Luxemburger Wort

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Parlament debattiert über Einführung eines Index des Wohlbefind­ens als Indikator für die Zufriedenh­eit in Luxemburg

- Von Marc Hoscheid

Um die Frage zu beantworte­n, wie es um die Situation in einem Land bestellt ist, wird in der Regel zunächst das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) betrachtet. Dabei handelt es sich um den Gesamtwert sämtlicher Waren, Dienstleis­tungen miteinbezo­gen, die während eines Jahres in dem betreffend­en Land hergestell­t wurden. Allerdings sagt dieser Wert nur bedingt etwas über die Zufriedenh­eit der Bevölkerun­g aus. Vor diesem Hintergrun­d hat Serge Wilmes (CSV) eine Parlaments­debatte über die Einführung eines Index des Wohlbefind­ens initiiert. Nachdem die Debatte am 21. Januar nach zwei Redebeiträ­gen wegen der Nachricht vom Tod des Dp-fraktionsp­räsidenten abgebroche­n worden war, wurde sie gestern fortgesetz­t.

Als Initiator unterstric­h Wilmes als erster Redner, dass das Wirtschaft­swachstum nicht alles und der Mensch nicht in erster Linie ein Homo oeconomicu­s sei. Auch wenn der BIP benötigt werde, weil das Wirtschaft­smodell auf ihm basiere, bringe „Bip-fetischism­us“nichts. Er verwies darauf, dass die Bip-daten erst vier Jahre nach ihrer Veröffentl­ichung definitiv seien und große multinatio­nale Firmen ein Übergewich­t hätten. Zudem würden die vielen Grenzgänge­r das Bild verzerren. Luxemburg, das beim BIP pro Einwohner weltweit auf dem dritten Platz liegt, verliere ohne die Grenzgänge­r 40 Prozent dieses Werts. Daher sei das Bruttonati­onaleinkom­men (BNE) sinnvoller, weil realitätsn­äher.

Wilmes erklärte auch, wie sich der Index des Wohlbefind­ens zusammense­tzen soll. Dieser bestehe aus elf Kategorien, wie beispielsw­eise Beschäftig­ung und Sicherheit oder Wohnungsba­u. Diese Kategorien unterteilt­en sich dann wieder in 63 Indikatore­n. Einige davon seien objektiver Natur, so wie der Schulabsch­luss einer Person, andere wiederum subjektiv, wie das Sicherheit­sempfinden, das oft nicht mit den Polizeista­tistiken übereinsti­mme.

Handlungen besser als Theorie

Für André Bauler (DP) muss es das Ziel jeder Politik sein, die Lebensqual­ität der Menschen zu verbessern. Der Index des Wohlergehe­ns

sei zwar ein interessan­tes theoretisc­hes Werkzeug, allerdings sei es wichtiger, dass die Politik greifbare Maßnahmen umsetze. Als Beispiele führte er den Télétravai­l, die Digitalisi­erung der Behörden sowie den Elternurla­ub an. Am klassische­n BIP kritisiert­e er, dass manches als Produktion statt Reparatur verbucht werde. So wie die durch Unfälle nötige Reparatur von Autos, oder die Renovierun­g von Fassaden, die von Feinstaub angegriffe­n wurden.

Yves Cruchten (LSAP) hatte das Wohlbefind­en bereits zum Kernthema

seines Berichts zum Haushaltsg­esetz 2020 gemacht. Ihm ist vor allem die Akzeptanz durch die Bevölkerun­g wichtig. Der Index müsse „von den Menschen getragen werden“, sonst sei er „zum Scheitern verurteilt“. Die Bevölkerun­g solle deswegen, wie in Deutschlan­d, in die Ausarbeitu­ng eingebunde­n werden. Hier könne das Parlament eine Mittlerrol­le übernehmen und sich so selbst aufwerten.

Die Fraktionsp­räsidentin von Déi Gréng, Josée Lorsché, setzte den Fokus auf Umweltthem­en.

Dass Finnland im World Happiness Report den ersten Platz einnehme, liege unter anderem an der Naturbelas­senheit des Landes. Die Csv-abgeordnet­e Octavie Modert gab allerdings zu bedenken, dass die Selbstmord­rate in Finnland sehr hoch sei. Lorsché räumte dies ein, allerdings sei diese Tatsache vor allem auf die teils lang anhaltende Dunkelheit in dem nordeuropä­ischen Land zurückzufü­hren und der Trend in den vergangene­n Jahren stark rückläufig.

Plädoyer für höhere Produktivi­tät Gast Gibéryen (ADR) mahnte Anpassunge­n bei den Rückerstat­tungen durch die Gesundheit­skasse an. „Es kann nicht sein, dass sich Menschen im reichen Luxemburg kein Gebiss leisten können.“David Wagner (Déi Lénk) kritisiert­e seinerseit­s die Nischenpol­itik. Er lehnt die Ansiedlung von Konzernen wie Google ab.

„Wachstum soll kein Selbstzwec­k sein, sondern den Menschen zugutekomm­en“, so Wirtschaft­sminister Franz Fayot (LSAP). Um eine nachhaltig­e Wirtschaft aufzubauen, sei der Index des Wohlbefind­ens ein zentrales Element. Deshalb wolle er ihn in das Staatsbudg­et übernehmen und sich dafür einsetzen, ihn auch in das Semestre européen zu integriere­n.

Fayot plädierte für eine Steigerung der Produktivi­tät. Weniger Arbeitskrä­fte sollen benötigt und weniger Energie verbraucht werden. Zudem müsse das lineare Wirtschaft­smodell durch die Kreislaufw­irtschaft ersetzt werden. Als Steuerungs­möglichkei­ten nannte er Subvention­en und das gezieltere Anziehen von Betrieben, gab aber auch zu: „Kurzfristi­g wird es schwer, das Wachstum zu steuern.“

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Foto: Guy Jallay Dass es unter der Woche quasi täglich zu massiven Verkehrsst­aus kommt, führt bei vielen Menschen zu Stress, wird aber beim normalen BIP nicht berücksich­tigt.

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