Italiens Regierung rudert zurück
Besonders umstrittene Maßnahmen gegen das Corona-virus werden zurückgenommen
Geschlossene Lokale, gestrichene Flüge, verschobene oder abgesagte Frühlingsmessen, leere Geschäfte und verwaiste Straßen und Plätze – für Tausende Unternehmen und ganz besonders für den Tourismus hat die Ausbreitung des Corona-virus in Italien verheerende Auswirkungen. Und entsprechend liegen die Nerven der Unternehmer und Geschäftsleute allmählich blank. „Wir brauchen dringend wieder so etwas wie Normalität“, betont Luciano Cimmino, Gründer und Besitzer der Modelabels Yamamay und Jaked und des Reise- und Handtaschenherstellers Carpisa. „Die Situation wird zunehmend absurd: Inzwischen haben sogar unsere chinesischen Geschäftspartner Angst vor uns und sagen, dass sie in den nächsten Monaten nicht mehr nach Italien kämen.“
Die Unternehmer, aber auch die Gewerkschaften, befinden sich seit Tagen auf den Barrikaden und fordern von der Regierung, dass einige der einschneidendsten Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-virus gelockert oder ganz zurückgenommen werden. Auch von politischer Seite kommt zunehmend Kritik – bemängelt werden weniger die Maßnahmen als solche, sondern vor allem die Art und Weise, wie sie von Rom aus kommuniziert worden sind. „Wegen dieses wahnwitzigen kommunikativen Eigentors riskieren wir ein wirtschaftliches Desaster ohnegleichen, einen enormen Imageschaden im Ausland“, betonte gestern der frühere Regierungschef Matteo Renzi. Nun müssten „auf breiter Front“Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ergriffen werden.
Quarantänemaßnahmen sind
„rigoros, aber flexibel“
Die Regierung von Giuseppe Conte hat die Alarmrufe gegen den von Rom aus verbreiteten „Alarmismus“zumindest teilweise erhört. Zivilschutzchef Angelo Borrelli hatte nach einer Krisensitzung bereits am Mittwoch bekannt gegeben, dass in Zukunft nur noch Personen mit Symptomen auf das Virus getestet würden – bisher sind Tausende vermeintliche Verdachtsfälle, die im Entferntesten Kontakt mit Infizierten gehabt haben könnten, getestet worden. „Das Leben in Italien muss weitergehen“, betonte auch Regierungschef Conte.
Die Quarantänemaßnahmen, die mit den betroffenen Regionen vereinbart worden seien, „sind zwar sehr rigoros, aber sie sind flexibel in der Anwendung“. Neben der Strategieänderung bei den Virustests hat die Regierung auch erste Lockerungen bei den umstrittensten Quarantänemaßnahmen beschlossen. So dürfen in der Lombardei – außer in den abgeriegelten „roten Zonen“– die Bars und Restaurants nun auch wieder nach 18 Uhr geöffnet bleiben.
WHO lobt italienische
Anstrengungen
Die Maßnahme hatte insbesondere in Mailand die abendliche „Movida“praktisch zum Erliegen gebracht – und die Barbesitzer und Wirte fragten sich nicht ganz ohne Grund, warum denn die Ansteckungsgefahr nach Sonnenuntergang höher sei als vorher. Auch die Museen werden voraussichtlich wieder ihre Türe öffnen. Erwogen wird außerdem, den Schulbetrieb
am Montag wieder aufnehmen zu lassen – doch vor dem definitiven Entscheid wollen die Behörden abwarten, wie sich die Epidemie über das Wochenende entwickelt.
Positiv bewertet werden die von der italienischen Regierung erlassenen drastischen Quarantänemaßnahmen von der Weltgesundheitsorganisation WHO, weil sie „den globalen Strategien zur Eindämmung von Epidemien“entsprächen, betonte der Europa-direktor der WHO, Hans Kluge. Um erfolgreich zu sein, habe Rom „resolute“Entscheidungen treffen müssen, die aber korrekt seien. Auch die Eu-gesundheitskommissarin Stella Kyriakides lobte die italienische Regierung: Die rasche Reaktion der Behörden habe maßgeblich dazu beigetragen, die vom Corona-virus ausgehende Gefahren für die Bevölkerung zu vermindern.
Wegen dieses wahnwitzigen kommunikativen Eigentors riskieren wir ein wirtschaftliches Desaster.
Ex-regierungschef Matteo Renzi