Die Poetik des Unheimlichen
Véronique Kolber offenbart durch ihre Aufnahmen die unsichtbaren Bilder im Kopf
Ein ins melancholische Licht der Abendsonne getauchter Swimmingpool, dessen Wasseroberfläche kein Lüftchen regt; ein altmodisches Tastentelefon, das die Hände Tausender Unbekannter in einem Hotelzimmer schon flüchtig berührt haben; eine von Geisterhand bewegte Gardine, die sich wie ein Trauerschleier über die Welt legt und sie wie einen verschwommenen Traum erscheinen lässt, – die Aufnahmen, denen der Besucher aktuell im Ratskeller begegnet, haben etwas bestechend Gewohntes. Unzählige Male hat der Betrachter ähnliche Bilder, bewegt oder im Moment eingefangen bereits gesehen. Und dennoch. Schnell weicht die anfängliche Vertrautheit dieser klischeehaften Wirklichkeit einem mulmigen Gefühl. Liegt es daran, dass keine Menschenseele diese Realitätsfetzen bevölkert? Oder am gedämpften Farbenspiel? Tatsächlich deutet nichts auf eine Bedrohung hin, doch ein unbestimmtes Gefühl der Angst, gar des stummen Grauens macht sich breit.
Als passende Einstimmung zur 10. Ausgabe des „Luxembourg City Film Festival“, das am 5. März startet, lädt das Cercle Cité mit „fictious location spotting for a non-existing movie“, Aufnahmen, die Fotografin Véronique Kolber über acht Jahre in den USA machte, zu einer kinematografischen Erkundung des Unterbewusstseins ein. Die drehbuchähnlichen Ausführungen, die Kolber mitliefert, eröffnen zwar mögliche Verständnisansätze, verwischen dabei aber zugleich die Pisten.
Großes Kino
Eine auf Wandtapetenformat vergrößerte Ansicht der vier Balkons eines Motels zieht nicht nur den Blick an, sie saugt den Betrachter förmlich auf – mit dem mulmigen
Gefühl, dass wenn er diese vom schleichenden Verfall gezeichnete Welt mental betritt, er vielleicht nie wieder in die beschauliche Realität der Luxemburger Hauptstadt zurückfinden wird.
Die visuellen Korrespondenzen, die Kolbers Fotografien im Betrachter hervorrufen, sind vielfältig. Das in die Jahre gekommene Waschbecken mit fein säuberlich aufgereihten „single serving“pflegeprodukten mutet wie ein wahr gewordenes Gemälde von Lucian Freud an. Nicht von ungefähr, denn beide Künstler verbindet eine Nüchternheit, die, weil sie nichts Ästhetisierendes hat, plötzlich ihre ganze Poetik offenbart.
Vertraute, ja geradezu banale Gegenstände und Kulissen des Alltags, wie eine in die Jahre gekommene Hotelrezeption oder ein amerikanisches Diner-interieur, entwickeln plötzlich ein beunruhigendes Eigenleben – so als ob sie sich durch das genaue Betrachten diesem immer mehr entziehen.
Andere Objekte, wie eine blutrote Scheune sind so von einer Symbolkraft besetzt, dass sie aus der Situation heraus nicht nur Stimmungen schaffen, sondern sogleich ganze Erzähldynamiken lostreten. Dass bereits in jungen
Jahren Véronique Kolbers Fantasie von Horrormeister Stephen King beflügelt wurde, ist nicht nur an den abgegriffenen Rücken von dessen Romanen zu erkennen, die zum prekär aufgestapelten Türmchen neben dem grünen Samtsessel stehen, sondern auch an den Assoziationen und Emotionen, die dieses eine Scheunenbild auslöst.
Abgesehen von besagtem Sessel und einer Schreibmaschine verzichtet Ausstellungskommissarin Anouk Wies auf jegliche ablenkende räumliche Inszenierung der Aufnahmen: die richtige Wahl.
Fotografin Kolber, als „Découvertes – Jeunes Talents“des Centre national de l’audiovisuel ausgezeichnet, zeigt erzählerische Reife, in der Klarheit, mit der sie die Faszination des Unheimlichen inszeniert. Wie ein guter Film überlässt sie es dem Betrachter, Gesehenes mit eigenen Ängsten und Traumata zu erfüllen. Genau so geht bekanntlich großes Kino ...
Noch bis zum 14. März im Ratskeller, Cercle Cité. Täglich von 11 bis 19 Uhr. Freier Eintritt. Führung durch die Ausstellung am 29. Februar sowie am 7. und 14. März, jeweils um 15 Uhr. Ein auf 100 Exemplare limitierter Katalog ist ebenfalls vor Ort erhältlich.
► www.veroniquekolber.com