Kettenhund der politischen Elite
„Maidan-massaker“: Oleksandr Babikow mutiert vom Verteidiger eines Hauptverdächtigen zum Ermittler
Vom Verteidiger zum Ermittler in ein und dem selben Kriminalfall sind es in der Ukraine nur wenige Schritte – zumindest in diesem Fall. Dass ein Mann jetzt zum ersten Vizechef der staatlichen Anklagebehörde wird und in dieser Position vor allem die Umstände einer Causa zu untersuchen haben wird, in dem er zuvor den Hauptverdächtigen verteidigt hatte, sorgt in der Ukraine derzeit für einigermaßen Verwunderung.
Es geht um Oleksandr Babikow, frisch gebackener Vizechef der Staatlichen Ermittlungsbehörde, der erst unlängst die Ermittlungen einem der größten aber vor allem emotionsgeladensten Kriminalfälle des Landes übertragen wurde: Dem „Maidan-massaker“. Es ist die berufliche Vorgeschichte Babikows, die Zweifel an dieser Personalentscheidung laut werden lässt: Denn vor seiner Ernennung hatte Babikow als Strafverteidiger des 2014 gestürzten und heute im russischen Exil lebenden ukrainischen Ex-präsidenten Wiktor Janukowitschs gearbeitet.
Ungeklärte Todesumstände
Konkret ging es dabei um die Vorwürfe der Amtsanmaßung, des Amtsmissbrauchs im Zuge der Revolution von 2013/2014, vor allem aber um die Aufklärung der Umstände des Todes von rund 100 Demonstranten im Zuge der Proteste. Jetzt soll Babikow in diesen Fällen ermitteln. Also vor allem in jenem Kriminalfall, der als „Maidan-massaker“zum öffentlichen Trauma wurde und das Land bis heute polarisiert.
Denn nach wie vor ist die Deutung dessen, was am Höhepunkt der Proteste im Februar 2014 passierte, Anschauungssache: Für Gegner der Revolution waren es die Demonstranten, die die Eskalation
suchten; für Anhänger der Proteste war das Gemetzel nichts anderes als der verzweifelte Versuch einer vor dem Untergang stehenden Kleptokraten-regierung, an der Macht festzuhalten. Und in den Augen dieser Ukrainer ist Babikow nichts anderes als ein Überbleibsel genau dieser Machtriege
– einer Gruppe, die nach Ansicht vieler derzeit wieder an Boden gewinnt.
So hatte die Kanzlei, für die Babikow als Anwalt gearbeitet hatte, etwa auch Angehörige der Polizeisondereinheit Berkut vereidigt. Berkut werden zahllose Menschenrechtsverletzungen wie Folter,
maßloser Gewalteinsatz und nicht zuletzt die tödlichen Schüsse auf dem Maidan angelastet. Es geht also um jene fünf Angeklagten, die zu Weihnachten von der Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj im Zuge eines Gefangenenaustausches an die Autoritäten in den abtrünnigen
Gebieten im Osten des Landes ausgehändigt wurden – womit eine gerichtliche Aufarbeitung und damit ein Abschluss dieses schmerzhaften Kapitels praktisch verunmöglicht wurde. Schon das hatte für scharfe Kritik vor allem an Präsident Wolodymyr Selenskyj gesorgt.
Und jetzt die Ernennung Babikows. Erst im Dezember hatte Selenskyj die Führung der Ermittlungsbehörde ab- und eine interimistische Führung eingesetzt. Zugleich wurden die Ermittlungen im Maidan-fall von der Staatsanwalt an das Ermittlungsbüro übertragen. Begründet worden war das unter anderem damit, dass man den Fall damit aufwerte.
Interessenkonflikt
Vor allem die Familien der in Kiew Getöteten befürchten jetzt, dass damit quasi der Schlussstrich unter die ohnehin zähe juristische Aufarbeitung des Massakers gezogen wurde. Ein möglicher formaler Grund dafür, den Anwälte der Angehörigen erahnen: Ein vorgeschobener Formfehler, ein Interessenskonflikt eben durch die Personalie Babikow.
Dabei hatte Präsident Selenskyj wiederholt eine juristische Aufarbeitung der Ereignisse von 2014 versprochen – auch nach der Aushändigung der angeklagten Berkut-männer. Zugleich aber hatte er auch immer wieder einen Schlussstrich gefordert. Und so wie das gedeutet wurde eher in der Form des Vergessens als des Aufarbeitens.
Der Maidan-fall gilt als das wichtigste Verfahren in der Ukraine. Vor allem aber auch als ein öffentlicher Test für die verhasste Justiz des Landes, der neben Vetternwirtschaft, Käuflichkeit und politische Willkür vor allem vorgeworfen wird, als Kettenhund der politischen Elite zu dienen.