„Religion wird für den Konflikt missbraucht“
Der biblische Archäologe Dieter Vieweger über die Besonderheiten von Ausgrabungen im Heiligen Land
Wenn Archäologen mit Kelle und Pinsel nach den Hinterlassenschaften von Menschen aus früheren Jahrhunderten graben, interessiert sich oft nur ein Fachpublikum dafür. Doch bei Ausgrabungen im Heiligen Land, wo Religionen und Völker aus historischen Gegebenheiten Macht- und Gebietsansprüche ableiten, kann jeder Fund zum Politikum werden. Dieter Vieweger ist Experte für Biblische Archäologe und seit 2005 Leitender Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem (Israel) und Amman (Jordanien). Am Dienstag spricht er in Luxemburg über seine Arbeit und darüber, wie Archäologie zu einem besseren Bibelverständnis beitragen kann.
Dieter Vieweger, in ihrem Vortrag am Dienstag werden Sie der Frage nachgehen, ob man die
Bibel durch Ausgrabungen beweisen kann. Kann man das?
Das glauben viele Menschen. Aber die Theologie und die Archäologie, das sind zwei ganz verschiedene Wissenschaften. Man muss einfach sehen, dass die Archäologie keine Geschichten bestätigen kann. Sie kann Kulturen erkennen, sie kann Zeiten, kann Funde, kann Städte beschreiben. Aber was sich dort im Laufe der Zeit abgespielt hat, das kann man nicht in den Fußabdrücken der Menschen nachlesen.
Sie leiten das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman. Macht die Konfession eigentlich einen Unterschied bei dieser Arbeit?
Das machte 1898 einen Unterschied, als das Institut gegründet wurde. Damals war die evangelische Kirche der Wissenschaft gegenüber sehr aufgeschlossen, während sich die katholische Kirche ihren Traditionen verpflichtet fühlte und man davon ausging, dass diese stimmen und man sie nicht nachprüfen muss. Das ist nun kein Thema mehr. Wir sind aber ein theologisches und archäologisches Institut. Wer bei uns arbeitet, sollte von beiden Fächern etwas verstehen.
Sie haben ein Buch über Archäologie für Einsteiger geschrieben, es heißt „Wie man ein Königsgrab findet“. Wie kann man sich denn für diese Arbeit begeistern, wenn man nur Scherben findet?
Ich habe tatsächlich noch nie ein Königsgrab gefunden, und das ist auch ganz gut so. Aber wir finden in der Tat sehr viele Scherben. Die Frage ist aber nicht, was ich finde, sondern, was ich nachweisen will und kann. Ich sage es einmal ganz pauschal: Wenn ich im Nahen Osten arbeite, dann bin ich der ganz großen Geschichte auf der Spur, in der in in den vergangenen knapp 11 000 Jahren die Menschen dort sesshaft geworden sind. Durch die südliche Levante, also Israel, Palästina und Jordanien, sind zentrale Handelswege verlaufen. Die Assyrer, die Perser, die Griechen, die Römer – sie alle haben ihre
Dieter Vieweger
Spuren hier hinterlassen. Und das können wir als Archäologen nachweisen, was sie hinterlassen haben ... Aber auch, was sie zerstört haben.
Kann man im Heiligen Land Ausgrabungen wie in jedem anderen Land ausführen – oder ist das an diesem Hotspot der Weltreligionen heikel?
Ich bin schon seit 30 Jahren da und kann mich völlig frei bewegen und frei arbeiten. Das hängt auch damit zusammen, dass das Auswärtige Amt uns mit Dienstpässen ausstattet. Aber man muss sich auch „diplomatisch“verhalten, damit man nicht der Feind des Einen oder des Anderen wird.
Können Sie das konkretisieren?
Das wollte ich gerade nicht. (lacht) Aber fangen wir einfach mal damit an, was wir finden: Das sind Scherben, das sind Knochen, das ist Erde, und es sind Steine. Die Frage ist dann immer: Welches
Haus ist das? Ist das ein Haus oder ein Palast? Und wer lebte hier zu welcher Zeit? Ich muss das einordnen. Aber die Interpretation der Archäologie ist das Problem. Da gibt es natürlich die einen, die sagen: Daraus kann man lesen, dass die Palästinenser als Philister schon immer hier waren – und zwar früher als die Israeliten. Die Israelis sagen natürlich: Das ist unser Land, wir sind nur hierhin wieder zurückgekommen. Beides würde ich nicht unterschreiben. Wenn wir in unseren modernen Ländern einmal schauen, wem das Gebiet einmal gehört hat durch die letzten paar Jahrhunderte: Was würde uns das bringen? Wie viele Kriege müssten wir führen? Aus der Geschichte kann man keinen Besitz ableiten, das geht einfach nicht. Ich komme aus Ostdeutschland, wir wären slawisch. Als Kölner wäre man italienisch. Das ist absurd. Ich kann sagen: Die Vergangenheit war so und so, aber bei nationalistischen Interpretationen, da bin ich einfach nicht dabei. Die Verbindung von Vergangenheit und politischem Aktionismus heute lehne ich ab. Ich finde, Politiker sind gut beraten, wenn sie schauen, mit wem sie heute zusammenleben, und dann Kompromisse finden.
Aber diese Spannungen wirken sich nicht konkret auf Ihre Arbeit vor Ort aus? Sie können sich frei bewegen?
Ja, ich kann auch frei schreiben, was ich will. Und ich kriege auch meine Grabungserlaubnis wieder. Wir sind durchaus in freien Ländern. Wir werden nicht gemaßregelt. Und es wird uns auch nicht gesagt, was wir zu denken haben. Ich habe ein Buch geschrieben namens „Streit ums Heilige Land“. Da schildere ich sehr klar, wie es um den heutigen Konflikt aussieht. Ich glaube übrigens nicht, dass es sich um einen religiösen Konflikt handelt. Die Religion wird dafür missbraucht. Und manchmal lässt sie sich auch missbrauchen.
In welchen Regionen sind Sie vor allem aktiv?
In Jordanien haben wir zwei große Projekte. Eines ist ein Ausgrabungsprojekt, ein Tell. Das ist ein Siedlungshügel, auf dem die Städte verschiedener Zeiten geschichtet übereinander liegen. Dieser Tell Zira’a besteht aus 35 Städten übereinander, da kann man 5 000 Jahre Geschichte an einem Ort ausgraben. Das ist ein absoluter Glücksgriff. Wir haben gerade eine Sonderausstellung im Nationalmuseum in Amman, die sogar vom Königshaus eingeweiht wurde. In der Hauptstadt Amman läuft ein zweites wichtiges Projekt im Zitadellenmuseum. Dort gibt es Archive, die wir aufnehmen und dadurch quasi ein zweites Mal ausgraben, alle Funde vor Ort. Das ist ganz wichtig, weil diese Ausgrabungsorte in Krisenregionen liegen, wie etwa derzeit im Irak oder Syrien.
Wenn Antiken gestohlen werden, können wir verhindern, dass diese versteigert werden, weil wir einen Eigentumsnachweis für den Staat Jordanien erbringen können. Wir müssen uns um dieses Kulturgut kümmern, auch wenn das eine ziemlich teure und arbeitsreiche Angelegenheit ist.
Graben Sie auch in Israel?
Ja, unter der Erlöserkirche. Wir haben neben dem historischen Felsen Golgotha einen großen Grabungsbereich angelegt. Ich kann nicht belegen, wo die Kreuze gestanden haben oder ob das mit der Kreuzigung genau so ablief, auch wenn ich davon persönlich ausgehe. Aber ich kann schön die Geschichte dieses Ortes beschreiben, wann er in die Stadt einbezogen war und wann nicht. Außerdem graben wir südlich der Altstadt Jerusalems und in Tiberias, der Stadt am See Genezareth, sowie in Bethlehem.
Aus der Geschichte kann man keinen Besitz ableiten, das geht einfach nicht.