Das Puzzle vollenden
2015 haben sich Regierung und Parlament bei der jüdischen Gemeinde entschuldigt – Jetzt müsste die Aufklärung folgen
Nachdem die Holocaustforschung sich mit der Besatzungszeit in Luxemburg befasst hat, geht es jetzt darum, die Lücken in der Geschichte aufzuklären. Die neuen Forschungsergebnisse und Methoden wurden am Mittwoch von Historikern und Experten in der Orangerie des Thermalbads in Bad-mondorf vorgestellt.
Im Mittelpunkt der Präsentationen standen die Ergebnisse zu den Forschungsprojekten „L’etat luxembourgeois et la ,Question juive‘. 1930-1950“von Vincent Artuso und „L’etat luxembourgeois et le retour des Juifs au Luxembourg en 1945“von Denis Scuto. Diese Ergebnisse entstanden aus einem „mikro-historischen“Ansatz heraus. So konnten die Historiker durch die Analyse von Einzelschicksalen, der Juden aber auch der Verwaltungsmitarbeiter, ein Gesamtbild zu damaligen Verhaltensmustern erstellen.
Dieser Ansatz ließ sich bereits im ersten Satz der Präsentation von Denis Scuto erkennen, bei der er aus einem Brief des Staatsministers in Exil, Pierre Dupong, vom 6. Juni 1944 zitierte: „Les juifs étrangers qui avaient leurs domiciles à Luxembourg jusqu’au moment où ils ont dû fuir devant la menace Nazi, peuvent, la guerre terminée, retourner et s’établir à Luxembourg à nouveau.“
Um diese Aussage zu verstehen, muss man, wie es die beiden Historiker der Universität Luxemburg gemacht haben, sich den Kontext der Zeit zwischen 1930 und 1950 vor Augen führen. Dies war nötig, denn die Kriegsjahre selbst sind ziemlich gut erforscht, während es bei der unmittelbaren Vor- und direkten Nachkriegszeit noch erheblichen Klärungsbedarf gibt.
Luxemburg als
Asyl- und Durchreiseland
Bereits mit der Machtübernahme Hitlers 1933 begann eine bis zur deutschen Invasion im Mai 1940 andauernde Fluchtwelle von Juden aus Deutschland nach Luxemburg. Den Historikern nach war die vorherrschende Position der damaligen Regierungs- und Oppositionsparteien folgende: Luxemburg sollte sicherlich seinen Anteil an Flüchtlingen aufnehmen, aber nur für einen begrenzten Zeitraum, damit die Juden sich auf die Auswanderung in sicherere Länder vorbereiten konnten. Die Hauptbedingungen jener Zeit waren, wie Denis Scuto aufzeigt, „dass die jüdischen Immigranten sich nicht in die Politik einmischen, nicht mit lokalen Unternehmen und Arbeitnehmern konkurrieren und über ausreichende Mittel verfügen, um den luxemburgischen Steuerzahler nicht zur Last zu fallen“.
In diesem Kontext haben die beiden Historiker erforscht, wie die Juden, die vor den Nazis geflüchtet waren und nach dem Krieg nach Luxemburg zurückkommen wollten, empfangen wurden und wie mit ihnen umgegangen wurde. Um dies zu bewerkstelligen, wurde unter anderem die Asylund
Ein aus der Vorkriegszeit stammendes Bild der Synagoge in Luxemburg Stadt in der Rue Notredame. Heutzutage steht dort das Bildungsministerium.
Immigrationspolitik der Vorund Nachkriegszeit genauer unter die Lupe genommen. Ziel war es, die „kollektive Geschichte“an persönlichen Beispielen festzumachen.
Die Hauptquelle für diese Analysen waren die rund 1 600 Einreiseantragsformulare, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Luxemburg an die Fremdenpolizei
gingen. Darunter waren 439 Anfragen von Juden, die in der Zwischenkriegszeit zugewandert waren und nach 1945 nach Luxemburg zurückkehren wollten. Denis Scuto erklärt in einem seiner Forschungsberichte: „Im Gegensatz zu dem, was die Exilregierung im Juni 1944 versprochen hatte, konnten die von den Nazis vertriebenen Juden nach dem
Krieg nicht automatisch ins Land zurückkehren. Die belgische Exilregierung erlaubte hingegen allen ausländischen jüdischen Vorkriegsflüchtlingen eine automatische Einreise, wenn auch nur provisorisch.“Lediglich bei der Hälfte der Anfragen war die Antwort der Sicherheitsbehörden und des durch den sozialistischen Minister Victor Bodson geführten Justizministeriums positiv.
„Die abgelehnten Anträge, wurden durch nationalistische Argumente gerechtfertigt“, erklärt Denis Scuto, „die bereits am Ende der 1930er-jahren in Luxemburg vorherrschten.“Zum Legitimieren dienten Vorwände, wie die der Überfremdung und Überbevölkerung. Die Konkurrenz auf dem Arbeitsund Wohnungsmarkt galt ebenfalls als Rechtfertigungsgrund. Wenn der Flüchtling zuvor kaufmännisch tätig war, traf eine Kommission, die aus Luxemburger Kaufleuten bestand, die Entscheidung. Deren Befund fiel konstant negativ aus.
Juden waren nicht die einzigen Leidtragenden
Von dieser „negativen“Diskriminierung, wie Scuto sie bezeichnet, um ins Großherzogtum zurückzukehren, sollen nicht nur jüdische Flüchtlinge betroffen gewesen sein. Auch ausländische Widerstandskämpfer, wie zum Beispiel italienische Antifaschisten oder französische „Resistenzler“, erlitten ein ähnliches Schicksal. „Es geht nicht nur um Güter ausländischer Juden. Es geht auch um Besitz ausländischer Widerstandskämpfer, die während des Krieges beschlagnahmt wurden und nicht entschädigt wurden, weil sie nicht den ,patriotischen Motiven‘ entsprachen. Und das, obwohl sie mit luxemburgischen Widerstandskämpfern zusammengearbeitet haben“, schildert der Historiker der Uni Luxemburg.
Denis Scuto kommt zu dem Schluss, dass „nicht die Geflüchteten geschützt wurden, sondern die ,Volksgemeinschaft‘, wie man damals sagte.“
Scuto fordert ein Amt für Wiedergutmachung
Auf Grund dieser Forschungsergebnisse fordert Scuto, dass der Luxemburger Staat ein Amt für Reparationen einrichtet. Bei der Fragerunde zum Schluss seiner Präsentation betont er: „Diese Frage braucht nicht nur Forschung, sie braucht eine Verwaltung mit Staatsbeamten, die sich darum kümmert und diesen Familien hilft ihre Güter zurückzubekommen. Es geht darum, dass der Luxemburger Staat seine Verantwortung endlich übernimmt, was die Entschädigungen angeht. In Österreich und in Frankreich zum Beispiel gibt es Verwaltungen, die sich darum kümmern, dass den Familien, die im Krieg enteignet wurden, geholfen wird. In Luxemburg handelt es sich nicht nur um die Enteignungen jüdischer Familien, sondern auch der großherzoglichen Familie, wie auch von Kommunisten. Ein solches Amt muss in Luxemburg noch geschaffen werden.“