„Deutlich verschärft“
Die deutsche Regierung sieht die Republik am Beginn einer Corona-virus-epidemie
Der Deutsche Bundestag will ab kommendem Montag ganz normal tagen. Und weil es um immerhin sieben Milliarden Euro Umsatz geht, soll zwei Tage darauf auch die Internationale Tourismusbörse (ITB) starten wie jedes Jahr. Fast. Wer zur „COVID 19-Risikogruppe“gehört, darf als Aussteller nicht aufs Messegelände. Erst in Hubei, Ghom oder Norditalien – und dann zur weltgrößten Reiseschau? Streng verboten. Wer in Berlin Geschäfte machen will, muss zuvor schriftlich bestätigen, dass er kein Risiko für die Gesundheit anderer ist. Das Erstaunliche: Die erwarteten 160 000 Besucher müssen bislang überhaupt gar nichts garantieren.
Mit Logik kommt man in Sachen Corona-virus in Berlin und in ganz Deutschland aktuell nicht wirklich weit. Bislang sind zusammengenommen um die dreißig Infektionen nachgewiesen; die 14 ersten Erkrankten, alle aus Bayern, sind bereits wieder gesund. Und doch gehen in Apotheken und Drogeriemärkten Desinfektionssprays und Mundschutze aus, Discounter melden verstärkte Nachfrage nach Hygieneartikeln und haltbaren Lebensmitteln. Panik ist das noch nicht; aber so etwas wie ihre Vorstufe.
Und es gibt ja Gründe für zumindest Besorgnis. Schon am Mittwochabend hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) konstatiert, Deutschland befinde sich „am Beginn einer Epidemie“. Am Donnerstagmittag dann erklärt er, es gebe nun einen Krisenstab der Bundesregierung.
Anlass ist die Infektion eines Ehepaars aus einem kleinen Ort an der deutsch-niederländischen
Grenze. Die beiden hatten am vergangenen Wochenende eine Karnevalsveranstaltung besucht – zusammen mit 300 bis 400 weiteren Gästen. Bis Donnerstagnachmittag sind vier weitere Infektionen nachgewiesen; und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das erst der Anfang ist.
Was Spahn und Innenminister Horst Seehofer (CSU) besorgt: Noch ist der sogenannte Patient Null nicht identifiziert – die Infektionsquelle des Ehepaars also. In Baden-württemberg, wo es ebenfalls einen Covid 19-Ausbruch gibt, dagegen weiß man: Der erste Erkrankte, ein junger Mann, hat sich wohl in Mailand infiziert.
Am späten Vormittag konstatiert der Präsident des Robertkoch-instituts (RKI), der obersten Bundesbehörde für Infektionskrankheiten, ein „sehr dynamisches Geschehen“. Das neue Corona-virus, so Lothar Wieler, übertrage sich sehr früh und sehr leicht, sei bislang ohne Therapeutik und ohne Impfstoff – und dazu fünf- bis zehnmal häufiger tödlich als etwa das Influenza-virus.
Und doch sagt Wieler auch: „Nein, das ist noch nicht außer Kontrolle.“Und die bisherige Strategie sei richtig und wirke ja auch: Möglichst schnell möglichst alle Kontaktpersonen finden, informieren, testen und in Quarantäne
nehmen. Einsicht und Freiwilligkeit sind gut; aber das deutsche Infektionsschutzgesetz erlaubt bei fehlender Einsicht auch die Einschränkung der Grundrechte – selbst der Freiheit der Person und der Unverletzlichkeit der Wohnung.
Zuständig für derlei Anordnungen sind die Kreis- und Stadtbehörden. Der Föderalismus – die Verteilung der Kompetenzen – bedeutet, dass die Bundesregierung sich mit 16 Ländern abstimmen muss und die sich dann wieder mit Landkreisen und Städten; das kann Prozesse sehr verlangsamen. Diesmal nicht, beteuern Spahn und Seehofer. Ihr akutes Ziel: Nicht nur
„die Infektionsketten in Deutschland unterbinden“, sondern vor allem die „nach Deutschland in den Griff bekommen“. Unter anderem sollen deshalb ab sofort die etwa 10 000 Zuwanderer und Asylbewerber, die monatlich einreisen, frühzeitig getestet werden. Und jeder, der nach einer grenzüberschreitenden Reise in einem öffentlichen Verkehrsmittel deutschen Boden betritt, soll eine sogenannte Ankunftskarte ausfüllen; damit man im Infektionsfall die Kontaktpersonen kennt. Indes: Nur für Flugzeuge und Schiffe kann die Bundesregierung das anordnen; für Bahnen und Busse setzt sie ab heute auf eine freiwillige Selbstverpflichtung.
Mit Logik kommt man in Sachen Corona-virus in Deutschland aktuell nicht wirklich weit.
Man wolle, so Seehofer, „Aktionismus vermeiden“. Aber die Herausforderungen können rasch wachsen. In den Kliniken hofft Spahn auf die bundesweit 28 000 Intensivbetten. Aber was ist, wenn nächstens in der Champions League Juventus Turin in München spielt? Hält man dann die italienischen Fans fern und die Stadien leer? Seehofer sagt, er sei grundsätzlich immer „für mehr Schutz und Prävention als die wissenschaftlichen Erkenntnisse vermitteln“. Aber hier bleibt er die Antwort schuldig. Vielleicht macht ihn ja die ITB klüger. So sie denn wirklich stattfindet.