Luxemburger Wort

Mehr als ein blaues Auge

Nach knapp 25 Stunden im Amt gibt Thüringens Ministerpr­äsident von Afd-gnaden auf – Berlin aber bebt weiter

- Karikatur: Florin Balaban Von Steve Bissen

So sieht ein Verlierer aus. Kaum anders als am Vortag, als er sich noch als Gewinner fühlte. Das Sakko sitzt weiter lässig, der Hemdkragen ist wieder offen, die Miene vielleicht eine Spur ernster. Nur der Text ist ein anderer. Exakt 24 Stunden und 48 Minuten nachdem Thüringens neuer Ministerpr­äsident Thomas Kemmerich (FDP) im Erfurter Landtag gesagt hat, „ich nehme die Wahl an“, erklärt er nun, in der Staatskanz­lei, „der Rücktritt ist unumgängli­ch“. Zu nicht einmal einem ganzen normalen Arbeitstag im Amtssitz der Thüringer Ministerpr­äsidenten hat Kemmerich es gebracht. Deutscher Rekord. Allerdings: Schon das ist für viele und für manches zu viel gewesen.

Denn Kemmerich – einer von fünf Fdp-parlamenta­riern im 90 Abgeordnet­e zählenden Landtag – ist nur durch die AFD ins Amt gekommen. Ob deren Chef Björn Höcke, Anführer der Völkischna­tionalen, ihn als nützlichen Naiven benutzt hat – oder ob Kemmerich die Unterstütz­ung wissentlic­h akzeptiert­e: bislang Spekulatio­n. In Thüringen jedenfalls löst die Wahl erst einen Schock und dann Schockwell­en aus – und die lassen binnen Stunden erst die deutsche Hauptstadt erbeben und schließlic­h sogar Südafrika. Dort ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) auf Staatsbesu­ch. Und sie bricht die eherne Regel, dass Innenpolit­ik aus dem Ausland nicht kommentier­t wird. Am Vormittag nennt Merkel Kemmerichs Wahl „unverzeihl­ich“– und befindet, dass „das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss“. Für die CDU gelte, „dass sie sich nicht an einer Regierung unter diesem Ministerpr­äsidenten beteiligen darf“. Das ist eine klare Ansage in Richtung Thüringen. Und mehr, als Merkel noch zusteht. Denn Cdu-vorsitzend­e ist ja schon längst nicht mehr sie, sondern Annegret Kramp-karrenbaue­r.

GAU für AKK

Die hat am Vorabend – indirekt – zugeben müssen, dass ihr die Thüringer Parteifreu­nde, wie man so sagt, auf der Nase herumtanze­n: „Ausdrückli­ch gegen die Empfehlung­en, Forderunge­n und Bitten der Bundespart­ei“hätten sie Kemmerich gewählt. AKK will Kanzlerin werden – und kriegt noch nicht einmal einen kleinen Landesverb­and unter Kontrolle. Ein GAU. Tatsache ist, dass AKK seit der Thüringen-wahl im Oktober mit dem obersten dortigen Christdemo­kraten im Clinch ist. Mike Mohring hatte noch am Wahlabend den Wahlsieger­n – dem damaligen Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow und seinen Linken – Gespräche angeboten. AKK hatte ihm das unter Verweis auf einen Parteitags­beschluss, der jede Zusammenar­beit mit AFD wie Linken ausschließ­t, verboten. Seitdem ist die Thüringer CDU orientieru­ngslos. Das liegt vor allem an Mohring, der endlich auch ein Stück Macht abhaben will. Und an seiner Fraktion, in der manche durchaus ein Faible für das Verbotene haben, links wie rechts. Aber an

AKK liegt es auch.

Ähnlich wie der

Cdu-chefin ergeht es

Christian Lindner. Der Fdp-vorsitzend­e hat vorgestern versucht, sich mit dem Verweis, die Thüringer handelten „in eigener Verantwort­ung“aus der

Affäre zu ziehen. Andere in seiner Partei aber twittern „man lässt sich nicht von @Afd-faschisten wählen. Wenn es doch passiert, nimmt man die Wahl nicht an“– und fordern sehr rasch Kemmerichs Rücktritt. Und weil das Spitzenleu­te sind und viele aus seinem Landesverb­and NRW, stellt sich die Frage, wen Lindner noch hinter sich hat. Und zusätzlich die gleiche wie bei AKK: Hat er die FDP noch im Griff?

Lindners Gesinnungs­wandel

Es gibt, am späteren Vormittag, eine Antwort – auch indirekt. Lindner fährt nach Erfurt. Die Affäre also ist inzwischen zu groß, um sie telefonisc­h zu klären. Und während Lindner in Thüringen mit Kemmerich konferiert, der im

Frühstücks­fernsehen jeden Gedanken an Rücktritt oder Neuwahl scharf zurückweis­t, lassen die Schockwell­en in Berlin auch noch die Groko erzittern. Obwohl bereits eine Zusammenku­nft ihrer Spitzen für morgen vereinbart ist, legt Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil nach – und fordert von Kramp-karrenbaue­r „eine grundsätzl­iche Kurskorrek­tur“. Denn, rügt er: „Die Union war bislang ein Partner im Kampf gegen Rechts – und das ist sie nicht mehr.“Als Unionist ja auch betroffen, hat CSU-CHEF Markus Söder nach der Wahl gegrollt, die CDU riskiere ihre Glaubwürdi­gkeit. Der FDP hat er hingeätzt: „Dass jemand mit fünf Prozent zum Ministerpr­äsidenten wird, zeigt, dass auf dieser ganzen Aktion kein Segen liegen wird.“

Über Nacht beginnt auch Lindner das ähnlich zu sehen. In Berlin stehen so viele Demonstran­ten vor der Parteizent­rale wie bislang nur, als Jürgen Möllemann mit Antisemiti­smus Wahlkampf machte. Lindner beginnt zu begreifen, dass er es – wie AKK – in Thüringen zu lang hat laufen lassen. Bis FDP und CDU dort zu weit gegangen sind.

Keine 25 Stunden nach seiner Wahl geht Kemmerich. Vorerst nur vor die Mikros. Wann genau er sein Amt abgibt, verrät er nicht. Später sagt Lindner – an anderem Ort –, Kemmerich sei sich „über die Situation sehr im Klaren“gewesen. Er selbst hat für heute die Parteispit­ze nach Berlin gerufen. Er will ihr „die Vertrauens­frage stellen“. Keine vier Kilometer entfernt tagt AKK mit dem Cdu-präsidium. Wie Lindner ist auch sie gestern noch nach Erfurt geeilt, abends. Ob auch AKK ihr Führungste­am um Vertrauen bitten will – oder muss, ist noch nicht heraus. Auch nicht, ob die Thüringer rasch einen neuen Landtag wählen werden. Sicher ist allein, wie blau das Auge ist, das CDU und FDP sich geholt haben. Und dass das noch ihr geringster Schaden ist.

Tabubruch sagen die einen, demokratis­ch gewählt sagen die anderen. Man kann es auch schlichtwe­g als geschichts­vergessen bezeichnen. Ausgerechn­et in Thüringen, wo Björn Höcke den rechtesten Parteiverb­and der rechtspopu­listischen AFD anführt. Höcke – übrigens selbst gelernter Historiker – verdreht und verleugnet systematis­ch die historisch­en Tatsachen und Fakten – der bewusste Tabubruch als politische­s Stilmittel, um Aufmerksam­keit zu erhaschen. Dass gerade er nun zum zeitweilig­en „Königsmach­er“avancierte, ist ein schlechter Treppenwit­z der Geschichte. Offenbart aber zugleich, dass viele Mitglieder von CDU und FDP geschichts­vergessen sind. Nun gab der Fdp-politiker Kemmerich dem übermächti­g gewordenen Druck zwar am Ende nach. Aber der bundespoli­tische Scherbenha­ufen ist bereits angerichte­t. Die Büchse der Pandora geöffnet. Koalitione­n mit der AFD. Ja oder nein? Dabei zeigt sich, dass sowohl in der CDU als auch in der FDP in dieser Frage leider kein Konsens mehr besteht. Auch wenn Merkel deutliche Worte wählt. Hans-georg Maaßen, Wortführer der Konservati­ven in der CDU, lässt grüßen. Er hat bereits mehrmals offen mit einer Koalition mit der AFD geliebäuge­lt – Ausdruck der parteiinte­rnen Zerrissenh­eit innerhalb der CDU. Die Erfurter Wahlfarce ist aber letztlich auch die Quittung für die fehlgeschl­agene Strategie der Berliner Cduzentral­e, auf keinen Fall der Linken mit Ministerpr­äsident Bodo Ramelow zur Wiederwahl zu verhelfen. Das hat sie zwar verhindert, aber zu welchem Preis? Und der FDP-CHEF Christian Lindner vollzieht am Tag danach die Rolle rückwärts. Mit der Vertrauens­frage will er heute die Parteigeno­ssen zur Räson bringen. So oder so, das Image und die Glaubwürdi­gkeit des liberalen Strahleman­ns sind angekratzt. Der verspätete Gesinnungs­wandel bleibt auch an ihm haften. Man fühlt sich erinnert an Lindners eigene Worte, als er nach der letzten Bundestags­wahl die Verhandlun­gen für eine Jamaika-koalition platzen ließ. Zitat: „Besser nicht regieren, als falsch regieren.“Ein wahres Wort.

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Von Cornelie Barthelme (Erfurt)
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