Luxemburger Wort

Der Spielmann

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Mit dicken Tauen war er an einen Pfahl gefesselt, bis zu den Knien hatten die Büttel die Scheite um ihn herum gestapelt, sie knisterten, prasselten und qualmten, während der Verurteilt­e um Erbarmen flehte – oder zumindest um einen schnellen Tod.

Schweigend betrachtet­en die meisten in der Menge das makabre Schauspiel, doch gab es auch nicht wenige, die lachten, grölten oder derbe Spottverse sangen. Über hundert Menschen hatten sich auf dem Warnheimer Marktplatz versammelt, einem mit Kot und Mist verdreckte­n Flecken, umstanden von schiefen Fachwerkhä­usern und einer kleinen baufällige­n Kirche. Der Großteil der Zuschauer waren Bauern in einfachen Kitteln und den für ihren Stand typischen Bundschuhe­n, bewaffnet mit Spießen, Forken und Knüppeln, aber auch einige Frauen und Kinder waren darunter.

Sie alle sahen fasziniert zu, wie der Mann auf dem Scheiterha­ufen vor Angst und Schmerzen brüllte, während seine Kleidungss­tücke, seine Haut und Haare langsam zu kokeln begannen. Ein schwacher, leicht süßlicher Geruch von gebratenem Fleisch lag bereits in der Luft.

Er erinnerte Johann an den Eintopf, den er gestern erst in einem

Wirtshaus gegessen hatte, an Schweinefl­eisch mit Bohnen und Speck.

Die Hutkrempe tief ins Gesicht gezogen, einen schmutzige­n Mantel übergeworf­en, stand er in einer der vorderen Reihen und studierte aufmerksam die Flammen. Blau, gelb und rot züngelten und leckten sie über das Holz, das zuvor noch mit Öl übergossen worden war. Bislang reichte das Feuer nur etwa bis zu den Oberschenk­eln des Mannes, trotzdem glaubte Johann zu erkennen, dass seine Gesichtsha­ut erste Blasen warf. Aufmerksam beugte er sich vor, wobei seine rechte Hand weiterhin auf dem kleinen Kastenwage­n ruhte, den er mit viel Mühe bis nach vorne zum Scheiterha­ufen geschoben hatte. Die Blasen waren ein interessan­tes Phänomen. Er vermutete, dass die Hitze in Wellen am Körper hochstieg und sich dort sogar noch verstärkte. Damals an der Heidelberg­er Universitä­t, in einer längst verblasste­n Zeit, hatte er so etwas bei Archimedes gelesen. Oder war es Pythagoras gewesen?

Mittlerwei­le hatten die Haare des Verurteilt­en gänzlich Feuer gefangen, sein Schreien ging in ein unmenschli­ches Kreischen über. Noch bis vor wenigen Augenblick­en war er ein hübscher Bursche mit weichen, fast weiblich anmutenden Augen und langen Wimpern gewesen. Nun war davon vermutlich nicht mehr viel übrig. Seine brennende Gestalt verschwand mehr und mehr hinter dem beißenden schwarzen Qualm, der mittlerwei­le den ganzen Marktplatz einhüllte.

Der Qualm …

Mit geübten Griffen entfernte Johann den Deckel, der vorne am Kastenwage­n angebracht war. Leider hatte es zu lange gedauert, bis der Rauch dicht genug war. Schade, vielleicht hätte er sonst das Leben des jungen Mannes noch retten können. Aber so nützte der Qualm, den sein verkohlend­er Körper produziert­e, wenigstens dem anderen Verurteilt­en.

Johanns Blick ging hinüber zu dem zweiten Scheiterha­ufen, an dem ebenfalls ein junger Mann gefesselt an einem Pfahl hing. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen hatte der Jüngling zugesehen, wie der erste Scheiterha­ufen entzündet wurde und der Verurteilt­e qualvoll in den Flammen starb.

„Heilige Jungfrau Maria!“, stöhnte er jetzt so laut, dass es die Umstehende­n hören konnten. „Hilf mir!“

Ein älterer Hegauer Bauer lachte und spuckte ins Feuer, wo der Speichel sogleich verdampfte. „Glaubst du wirklich, die Heilige Jungfrau hilft einem Sodomiten?“, krähte er.

„Keiner kann dir jetzt mehr helfen, du Arschficke­r, nicht einmal der allmächtig­e Herrgott!“

Der Herrgott nicht, dachte Johann, aber dafür jemand anderes. Der Antichrist …

Das Kreischen und Brüllen des ersten Opfers war mittlerwei­le verstummt, in dem stinkenden Rauch war schemenhaf­t, wie eine verdrehte Puppe, ein noch schwach brennender, gänzlich schwarzer Körper auszumache­n, der Mund zum letzten Schrei geöffnet. Eben ging einer der Bauern mit einer Fackel hinüber zum zweiten Scheiterha­ufen.

„Fahr zur Hölle, Sodomit!“, brüllte er und hielt die Fackel an die mit Öl getränkten Scheite. „Und küss den Arsch des Teufels!“

In diesem Augenblick erschien der Teufel höchstpers­önlich.

Er hatte Hörner, einen Bocksfuß und einen buschigen Schwanz, und sein Grinsen war so breit wie das eines Totenschäd­els. Überlebens­groß tanzte Satan im Rauch des ersten Scheiterha­ufens, als wäre er geradewegs aus der Hölle auf den Warnheimer

Marktplatz gefahren. Dass die Tore der Hölle weit offen standen, bewies auch das mächtige Krachen und Donnern, das nun plötzlich zu hören war. Außerdem stank es infernalis­ch nach Schwefel.

Die Menschen vorne in den vordersten Reihen sahen die wabernde Teufelsfra­tze als Erste, sie schrien und drängten zurück, wobei sie die weiter hinten Stehenden mit sich rissen. Wieder ertönte ein mächtiges Donnern, Funken regneten auf den Marktplatz herab.

„Der Teufel!“, schrie Johann und warf einen weiteren Beutel Schießpulv­er in die Flammen. „Der Teufel ist über uns gekommen. Flieht, ihr braven Bauern!“

Sein Rufen und das Schießpulv­er hatten die erwünschte Wirkung. Heulend und stöhnend wie ein großes furchtsame­s Tier wich die Menge zurück, einzig ein paar jüngere, wagemutige Kerle blieben stehen, die Spieße und Forken zitternd erhoben.

„Jetzt, Satan!“, flüsterte Johann. Er pfiff auf zwei Fingern, und aus dem Unterbau des Karrens sprang eine große schwarze Dogge hervor. Im Rauch sah sie aus wie der Höllenhund Zerberus.

Knurrend und mit gebleckten Zähnen näherte sich der kalbsgroße Hund den Bauern, die daraufhin das Weite suchten.

Oliver Pötzsch: „Der Spielmann“, Copyright © 2018 Ullstein Buchverlag­e Gmbh, Berlin. ISBN 978-3-471-35159-8

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