So wie die durch Unfälle nötige Reparatur von Autos, oder die Renovierung von Fassaden, die von Feinstaub angegriffen wurden.
Yves Cruchten (LSAP) hatte das Wohlbefinden bereits zum Kernthema
seines Berichts zum Haushaltsgesetz 2020 gemacht. Ihm ist vor allem die Akzeptanz durch die Bevölkerung wichtig. Der Index müsse „von den Menschen getragen werden“, sonst sei er „zum Scheitern verurteilt“. Die Bevölkerung solle deswegen, wie in Deutschland, in die Ausarbeitung eingebunden werden. Hier könne das Parlament eine Mittlerrolle übernehmen und sich so selbst aufwerten.
Die Fraktionspräsidentin von Déi Gréng, Josée Lorsché, setzte den Fokus auf Umweltthemen.
Dass Finnland im World Happiness Report den ersten Platz einnehme, liege unter anderem an der Naturbelassenheit des Landes. Die Csv-abgeordnete Octavie Modert gab allerdings zu bedenken, dass die Selbstmordrate in Finnland sehr hoch sei. Lorsché räumte dies ein, allerdings sei diese Tatsache vor allem auf die teils lang anhaltende Dunkelheit in dem nordeuropäischen Land zurückzuführen und der Trend in den vergangenen Jahren stark rückläufig.
Plädoyer für höhere Produktivität Gast Gibéryen (ADR) mahnte Anpassungen bei den Rückerstattungen durch die Gesundheitskasse an. „Es kann nicht sein, dass sich Menschen im reichen Luxemburg kein Gebiss leisten können.“David Wagner (Déi Lénk) kritisierte seinerseits die Nischenpolitik. Er lehnt die Ansiedlung von Konzernen wie Google ab.
„Wachstum soll kein Selbstzweck sein, sondern den Menschen zugutekommen“, so Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP). Um eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen, sei der Index des Wohlbefindens ein zentrales Element. Deshalb wolle er ihn in das Staatsbudget übernehmen und sich dafür einsetzen, ihn auch in das Semestre européen zu integrieren.
Fayot plädierte für eine Steigerung der Produktivität. Weniger Arbeitskräfte sollen benötigt und weniger Energie verbraucht werden. Zudem müsse das lineare Wirtschaftsmodell durch die Kreislaufwirtschaft ersetzt werden. Als Steuerungsmöglichkeiten nannte er Subventionen und das gezieltere Anziehen von Betrieben, gab aber auch zu: „Kurzfristig wird es schwer, das Wachstum zu steuern.“