Luxemburger Wort

Kettenhund der politische­n Elite

„Maidan-massaker“: Oleksandr Babikow mutiert vom Verteidige­r eines Hauptverdä­chtigen zum Ermittler

- Von Stefan Schocher (Wien)

Vom Verteidige­r zum Ermittler in ein und dem selben Kriminalfa­ll sind es in der Ukraine nur wenige Schritte – zumindest in diesem Fall. Dass ein Mann jetzt zum ersten Vizechef der staatliche­n Anklagebeh­örde wird und in dieser Position vor allem die Umstände einer Causa zu untersuche­n haben wird, in dem er zuvor den Hauptverdä­chtigen verteidigt hatte, sorgt in der Ukraine derzeit für einigermaß­en Verwunderu­ng.

Es geht um Oleksandr Babikow, frisch gebackener Vizechef der Staatliche­n Ermittlung­sbehörde, der erst unlängst die Ermittlung­en einem der größten aber vor allem emotionsge­ladensten Kriminalfä­lle des Landes übertragen wurde: Dem „Maidan-massaker“. Es ist die berufliche Vorgeschic­hte Babikows, die Zweifel an dieser Personalen­tscheidung laut werden lässt: Denn vor seiner Ernennung hatte Babikow als Strafverte­idiger des 2014 gestürzten und heute im russischen Exil lebenden ukrainisch­en Ex-präsidente­n Wiktor Janukowits­chs gearbeitet.

Ungeklärte Todesumstä­nde

Konkret ging es dabei um die Vorwürfe der Amtsanmaßu­ng, des Amtsmissbr­auchs im Zuge der Revolution von 2013/2014, vor allem aber um die Aufklärung der Umstände des Todes von rund 100 Demonstran­ten im Zuge der Proteste. Jetzt soll Babikow in diesen Fällen ermitteln. Also vor allem in jenem Kriminalfa­ll, der als „Maidan-massaker“zum öffentlich­en Trauma wurde und das Land bis heute polarisier­t.

Denn nach wie vor ist die Deutung dessen, was am Höhepunkt der Proteste im Februar 2014 passierte, Anschauung­ssache: Für Gegner der Revolution waren es die Demonstran­ten, die die Eskalation

suchten; für Anhänger der Proteste war das Gemetzel nichts anderes als der verzweifel­te Versuch einer vor dem Untergang stehenden Kleptokrat­en-regierung, an der Macht festzuhalt­en. Und in den Augen dieser Ukrainer ist Babikow nichts anderes als ein Überbleibs­el genau dieser Machtriege

– einer Gruppe, die nach Ansicht vieler derzeit wieder an Boden gewinnt.

So hatte die Kanzlei, für die Babikow als Anwalt gearbeitet hatte, etwa auch Angehörige der Polizeison­dereinheit Berkut vereidigt. Berkut werden zahllose Menschenre­chtsverlet­zungen wie Folter,

maßloser Gewalteins­atz und nicht zuletzt die tödlichen Schüsse auf dem Maidan angelastet. Es geht also um jene fünf Angeklagte­n, die zu Weihnachte­n von der Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj im Zuge eines Gefangenen­austausche­s an die Autoritäte­n in den abtrünnige­n

Gebieten im Osten des Landes ausgehändi­gt wurden – womit eine gerichtlic­he Aufarbeitu­ng und damit ein Abschluss dieses schmerzhaf­ten Kapitels praktisch verunmögli­cht wurde. Schon das hatte für scharfe Kritik vor allem an Präsident Wolodymyr Selenskyj gesorgt.

Und jetzt die Ernennung Babikows. Erst im Dezember hatte Selenskyj die Führung der Ermittlung­sbehörde ab- und eine interimist­ische Führung eingesetzt. Zugleich wurden die Ermittlung­en im Maidan-fall von der Staatsanwa­lt an das Ermittlung­sbüro übertragen. Begründet worden war das unter anderem damit, dass man den Fall damit aufwerte.

Interessen­konflikt

Vor allem die Familien der in Kiew Getöteten befürchten jetzt, dass damit quasi der Schlussstr­ich unter die ohnehin zähe juristisch­e Aufarbeitu­ng des Massakers gezogen wurde. Ein möglicher formaler Grund dafür, den Anwälte der Angehörige­n erahnen: Ein vorgeschob­ener Formfehler, ein Interessen­skonflikt eben durch die Personalie Babikow.

Dabei hatte Präsident Selenskyj wiederholt eine juristisch­e Aufarbeitu­ng der Ereignisse von 2014 versproche­n – auch nach der Aushändigu­ng der angeklagte­n Berkut-männer. Zugleich aber hatte er auch immer wieder einen Schlussstr­ich gefordert. Und so wie das gedeutet wurde eher in der Form des Vergessens als des Aufarbeite­ns.

Der Maidan-fall gilt als das wichtigste Verfahren in der Ukraine. Vor allem aber auch als ein öffentlich­er Test für die verhasste Justiz des Landes, der neben Vetternwir­tschaft, Käuflichke­it und politische Willkür vor allem vorgeworfe­n wird, als Kettenhund der politische­n Elite zu dienen.

 ?? Foto: AFP ?? Der Maidanplat­z 2014: Bei den blutigen Auseinande­rsetzungen kamen damals rund 100 Demonstran­ten ums Leben. Babikow soll nun Licht ins Dunkle bringen – eine umstritten­e Personalie.
Foto: AFP Der Maidanplat­z 2014: Bei den blutigen Auseinande­rsetzungen kamen damals rund 100 Demonstran­ten ums Leben. Babikow soll nun Licht ins Dunkle bringen – eine umstritten­e Personalie.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg