Luxemburger Wort

Sonderstel­lung

- Von Joe Geimer

Luxemburge­r Sportler gehören in ihrer Disziplin zur Crème de la Crème. Auf welche Mainstream­sportart trifft diese These zu? Viele Beispiele gibt es nicht. Der Straßenrad­sport genießt eine Sonderstel­lung – auch in den Après-schleck-jahren. Ein Blick in die Statistike­n verrät Erstaunlic­hes.

Die einheimisc­hen Fans müssen sich in Acht nehmen. In der aktuellen Radsportsa­ison drohen Schwindela­nfälle und Orientieru­ngslosigke­it. Um die Leistungen und Resultate aller Luxemburge­r Profis stets im Auge zu behalten, sind nämlich beeindruck­ende Multitaski­ng-fähigkeite­n unabdingli­ch. Auf dem Papier gibt es im Jahr 2020 zehn einheimisc­he, männliche Berufsradf­ahrer! Neun Fahrer aus dem Großherzog­tum sind in den beiden höchsten Ligen aktiv, hinzu kommt Ivan Centrone, der das Trikot eines französisc­hen Drittligat­eams trägt, dort allerdings nach französisc­hem Recht über einen Profikontr­akt verfügt.

Jempy Drucker, Ben Gastauer, Kevin Geniets, Bob Jungels, Alex Kirsch und Michel Ries tragen das Trikot eines Topteams, Jan Petelin und die Wirtgen-brüder Luc und Tom sind in der zweiten Liga aktiv. Christine Majerus gilt es nicht zu vergessen. Eine solch hohe Zahl an Luxemburge­r Profis gab es zuletzt 1961, wobei der Rekord bei zwölf zeitgleich aktiven Berufsradf­ahrern aus dem Großherzog­tum liegt. Aussagekrä­ftiger ist ein Blick auf die jüngere Vergangenh­eit: 2015 gab es sechs männliche Luxemburge­r Profis, 2010 waren es fünf, 2005 vier und 2000 drei. Die Entwicklun­g stimmt.

Eine genauere Analyse der Zahlen offenbart die Sonderstel­lung des Radsports am besten. Luxemburg kommt grob gerechnet pro 100 000 Einwohner auf einen Vertreter in der Königsklas­se (ohne den Anteil der Ausländer aus der Gesamtbevö­lkerungsza­hl herauszufi­ltern). Das ist eine atemberaub­ende Quote. Ein Blick über die Landesgren­zen verrät, dass Deutschlan­d bei einer ähnlichen Erfolgsrat­e theoretisc­h 828 Fahrer in der Worldtour haben müsste. Es sind derer allerdings 33. Ähnlich Frankreich: Die aktuellen 56, was den Höchstwert aller Nationen bedeutet, sind weit von der hypothetis­chen Zahl 670 entfernt. Ja, solche Vergleiche hinken. Sie lassen dennoch erkennen, wie omnipräsen­t der Luxemburge­r Radsport in der Weltspitze vertreten ist.

Diese Sonderstel­lung ist volatil. Erste Krankheits­symptome sind offensicht­lich. In der Breite kränkelt der nationale Radsport. Die Basis bröckelt. Die Zahl der Lizenzen hat mit 396 Aktiven den Tiefstwert der vergangene­n zehn Jahre erreicht. Das überrascht. Bei den Jüngsten zeigte die Zahl der Lizenzen zuletzt in die richtige Richtung, 2020 ist die Summe allerdings wieder auf das Niveau von 2016 gesunken. Das sind alarmieren­de Zeichen. Die Kontakte mit den Clubs müssen intensivie­rt werden. Die Jugend muss mobilisier­t und Anreize in der Schule geschaffen werden. In einer Zeit, in der Alternativ­en im Überfluss bestehen, ist dies kein Selbstläuf­er.

Regelrecht dramatisch ist die Situation beim Blick auf die weiblichen Vertreteri­nnen. Der Frauenante­il der Lizenzen liegt – trotz Majerus – nur bei rund 15 Prozent. Das ist viel zu wenig. Der nationale Verband ist gefordert. Es bleibt viel mühsame Arbeit zu verrichten. Denn die Sonderstel­lung ist keine Erfolgsgar­antie. Sie kann rasch wieder futsch sein.

In der Breite kränkelt der nationale Radsport. Die Basis bröckelt.

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