„Giro-teilnahme ist realistisch“
Jan Petelin erzählt von seiner neuen Mannschaft, seinen Ambitionen und von Komplikationen im vergangenen Jahr
Das Erstaunen war groß, als die Bombe im Dezember platzte: Jan Petelin wechselt vom Team Differdingen-geba zu den Italienern von Vini ZABÙ-KTM. Der 23-Jährige fährt somit 2020 mindestens für ein Jahr in der zweithöchsten Radsportliga und hat den Sprung ins Profilager geschafft. An der Seite von Giovanni Visconti möchte er sich weiter verbessern. Petelin träumt von einer Teilnahme an Mailand-sanremo und am Giro d'italia. Am liebsten würde er jedoch einmal Paris-roubaix gewinnen.
Jan Petelin, warum haben Sie sich gerade in den Radsport verliebt?
Das Radsportvirus hat die ganze Familie befallen. Mein Vater, mein Opa und mein Onkel waren aktive Radfahrer. Bei uns gab es nur den Radsport. So sind dann auch mein Bruder Charly (fährt 2020 für das Kontinentalteam Amore&vita-prodir, Anmerkung der Redaktion) und ich zum Radsport gekommen. 2005 habe ich im Alter von neun Jahren angefangen. Ich wollte immer Straßenrennen fahren.
15 Jahre später haben Sie es zum Profi geschafft. Haben Sie stets daran geglaubt?
Zumindest war dies immer das Ziel. Ich fuhr nie Rad einfach nur zum Spaß. Seriosität war stets an der Tagesordnung. Ich genoss es immer zu trainieren. Ich liebe es einfach mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Überwinden muss ich mich nie. Nun ernte ich die Früchte der getätigten Investitionen. Deshalb bin schon ein bisschen stolz, dass ich es zum Profi geschafft habe.
Sie haben enge Beziehungen zu Italien. Wie sehen diese genau aus?
Mein Vater ist Italiener und meine Mutter Luxemburgerin. Ich bin in Luxemburg geboren, wir gingen aber früh nach Italien.
Gab. Gatti und dem Luxemburger Nationalteam habe ich eine Menge zu verdanken.
Dort ging ich zur Schule und machte auch meinen Sekundarschulabschluss. Ich wohnte während 18 Jahren in Triest, mittlerweile wohnen wir seit fast genau sechs Jahren in San Pietro di Filetto in der Provinz Treviso. Dort hat der Radsport eine große Tradition.
Wie landeten Sie in Luxemburg beim Team Differdingen-geba?
Das war ganz klar mein Ziel: Ich wollte unbedingt sofort nach meinem Abschluss zu Gab. Gatti und seinem Kontinentalteam. Die doppelte Nationalität hat mir dabei geholfen. Seit 2016 starte ich sportlich als Luxemburger und nicht mehr als Italiener, dies obschon ich in Italien als Jugendlicher einige schöne Momente erlebte: Ich war Landesmeister der Débutants im Einzelzeitfahren und startete beispielsweise 2014 im Dress der italienischen Nationalmannschaft bei der Juniorenausgabe von Paris-roubaix.
War es die richtige Entscheidung?
Auf jeden Fall. Ich bekam die Möglichkeit, auch als Erwachsener im Dress der Nationalmannschaft zu starten. Das hat mir viel geholfen. Dem Luxemburger Nationalteam habe ich eine Menge zu verdanken. Ich konnte mich auf einer größeren Bühne zeigen und Erfahrungen sammeln. Das zählt auch für Gab. Gatti. Er ist wahrscheinlich die Person, die bislang den meisten Einfluss auf meine Entwicklung als Radfahrer genommen hat.
Sie fuhren während vier Jahren für das Differdinger Team. Wie hat es Ihnen dort gefallen?
Unter dem Strich war es eine schöne Zeit. Vor allem die Saison 2017 bleibt mir in fantastischer Erinnerung. Gatti hat mir auch als Mensch eine Menge beigebracht. Er gab mir eine Chance und das wollte ich zurückzahlen. Er hat immer an mich geglaubt. Ihm gefiel meine Art und Weise zu fahren, deswegen setzte er mich sofort bei großen Rennen ein. Für mich war es stets wichtig, dass das Team ein ordentliches Bild abgibt. Gatti wurde schnell zu einer Art Vaterfigur. Mir gefällt seine Manier: Er mag streng sein. Er sagt einem die Dinge ins Gesicht. Das ist für mich allerdings okay. Sein Wissensschatz ist riesig. Auf solche Leute muss man einfach hören.
Doch dann kam die Saison 2019 ...
Das war ein schwieriges Jahr. Nach dem Rückzug von Gatti lernte ich die negativen Seiten des Radsports kennen. Ich rede eigentlich nicht gerne über diese Saison. Die Situation war katastrophal. Ich bekam keine Renneinsätze. Die Unterstützung fehlte.
Ich musste nach den Landesmeisterschaften während zwei Monaten pausieren. Das Schlimmste war aber, dass ich mich nicht erklären konnte. Ein klärendes Gespräch wurde viel zu lange hinausgezögert. Es gab ein paar Schlüsselerlebnisse: Bei der Skodatour de Luxembourg wurde ich bestraft, weil ich mich zu lange am Teamwagen beziehungsweise an einer mir gereichten Getränkeflasche festgehalten hatte. Zudem landete eine leere Trinkflasche von mir im Vorgarten eines Hauses. Dann krachte ich beinahe mit einem Motorradfahrer zusammen, weil dieser unachtsam war und um ein Haar einen Zusammenstoß provozierte.
Jan Petelin wird im Normalfall in der Türkei in die laufende Saison einsteigen. Ich regte mich auf und hatte auch allen Grund dazu. Ich reagierte auf das gefährliche Fehlverhalten eines anderen und bekam eine Geldstrafe. Ich musste den Betrag bezahlen – nicht etwa das Team. Bei den Landesmeisterschaften lief das Fass dann anscheinend über: Ich attackierte früh und wurde irgendwann eingefangen, während sich Bob Jungels an der Spitze auf und davon machte. Ich brauchte etwas Zeit, um mich zu erholen und fuhr in einer Gruppe mit Lex Reichling und mit meinem Teamkollegen Raphaël Kockelmann (Sohn des Differdinger Teamchefs Gilles Kockelmann, Anmerkung der Redaktion). Raphaël war am Ende. Sein Tank war leer. Ich machte das gesamte Tempo und ließ ihn in der Schlussphase stehen. Mir wurde daraufhin vorgeworfen, ich würde nicht als Teamplayer auftreten. Das ist kompletter Blödsinn. Ich bleibe dabei: In dem Fall habe ich nichts falsch gemacht. Insgesamt war das Klima von der zweiten Saisonhälfte an vergiftet. Irgendwann war klar, dass das Team am Saisonende verschwinden würde. Die Motivation aller Fahrer sank dementsprechend in den Keller. Uns Fahrern wurde zu wenig Gehör geschenkt. Das Kapitel ist allerdings nun abgehakt. Ich möchte nach vorne blicken.
Wann war klar, dass Ihr Weg zu Vini ZABÙ-KTM führen würde?
Ungefähr Mitte September 2019 habe ich einen Einjahreskontrakt unterschrieben. Allerdings hing ich lange in der Luft. Ich kontaktierte viele Manager und bekam ebenso viele Absagen. Ich hatte dann das Glück auf Franceso Frassi, einer der Sportlichen Leiter bei meinem jetzigen Arbeitgeber, zu stoßen. Ich kannte ihn noch aus meiner Zeit als Nachwuchsfahrer in Italien. Ich kontaktierte ihn per Facebook und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Er setzte sich für mich ein und irgendwann bekam ich die entscheidende Nachricht: „Du bist dabei.“Ich bin sehr glücklich, es zu dem Team geschafft zu haben. Es stand ganz oben auf meiner Wunschliste. Die Stimmung ist prima. Wir sind jetzt bereits eine große Familie. Ich konnte mich schnell integrieren. Da hat die italienische Sprache geholfen.
Ihre Mannschaft gehört zur zweiten Radsportliga, bestreitet aber in Italien viele der größten Rennen. Freuen Sie sich schon?
Ich kann kaum erwarten, dass es losgeht. Normalerweise steige ich bei der Antalya-tour (20. bis 23. Februar) ins Jahr ein und bestreite dann die Taiwan-tour
(1. bis 5. März). Unsere Mannschaft hat eine Einladung für Mailand-sanremo und den Giro d'italia erhalten. Ich will dort dabei sein. Damit dies gelingt, muss ich in meinen ersten Rennen Leistung bringen. Mailand-sanremo wäre cool. Ich würde alles dransetzen, um den Sprung in die Ausreißergruppe zu schaffen. Eine Giro-teilnahme ist realistisch. Ich werde versuchen, die Teamverantwortlichen zu überzeugen. Die Chancen, dass ich dabei bin, liegen etwa bei 50 Prozent.
2019 war ein schwieriges Jahr. Ich lernte die negativen Seiten des Radsports kennen.
Welcher Fahrertyp sind Sie?
Ich mag es, ein Gestalter der Rennen zu sein. Ich will mich zeigen und angreifen, arbeite allerdings auch gerne für das Team und den Kapitän. Ich mag anspruchsvolle Wettkämpfe mit kurzen Anstiegen. Bei den Rennen in Flandern und auf den Kopfsteinpflastern fühle ich mich besonders wohl. Das macht Spaß. Paris-roubaix ist mein Lieblingsrennen. Das würde ich gerne einmal gewinnen. Dicht dahinter kommt die Tour des Flandres. Ein Etappensieg bei der Tour de France wäre ebenfalls fantastisch.
In welchen Bereichen müssen Sie sich verbessern, damit diese Träume in Erfüllung gehen?
Ich bin mir bewusst, dass ich noch längst nicht am Ende meiner Entwicklung angekommen bin. In den langen Bergen muss ich mich steigern – aber auch in allen anderen Bereichen. Seit August 2018 ist Exprofi Gaëtan Bille (B) mein Trainer. Meine Werte steigen konstant. Im Winter habe ich einen weiteren Sprung gemacht. Das möchte ich nun so schnell es nur geht unter Beweis stellen. Und vielleicht gelingt 2020 mein erster Profisieg. Das wäre die Krönung.