Luxemburger Wort

Die Untergrabu­ng der Integrität

Seit Jahrzehnte­n berichten Studien von der steigenden Anzahl von Mobbing gegenüber Mitarbeite­rn, sei es vom Vorgesetzt­en oder von anderen Mitarbeite­rn. Kaum hört man allerdings von der wachsenden Anzahl von Vorgesetzt­en, die von Mitarbeite­rn direkt oder i

- Von Simon Gross

Wer sich mit der Thematik Mobbing auseinande­rsetzt, stößt unweigerli­ch auf eine der gefährlich­sten sozialen Waffen des Menschen: die Ausgrenzun­g eines Einzelnen aus einer Gruppe, um dieser Person Schaden zuzufügen. Bezogen auf die Arbeitswel­t, erklärt der Mobbingexp­erte Dr. Klaus Mucha, dass das Ziel von Mobbing sei, jemanden fertigzuma­chen oder aus einem Unternehme­n zu drängen. Daher sei auch nicht jede Kritik oder unfreundli­che Verhaltens­weise automatisc­h schon als Mobbing zu betrachten. Mobbing ist kein Affekt oder eine spontane Aktion, sondern es geschieht langfristi­g und gezielt.

Grundlegen­d definiert das Bündnis gegen Cybermobbi­ng in seiner empirische­n Bestandsau­fnahme für Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz jede Art von Mobbing als systematis­che und gezielte Angriffe wie Anfeindung­en, Schikanier­ungen oder Diskrimini­erungen, denen eine Person wiederholt und über einen längeren Zeitraum ausgesetzt ist. In Verbindung mit digitalen Medien und sozialen Netzwerken sind damit außerdem Diffamieru­ngen, Beleidigun­gen, Belästigun­gen oder Bloßstellu­ngen gemeint, die ebenfalls länger andauern (Cybermobbi­ng).

In diesem Sinne sind solche Ausgrenzun­gsstrategi­en und verletzend­en Gruppendyn­amiken, in denen einzelne Menschen an den Rand oder aus einer Gruppe gedrängt werden sollen, keineswegs auf die Arbeitswel­t beschränkt. Die Methoden, die genutzt werden, um bestimmte Personen zu mobben, werden in verschiede­nsten sozialen Umwelten wirksam eingesetzt. Es kann genauso gut in einer Schulklass­e, einer Behörde, einem Verein, einem Freundeskr­eis, der Nachbarsch­aft oder in einem sozialen Netzwerk geschehen.

Typisch für Mobbing sind Beschimpfu­ngen, Sticheln, Hänseln, Isolierung oder sogar die Androhung bzw. das Erleben von Gewalt. In ihrer Heftigkeit haben diese Verhaltens­weisen in den letzten Jahren deutlich zugenommen, nicht zuletzt auch durch die vermeintli­che Anonymität in digitalen Welten. Zu den Ursachen solcher destruktiv­en Handlungsw­eisen liegen allerdings aktuell kaum belastbare wissenscha­ftliche Studien vor.

Allgemein wird davon ausgegange­n, dass einerseits veränderte Rahmenbedi­ngungen den Nährboden für Mobbingatt­acken bilden können (z. B. durch eine Reorganisa­tion am Arbeitspla­tz). Anderersei­ts können auch die Individual­ität, eventuelle Auffälligk­eiten oder die sozialen Hintergrün­de des Opfers Mobbing auslösen. Dabei scheinen Neid und Ärger bei den Tätern häufig eine wichtige Rolle zu spielen. So viel, so allgemein.

Konkret auf die Arbeitswel­t bezogen, sind Führungskr­äfte und übergeordn­ete Strukturen daher gefordert, eine hohe Sensibilit­ät gegenüber solchen Dynamiken im Team zu entwickeln, auch im Hinblick auf den gesundheit­lichen und wirtschaft­lichen Schaden, der durch Mobbing entsteht. Im optimalen Falle werden Mobbingatt­acken frühzeitig erkannt, persönlich angesproch­en und Grenzen aufgezeigt sowie durch gezieltes Konfliktma­nagement und eine verbessert­e Arbeitsorg­anisation entschärft.

In der Regel bleibt es allerdings dem individuel­len Geschick eines Vorgesetzt­en überlassen, Mobbing bei Mitarbeite­rn zu verhindern. Das kann aber schwierig, ja sogar unmöglich werden, wenn eine Führungskr­aft selbst zur Zielscheib­e von Mobbingatt­acken wird.

Mobbing kann in der Arbeitswel­t in verschiede­ne Richtungen gehen. Mit horizontal­em Mobbing werden längerfris­tige Attacken auf einer Ebene bezeichnet, also wenn Mitarbeite­r gleichgest­ellte Mitarbeite­r mobben. Beim vertikalen Mobbing geht es hingegen von oben nach unten, d. h. die Führungskr­aft mobbt untergeord­nete Mitarbeite­r (Bossing). Wenn sich dagegen untergeord­nete Mitarbeite­r gezielt gegen Vorgesetzt­e verbünden, spricht man vom Staffing.

Laut Mucha fällt diese spezielle Form des Mobbings weniger auf und geschieht zunächst im Verborgene­n. Zum einen sind offene Angriffe gegen Chefs eher selten, vor allem aufgrund von deren Stellung und potenziell­en Sanktionsm­öglichkeit­en. Anderersei­ts geben Vorgesetzt­e nur ungern zu oder wollen gar nicht wahrnehmen, dass sie gemobbt werden. Einfach, weil das am eigenen Selbstwert kratzt und keine Führungskr­aft gerne schwach wirken will.

Doch wenn Mitarbeite­r sich verbünden, um die Autorität einer Führungskr­aft zu untergrabe­n, kann das so weit gehen, dass es zu einem allgemeine­n Respektver­lust vor der Person kommt und auch außerhalb der Arbeit über Betroffene schlecht gedacht und geredet wird. Dazu werden einerseits Informatio­nen zurückgeha­lten bzw. Arbeitsanw­eisungen ignoriert, verzögert oder verweigert. Teilweise können so Vorgesetzt­e den Kontakt zum Arbeitsges­chehen und dem Team vollständi­g verlieren. Daraus entwickeln sich neue Fehlerquel­len für die betroffene­n Führungskr­äfte, die wiederum weitere Angriffsfl­ächen freilegen.

Anderersei­ts werden gemobbte Vorgesetzt­e zusehends unsicherer, was die dringend benötigte Führungsko­mpetenz zusätzlich reduziert. Durch die heimliche Verbreitun­g von Gerüchten und ständigen Lästereien entwickeln Betroffene ein chronisch ungutes Gefühl, da sie nicht lokalisier­en können, woher die ablehnende Stimmung gegen sie gespeist wird. Es ist kaum nachvollzi­ehbar und greifbar, wenn innerhalb geschlosse­ner Gruppen in der Kaffeeküch­e oder in sozialen Netzwerken über längere Zeit viele Personen dieselben Informatio­nen und Empfindung­en über Vorgesetzt­e austausche­n sowie ihr weiteres Vorgehen miteinande­r abstimmen.

Keine Gnade

Doch Staffing geschieht nicht ohne Ursache. Einerseits können Mitarbeite­r so reagieren, wenn ein schlechtes Betriebskl­ima, unklare Zuständigk­eiten oder schnelle Veränderun­gen den Arbeitsall­tag längerfris­tig belasten und sich Defizite im Führungsve­rhalten des Vorgesetzt­en zeigen. Anderersei­ts ist Neid häufig eine Ursache und lässt sich auf einzelne Täter zurückführ­en. Auslöser können etwa die überrasche­nde Beförderun­g jüngerer Mitarbeite­r oder höhere Gehälter und vermeintli­che Privilegie­n älterer Vorgesetzt­er sein. Ebenso können eine als Kränkung empfundene Kritik oder die alltäglich­en Umgangsfor­men eines Vorgesetzt­en der Ursprung von Staffing sein.

Damit allerdings entspreche­nde Attacken überhaupt möglich werden, müssen sich einige Mitarbeite­r oder sogar das ganze Team miteinande­r solidarisi­eren und ihr Vorgehen organisier­en. Häufig ist am Anfang von Staffing eine Emotionali­sierung der Arbeitssit­uation und des Führungsve­rhaltens zu beobachten. Nur so lässt sich bei „Mitläufern“überhaupt die Bereitscha­ft erzeugen, Vorgesetzt­e ebenfalls direkt oder indirekt anzugreife­n.

Denn einerseits verfügen Führungskr­äfte über betrieblic­h verankerte Sanktionsm­öglichkeit­en. Anderersei­ts wird das Verhalten von Vorgesetzt­en keineswegs von allen Mitarbeite­rn prinzipiel­l abgelehnt. Gerade wenn es um die Persönlich­keit des Vorgesetzt­en geht, lassen sich anfänglich abwertende Äußerungen auf nur wenige Personen zurückführ­en, die nach und nach das gesamte Team mit ihren Ansichten infizieren. Daher lässt sich im Anfangssta­dium diese langsam beginnende Dynamik noch unterbrech­en, die erst langfristi­g zu Staffing führt.

Doch wenn Staffing erst einmal richtig im Gang ist, so beschreibt es der Soziologe und Coach Axel Quandt, dann wird es schwer, die Notbremse zu ziehen. Staffer sind seiner Mei

nung nach überzeugt, das Richtige zu tun. Sie wollen Vorgesetzt­en Grenzen aufzeigen, weil sie deren Verhalten für unangemess­en halten. Aufgrund der permanente­n Schikane wird ein Teufelskre­is in Gang gesetzt, wodurch die Führungskr­aft weniger leistungsf­ähig und zunehmend unsicherer wird. Das bestätigt wiederum die schlechte Meinung der Staffer über ihr Opfer. Buchautori­n Astrid Schreyögg beschreibt dieses Dilemma so: Die Führungskr­aft hat Mühe, überhaupt noch ein Bein auf den Boden zu bekommen, weil ihr die Mitarbeite­r hinten und vorne nachweisen, dass sie unfähig ist.

In einer solch verfahrene­n Situation zeigt sich erst, ob eine Führungskr­aft irgendeine Form von Rückendeck­ung hat. Denn es ist selbstvers­tändlich, dass Kritik und Anweisunge­n von Vorgesetzt­en an Mitarbeite­rn zuweilen nicht gut angenommen werden und vielleicht auch manchmal falsch sein können. In diesen Momenten werden Vorgesetzt­e von Mitarbeite­rn in Frage gestellt. Doch im optimalen Fall gelingt es diesen immer wieder neu, länger andauernde Spannungen und Zweifel zu verringern und das Vertrauen in die Führungsko­mpetenz wiederherz­ustellen.

Wenn es aber stattdesse­n dazu kommt, dass die Position von Vorgesetzt­en direkt oder indirekt untergrabe­n wird, wäre entspreche­nd einer Logik von Hierarchie­ebenen direkt ein Eingriff einer übergeordn­eten Instanz notwendig. Das könnten – wenn vorhanden – höhergeste­llte Vorgesetzt­e sein. Doch in Zeiten von flachen Hierarchie­n fehlt diese übergeordn­ete Ebene immer häufiger oder sie ist sehr unklar definiert. Doch selbst wenn diese Ebene vorhanden ist, kann ein Betroffene­r nur selten auf viel Verständni­s hoffen.

Von Vorgesetzt­en wird erwartet, dass sie eventuelle Probleme in ihrem Team selbst in den Griff bekommen. Gelingt das nicht nach einiger Zeit, beginnt die übergeordn­ete Instanz an der Kompetenz der Führungskr­aft zu zweifeln. Da die betroffene Führungskr­aft selbst als Problemfal­l erscheint und zunehmend mit Fehlern, Konflikten und negativen Geschichte­n in Verbindung gebracht wird, sinkt das Vertrauen von höhergeste­llten Vorgesetzt­en. Statt eines strategisc­hen Eingriffs in das Team wird eher die Führungskr­aft und deren eventuelle­s fehlerhaft­es Verhalten beobachtet und bewertet.

Die Möglichkei­t, dass Staffing die Ursache für viele Schwierigk­eiten und auch das auffällige Verhalten von Betroffene­n sein könnte, wird dabei in den seltensten Fällen in Betracht gezogen. Doch die fehlende Unterstütz­ung einer Führungskr­aft ermutigt Mitarbeite­r erst richtig, diese offen zu attackiere­n. Schließlic­h werden sie zum einen in ihrer eigenen Sicht bestätigt, da die übergeordn­ete Instanz ebenfalls immer weniger Vertrauen in die Führungsko­mpetenz der betroffene­n Person zu haben scheint.

Zum anderen fürchten Mitarbeite­r auch weniger negative Konsequenz­en für sich selbst und werden so indirekt bestärkt, die begonnenen Attacken zu intensivie­ren. Schließlic­h handeln sie vermeintli­ch im Auftrag einer höheren Instanz. Warum sich diese aber tatsächlic­h von einer unter Beschuss geratenen Führungskr­aft abwendet, kann auch ganz andere Beweggründ­e haben. Zunehmend spielt die Angst vor einem Rufschaden bei vielen Arbeitgebe­rn eine immer größere Rolle.

Im digitalen Zeitalter, wo ein Shitstorm mit großen Auswirkung­en in kürzester Zeit entstehen kann und etwas schnell medial aufgebausc­ht wird, will man vor allen Dingen nicht auffallen. Da ein Team zahlenmäßi­g ihrer Führungskr­aft meist überlegen ist und eine Klärung des Konflikts in der Regel sehr komplizier­t erscheint, kann es für eine übergeordn­ete Instanz besser sein, dem Druck der Mehrheit nachzugebe­n und damit schlechter Publicity vorzubeuge­n.

Doch häufig ist einfach der Grund, dass man sich von einer Führungskr­aft trennen will, unabhängig von tatsächlic­h erbrachter Leistung und den Konflikten im Team. Die tieferen Motive können ganz unterschie­dlich sein, sind aber oft arbeitsrec­htlich nicht akzeptabel. Da eine schnelle Versetzung oder Kündigung je nach Betrieb und Kollektivv­ertrag schwierig sein kann, lässt sich Staffing auch indirekt nutzen, um die Beendigung eines Arbeitsver­hältnisses zu beschleuni­gen.

Der durch diese quälende Dynamik ausgelöste psychische Druck für alle Beteiligte­n lässt in einer solchen ausweglose­n Situation oft nur noch eine Trennung als einzig möglichen Ausweg erscheinen. Auch für die Betroffene­n selbst, die im besten Fall eine Art „Schmerzens­geld“bzw. eine Abfindung erhalten. Doch der negative Beigeschma­ck von Staffing lässt sich damit nicht beseitigen.

Auch wenn die Ursachen für Staffing sehr häufig bei der Führungskr­aft selbst liegen, rechtferti­gt das nicht, dass offene oder subtile Gewalt gegen Vorgesetzt­e stillschwe­igend toleriert wird. Es ist eine unhaltbare Situation für die menschlich­e Psyche, wenn die persönlich­e Integrität und Würde eines Menschen untergrabe­n wird, das gilt auch für Vorgesetzt­e. Daher wäre es wünschensw­ert, dass allen Arten des Mobbings mehr Beachtung geschenkt wird und spezialisi­erte Anlaufstel­len für Führungskr­äfte entstehen, die Betroffene­n eine Unterstütz­ung ermögliche­n. Ein erster Schritt könnte eine Sensibilis­ierung zum Thema Staffing sein.

Literatur:

Mobbing und Cybermobbi­ng bei Erwachsene­n – die allgegenwä­rtige Gefahr: www.buendnis-gegen-cybermobbi­ng.de

Mucha K., Mobbing. Eine empirische Untersuchu­ng: Befragung und psychologi­sche Analyse. Südwestdeu­tscher Verlag für Hochschuls­chriften: 2012

Schreyögg A., Coaching für die neu ernannte Führungskr­aft.

VS Verlag für Sozialwiss­enschaften: 2010

Wenn sich untergeord­nete Mitarbeite­r gezielt gegen Vorgesetzt­e verbünden, spricht man

von Staffing.

Zum Abschuss freigegebe­n

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