Streitlustig in die erste Runde
Die britische Regierung geht mit der EU auf Konfrontationskurs – Boris Johnson könnte die Verhandlungen platzen lassen
Die britische Regierung gibt sich vor Beginn der Verhandlungen mit der EU streitlustig. Großbritannien werde sich weder irgendwelchen Eu-gesetzen unterwerfen noch eine Einschränkung bei der „regulatorischen Freiheit“in Kauf nehmen, teilte sie am Donnerstag mit. Premierminister Boris Johnson hat signalisiert, dass er bereit sei, die Verhandlungen scheitern zu lassen.
Am Donnerstag veröffentlichte die Regierung in London ihre Richtlinien für die bevorstehenden Verhandlungen mit der EU; die Gespräche über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und den europäischen Partnern nach der Brexit-übergangsphase werden am kommenden Dienstag offiziell beginnen. Zu Beginn des 30-seitigen Dokuments heißt es zwar, dass die Regierung „eine Beziehung auf der Grundlage freundlicher Zusammenarbeit“anstrebe. Aber der Inhalt ist knallhart.
Auf keinen Fall werde London eine Abmachung akzeptieren, bei der Großbritannien keine Kontrolle über die eigenen Gesetze und das „politische Leben“habe, steht darin. Das bedeute auch, dass der Europäische Gerichtshof nicht als Schiedsinstanz anerkannt werde. Im Zentrum der künftigen Beziehung soll ein umfassendes Freihandelsabkommen stehen,schreibt die Regierung, sodass Handelsgüter zollfrei ein- und ausgeführt werden können. Die Eu-institutionen sollen jedoch weder bei staatlichen Hilfsleistungen etwas zu sagen haben, noch will sich Großbritannien
von Brüssel vorschreiben lassen, welche Regulierungen beim Arbeitnehmer- und Umweltschutz gelten.
Dies widerspricht jedoch der politischen Erklärung, die dem Brexit-deal beigefügt worden ist und der Großbritannien im Oktober zugestimmt hat. Dort steht, dass ein „level playing field“beibehalten werden müsse – das heißt, dass Großbritannien nicht unilateral Regulierungen aufweichen darf, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Eu-chefunterhändler frustriert
Die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Verhandlungspartner dürften schon bald zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Am Dienstag zeigte sich Eu-chefunterhändler Michel Barnier frustriert, dass die Regierung in London offensichtlich Zusagen über Bord werfe, die sie bereits vor Monaten gegeben hatte. „Alle Worte zählen“, sagte Barnier am Dienstag und warnte Großbritannien, „nicht rückwärts zu gehen, wenn wir nach vorne gehen sollten.“
Auch zu Hause geriet Boris Johnson in die Kritik. Die Abgeordnete Caroline Lucas von den
Grünen warf ihm vor, absichtlich unmögliche Forderungen zu stellen: Die Regierung tue „alles, um ein Handelsabkommen mit der EU zu vermeiden“– die „Brexit-fanatiker“halten das Ruder fest in der Hand, sagte Lucas.
No Deal wird wahrscheinlicher
Die Möglichkeit, dass die Gespräche schon bald feststecken könnten, scheint Johnson tatsächlich einkalkuliert zu haben. Wenn die Verhandlungen „kein zufriedenstellendes Ergebnis“bringen, steht im Regierungsdokument, dann werde die Beziehung zur EU ab dem kommenden Jahr ähnlich aussehen wie jene zwischen dem Block und Australien. Das heißt im Klartext, dass der Handel größtenteils gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation gesteuert würde – mit anderen Worten: Es wäre ein No Deal.
Es ist gut möglich, dass Großbritannien seine harte Verhandlungsposition in den kommenden Monaten noch aufweicht. Aber viel Zeit bleibt nicht: Bis im Juni sollten die Grundlagen des Abkommens stehen, damit anschließend die Details ausgearbeitet werden können.