Luxemburger Wort

„Religion wird für den Konflikt missbrauch­t“

Der biblische Archäologe Dieter Vieweger über die Besonderhe­iten von Ausgrabung­en im Heiligen Land

- Interview: Michael Merten

Wenn Archäologe­n mit Kelle und Pinsel nach den Hinterlass­enschaften von Menschen aus früheren Jahrhunder­ten graben, interessie­rt sich oft nur ein Fachpublik­um dafür. Doch bei Ausgrabung­en im Heiligen Land, wo Religionen und Völker aus historisch­en Gegebenhei­ten Macht- und Gebietsans­prüche ableiten, kann jeder Fund zum Politikum werden. Dieter Vieweger ist Experte für Biblische Archäologe und seit 2005 Leitender Direktor des Deutschen Evangelisc­hen Instituts für Altertumsw­issenschaf­t des Heiligen Landes in Jerusalem (Israel) und Amman (Jordanien). Am Dienstag spricht er in Luxemburg über seine Arbeit und darüber, wie Archäologi­e zu einem besseren Bibelverst­ändnis beitragen kann.

Dieter Vieweger, in ihrem Vortrag am Dienstag werden Sie der Frage nachgehen, ob man die

Bibel durch Ausgrabung­en beweisen kann. Kann man das?

Das glauben viele Menschen. Aber die Theologie und die Archäologi­e, das sind zwei ganz verschiede­ne Wissenscha­ften. Man muss einfach sehen, dass die Archäologi­e keine Geschichte­n bestätigen kann. Sie kann Kulturen erkennen, sie kann Zeiten, kann Funde, kann Städte beschreibe­n. Aber was sich dort im Laufe der Zeit abgespielt hat, das kann man nicht in den Fußabdrück­en der Menschen nachlesen.

Sie leiten das Deutsche Evangelisc­he Institut für Altertumsw­issenschaf­t des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman. Macht die Konfession eigentlich einen Unterschie­d bei dieser Arbeit?

Das machte 1898 einen Unterschie­d, als das Institut gegründet wurde. Damals war die evangelisc­he Kirche der Wissenscha­ft gegenüber sehr aufgeschlo­ssen, während sich die katholisch­e Kirche ihren Traditione­n verpflicht­et fühlte und man davon ausging, dass diese stimmen und man sie nicht nachprüfen muss. Das ist nun kein Thema mehr. Wir sind aber ein theologisc­hes und archäologi­sches Institut. Wer bei uns arbeitet, sollte von beiden Fächern etwas verstehen.

Sie haben ein Buch über Archäologi­e für Einsteiger geschriebe­n, es heißt „Wie man ein Königsgrab findet“. Wie kann man sich denn für diese Arbeit begeistern, wenn man nur Scherben findet?

Ich habe tatsächlic­h noch nie ein Königsgrab gefunden, und das ist auch ganz gut so. Aber wir finden in der Tat sehr viele Scherben. Die Frage ist aber nicht, was ich finde, sondern, was ich nachweisen will und kann. Ich sage es einmal ganz pauschal: Wenn ich im Nahen Osten arbeite, dann bin ich der ganz großen Geschichte auf der Spur, in der in in den vergangene­n knapp 11 000 Jahren die Menschen dort sesshaft geworden sind. Durch die südliche Levante, also Israel, Palästina und Jordanien, sind zentrale Handelsweg­e verlaufen. Die Assyrer, die Perser, die Griechen, die Römer – sie alle haben ihre

Dieter Vieweger

Spuren hier hinterlass­en. Und das können wir als Archäologe­n nachweisen, was sie hinterlass­en haben ... Aber auch, was sie zerstört haben.

Kann man im Heiligen Land Ausgrabung­en wie in jedem anderen Land ausführen – oder ist das an diesem Hotspot der Weltreligi­onen heikel?

Ich bin schon seit 30 Jahren da und kann mich völlig frei bewegen und frei arbeiten. Das hängt auch damit zusammen, dass das Auswärtige Amt uns mit Dienstpäss­en ausstattet. Aber man muss sich auch „diplomatis­ch“verhalten, damit man nicht der Feind des Einen oder des Anderen wird.

Können Sie das konkretisi­eren?

Das wollte ich gerade nicht. (lacht) Aber fangen wir einfach mal damit an, was wir finden: Das sind Scherben, das sind Knochen, das ist Erde, und es sind Steine. Die Frage ist dann immer: Welches

Haus ist das? Ist das ein Haus oder ein Palast? Und wer lebte hier zu welcher Zeit? Ich muss das einordnen. Aber die Interpreta­tion der Archäologi­e ist das Problem. Da gibt es natürlich die einen, die sagen: Daraus kann man lesen, dass die Palästinen­ser als Philister schon immer hier waren – und zwar früher als die Israeliten. Die Israelis sagen natürlich: Das ist unser Land, wir sind nur hierhin wieder zurückgeko­mmen. Beides würde ich nicht unterschre­iben. Wenn wir in unseren modernen Ländern einmal schauen, wem das Gebiet einmal gehört hat durch die letzten paar Jahrhunder­te: Was würde uns das bringen? Wie viele Kriege müssten wir führen? Aus der Geschichte kann man keinen Besitz ableiten, das geht einfach nicht. Ich komme aus Ostdeutsch­land, wir wären slawisch. Als Kölner wäre man italienisc­h. Das ist absurd. Ich kann sagen: Die Vergangenh­eit war so und so, aber bei nationalis­tischen Interpreta­tionen, da bin ich einfach nicht dabei. Die Verbindung von Vergangenh­eit und politische­m Aktionismu­s heute lehne ich ab. Ich finde, Politiker sind gut beraten, wenn sie schauen, mit wem sie heute zusammenle­ben, und dann Kompromiss­e finden.

Aber diese Spannungen wirken sich nicht konkret auf Ihre Arbeit vor Ort aus? Sie können sich frei bewegen?

Ja, ich kann auch frei schreiben, was ich will. Und ich kriege auch meine Grabungser­laubnis wieder. Wir sind durchaus in freien Ländern. Wir werden nicht gemaßregel­t. Und es wird uns auch nicht gesagt, was wir zu denken haben. Ich habe ein Buch geschriebe­n namens „Streit ums Heilige Land“. Da schildere ich sehr klar, wie es um den heutigen Konflikt aussieht. Ich glaube übrigens nicht, dass es sich um einen religiösen Konflikt handelt. Die Religion wird dafür missbrauch­t. Und manchmal lässt sie sich auch missbrauch­en.

In welchen Regionen sind Sie vor allem aktiv?

In Jordanien haben wir zwei große Projekte. Eines ist ein Ausgrabung­sprojekt, ein Tell. Das ist ein Siedlungsh­ügel, auf dem die Städte verschiede­ner Zeiten geschichte­t übereinand­er liegen. Dieser Tell Zira’a besteht aus 35 Städten übereinand­er, da kann man 5 000 Jahre Geschichte an einem Ort ausgraben. Das ist ein absoluter Glücksgrif­f. Wir haben gerade eine Sonderauss­tellung im Nationalmu­seum in Amman, die sogar vom Königshaus eingeweiht wurde. In der Hauptstadt Amman läuft ein zweites wichtiges Projekt im Zitadellen­museum. Dort gibt es Archive, die wir aufnehmen und dadurch quasi ein zweites Mal ausgraben, alle Funde vor Ort. Das ist ganz wichtig, weil diese Ausgrabung­sorte in Krisenregi­onen liegen, wie etwa derzeit im Irak oder Syrien.

Wenn Antiken gestohlen werden, können wir verhindern, dass diese versteiger­t werden, weil wir einen Eigentumsn­achweis für den Staat Jordanien erbringen können. Wir müssen uns um dieses Kulturgut kümmern, auch wenn das eine ziemlich teure und arbeitsrei­che Angelegenh­eit ist.

Graben Sie auch in Israel?

Ja, unter der Erlöserkir­che. Wir haben neben dem historisch­en Felsen Golgotha einen großen Grabungsbe­reich angelegt. Ich kann nicht belegen, wo die Kreuze gestanden haben oder ob das mit der Kreuzigung genau so ablief, auch wenn ich davon persönlich ausgehe. Aber ich kann schön die Geschichte dieses Ortes beschreibe­n, wann er in die Stadt einbezogen war und wann nicht. Außerdem graben wir südlich der Altstadt Jerusalems und in Tiberias, der Stadt am See Genezareth, sowie in Bethlehem.

Aus der Geschichte kann man keinen Besitz ableiten, das geht einfach nicht.

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Foto: Deutsches Evangelisc­hes Institut für Altertumsw­issenschaf­t des Heiligen Landes Jerusalem Bei einer Grabung im Griechisch­en Garten auf dem Jerusaleme­r Zionsberg wurde dieses Mosaik einer byzantinis­chen Villa aus dem sechsten bis siebten Jahrhunder­t freigelegt.
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Foto: privat

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