Luxemburger Wort

„Es tilgt das Unrecht“

Der Potsdamer Rabbiner Walter Homolka über die Einführung der jüdischen Militärsee­lsorge bei der Bundeswehr

- Interview: Karin Wollschläg­er (KNA)

Was in Armeen wie der US Air Force längst Realität ist, wird nun auch bei der deutschen Bundeswehr eingeführt: Die Vorbereitu­ngen für den Aufbau einer jüdischen Militärsee­lsorge laufen. Der Rektor des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs für die Ausbildung von Rabbinern, Rabbiner Walter Homolka, ist selbst Oberstleut­nant der Reserve. Im Interview spricht er über die Bedeutung des Staatsvert­rages, die Notwendigk­eit von Militärsee­lsorge und das Verhältnis zwischen Bundeswehr und der jüdischen Gemeinscha­ft.

Walter Homolka, es war ein langes Stück Arbeit, wie man hört. Sind Sie erleichter­t, dass es nun schon bald jüdische Militärsee­lsorger geben wird?

Distanz und Misstrauen sind einem entspannte­n Miteinande­r gewichen. Früher ging es vorrangig um Gedenken und Aufarbeitu­ng von Diskrimini­erung und Zurücksetz­ung. In den letzten 15 Jahren kam es zu einer Orientieru­ng nach vorne. Als Reservesta­bsoffizier bin ich erleichter­t, dass sich heute jüdische Bundeswehr­angehörige auf Augenhöhe mit ihren Kameradinn­en und Kameraden begegnen. Seit etwa zwei Jahren lag das Thema nun in der Luft. Im April 2019 einigten sich der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster, und die damalige Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen über die Wiederaufn­ahme im Grundsatz. Seitdem ist es dem Zentralrat­sgeschäfts­führer Daniel Botmann gelungen, mit Bundesmini­sterin Annegret Kramp-karrenbaue­r den strukturel­len Rahmen zu bauen und einen Militärsee­lsorgevert­rag auszuhande­ln, der es dem liberalen und orthodoxen Judentum erlaubt, in der Militärsee­lsorge mitzuwirke­n. Ich halte diese Erweiterun­g für einen Paradigmen­wechsel. Militärsee­lsorge wird künftig pluralisti­sch gestaltet werden.

Warum hat die Einführung so lange gedauert? Sah man von staatliche­r Seite keine Notwendigk­eit?

Das Verhältnis zwischen den deutschen Streitkräf­ten und der jüdischen Gemeinscha­ft war seit den Befreiungs­kriegen gegen Napoleon belastet. In der Vergangenh­eit waren Juden in Friedensze­iten, zumal als Offiziere, nicht gerne gesehen. Reichsauße­nminister Walther Rathenau hat aus seiner vergeblich­en Kandidatur als Reserveoff­izier noch in der Weimarer Republik den Schluss gezogen, man bleibe als Jude eben Staatsbürg­er zweiter Klasse. In Kriegszeit­en haben Juden ihre Pflicht oft übererfüll­t, die Anerkennun­g blieb ihnen aber versagt.

Aber jüdische Militärrab­biner gab es doch schon mal.

Im Ersten Weltkrieg wurden jüdische Soldaten erstmals von Feldrabbin­ern betreut und begleitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestanden zwischen Bundeswehr und jüdischer Gemeinscha­ft lange Vorbehalte. Gegen die Sprachlosi­gkeit wirkten zahlreiche Einsätze deutscher Soldaten in den letzten Jahrzehnte­n zur Sicherung und Wiederhers­tellung jüdischer Friedhöfe. Seit ungefähr 15 Jahren machten angehende Rabbiner dann Praktika bei den beiden großen Kirchen, um sich dem Thema Militärsee­lsorge anzunähern. 2006 entstand der Bund Jüdischer Soldaten, 2010 brachte das Zentrum Innere Führung der Bundeswehr eine Handreichu­ng für Jüdische Soldaten heraus und im gleichen Jahr bekam der Zentralrat der Juden einen Sitz im

Beirat Innere Führung der Bundeswehr. Die Wiederaufn­ahme der jüdischen Militärsee­lsorge fußt also auf einer Reihe von Schritten in die richtige Richtung.

Welche Bedeutung hat die Einführung von jüdischen Militärrab­binern für das Judentum in Deutschlan­d?

Es tilgt meines Erachtens das Unrecht, das Juden in deutschen Armeen früher erfahren mussten. Die Wiederaufn­ahme der jüdischen Militärsee­lsorge durch den

Zentralrat der Juden in Deutschlan­d zeigt: Die jüdische Gemeinscha­ft hat Vertrauen in die Bundeswehr als eine pluralisti­sche, demokratis­che Armee. Und: Wir Juden haben vor, dieses Gemeinwese­n in all seinen Aspekten mitzugesta­lten.

Was erwidern Sie denjenigen, die sagen: „Für bundesweit nur 300 jüdische Soldaten braucht es doch keine eigenen Seelsorger.“?

Deutsche Militärsee­lsorgerinn­en und -seelsorger sind für alle

Soldatinne­n und Soldaten da, auch für die anderer Religionen oder ohne Bekenntnis. Andere Länder wie die USA, Frankreich oder die Niederland­e haben es uns mit ihren Militärrab­binern vorgemacht. Militärsee­lsorger gleich welcher Denominati­on haben ein offenes Ohr und sichern die freie Religionsa­usübung aller. In Deutschlan­d geben Militärsee­lsorger außerdem den weltanscha­ulich neutralen lebenskund­lichen Unterricht. Es ist ein gutes Zeichen, dass hier nun auch Rabbiner sichtbar ihren Dienst leisten. Ich freue mich, dass darunter Absolvente­n des Abraham Geiger Kollegs sein werden, weil die jüdische Militärsee­lsorge paritätisc­h von liberalen Rabbinern zusammen mit ihren orthodoxen Kollegen geleistet werden soll. Hier sind sich Union progressiv­er Juden in Deutschlan­d und der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d einig.

Sie selbst sind Oberstleut­nant der Reserve und kennen die Truppe in Teilen: Inwieweit ist Antisemiti­smus dort ein Thema?

Ich habe persönlich in der Bundeswehr nie Antisemiti­smus

In Kriegszeit­en haben Juden ihre Pflicht oft übererfüll­t, die Anerkennun­g blieb ihnen aber versagt.

erlebt. Wie in allen gesellscha­ftlichen Gruppen schließe ich ihn aber auch unter Soldaten nicht grundsätzl­ich aus. Bundeswehr­rabbinerin­nen und -rabbiner werden das Signal geben: Unsere Armee dient einer pluralisti­schen Gesellscha­ft und ist offen für alle, die auf der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng stehen.

Gibt es besondere religiöse Fragen und Themen, die jüdische Soldaten umtreiben?

Im Bereich von Kämpfen, Töten und Sterben gibt es eine ganze Reihe von wesentlich­en Fragen, die Menschen umtreiben. Da nehme ich uns Juden nicht aus. Es ist wichtig, dass jüdischen Soldatinne­n und Soldaten hier ihre eigene Tradition begegnet. Die jüdische Stimme soll in diesen ethisch-moralische­n Abwägungen gehört werden.

Gibt es in der jüdischen Community noch Stimmen, die vor dem Hintergrun­d der Schoah sagen: „Als Jude deutscher Soldat werden, das geht gar nicht.“

Es mag sie geben. Der Militärsee­lsorgevert­rag zwischen Deutschlan­d und dem Zentralrat der Juden bedeutet aber, dass die Jüdische Gemeinscha­ft und die Bundeswehr vertrauens­voll in die Zukunft blicken. Ich empfinde das als einen großen Schritt nach vorne und sehe breite Zustimmung dafür innerhalb des deutschen Judentums und auch im Ausland.

 ?? Foto: US Air Force / wiki commons ?? Bei der US Air Force hat die jüdische Militärsee­lsorge, die nun bei der Bundeswehr eingeführt werden soll, bereits eine längere Tradition.
Foto: US Air Force / wiki commons Bei der US Air Force hat die jüdische Militärsee­lsorge, die nun bei der Bundeswehr eingeführt werden soll, bereits eine längere Tradition.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg