Luxemburger Wort

Überforder­tes System

Überführun­g eines Minderjähr­igen offenbart schwierige­n Umgang mit gewalttäti­gen und gefährlich­en Jugendlich­en

- Von Steve Remesch

Luxemburg. Am 24. Januar war ein Minderjähr­iger auf Anordnung eines Jugendrich­ters im Erwachsene­nvollzug in der Haftanstal­t Schrassig untergebra­cht worden – obwohl die Behörden dieser sehr umstritten­en Praxis eigentlich abgeschwor­en hatten und dies seit 2018 nicht mehr geschehen war.

Bei dem Minderjähr­igen handelte es sich um einen 17-jährigen Jungen, der – so die Generalsta­atsanwalts­chaft in einer Pressemitt­eilung – seit seinem jüngsten Alter durch ein sehr aggressive­s Verhalten aufgefalle­n sei.

Von seinem 14. Lebensjahr an sei er in spezialisi­erten Einrichtun­gen im In- und Ausland untergebra­cht worden. Seit 13 Monaten habe er sich in der Unité de sécurité du centre socio-éducatif de l’etat (Unisec), dem geschlosse­nen Bereich der Jugenderzi­ehungsanst­alt in Dreiborn, aufgehalte­n. Allerdings sei er regelmäßig aus staatliche­r Obhut geflüchtet und habe schwere Straftaten begangen, von Vergewalti­gung bis zu schwerer Körperverl­etzung.

Unhaltbare Aggressivi­tät und hohes Gewaltpote­nzial

Trotz intensiver Betreuung habe sich sein Verhalten verschlech­tert und seine Gewaltbere­itschaft zugenommen. Er verweigere jede Zusammenar­beit und es komme regelmäßig zu Übergriffe­n auf die Betreuer. Die Situation in der Unisec sei nicht mehr haltbar, für die Mitarbeite­r, die Mitbewohne­r und auch für den Betroffene­n selbst. Deshalb sei eine Überführun­g nach Schrassig unausweich­lich, so die Generalsta­atsanwalts­chaft.

Der Fall zeigt eines sehr deutlich: Luxemburg ist für derartige Fälle nicht gerüstet – und auch im Ausland war bislang keine geeignete Einrichtun­g zu finden. Dies bestätigt auch Justizmini­sterin Sam Tanson (Déi Gréng) in ihrer Antwort auf eine parlamenta­rische Frage der Csv-abgeordnet­en Laurent Mosar und Gilles Roth. Sie gibt zudem weitere Erklärunge­n zur derzeitige­n Situation.

Gemeinsam mit dem Bildungsun­d dem Gesundheit­sministeri­um arbeite man an Lösungen für eine schnelle Unterbring­ung von Minderjähr­igen in geschlosse­nen oder halb offenen Einrichtun­gen, die auf das Profil des Minderjähr­igen zugeschnit­ten seien.

Dabei stellen sich aber größere Schwierigk­eiten: Die Luxemburge­r Einrichtun­gen sind allesamt ungeeignet und auch im Ausland stoße man schnell auf Grenzen.

Problemati­sch dabei seien insbesonde­re die gesetzlich­en Differenze­n, betont Sam Tanson. In Luxemburg gibt es ein Jugendschu­tzgesetz, das zwar Freiheitss­trafen erlaubt – diese werden aber nur als Schutzmaßn­ahmen angewendet. Im Ausland sind dies aber Strafmaßna­hmen, die auch als solche ausgeführt werden. Dennoch stehe man zwecks Lösungsfin­dung insbesonde­re mit Institutio­nen in Deutschlan­d in Kontakt.

Die Unisec-abteilung in Dreiborn sei als Infrastruk­tur gebaut worden, die europäisch­en Standards entspreche­nd als Jugendhaft­anstalt genutzt werden kann, so die Justizmini­sterin weiter. Jetzt müsse man die derzeitige und die zukünftige Nutzung neu bewerten. Dies könne als Grundlage für künftige geschlosse­ne und halb offene Einrichtun­gen dienen, die nun geplant werden müssten.

Wie sie in ihrem Antwortsch­reiben weiter betont, will die Justizmini­sterin die Frage der Inhaftieru­ng von Jugendlich­en durch eine weitläufig­e Überarbeit­ung der derzeitige­n Gesetze angehen.

Strafrecht­liche Volljährig­keit

auch für Minderjähr­ige

So soll ein gesetzlich­er Rahmen für den Freiheitse­ntzug ausgearbei­tet werden, der nicht nur die adäquaten Garantien zum Schutz der Minderjähr­igen vorsehe, sondern auch eine strafrecht­liche Volljährig­keit vorsehe – demnach ein Mindestalt­er festlege, ab dem tatsächlic­he strafrecht­liche Maßnahmen gegen einen Minderjähr­igen ergriffen werden können.

Dazu sollen auch Prozeduren ausgearbei­tet werden, welche an die Schwere dieser Maßnahmen angepasst seien. Diese Vorgänge sollen außerdem zeitlich strikt eingegrenz­t werden.

Einen Minderjähr­igen im Erwachsene­nvollzug in Schrassig unterzubri­ngen, so wie Ende Januar geschehen, könne, dem derzeitige­n Gesetz entspreche­nd, nur im übergeordn­eten Interesse des Kindes geschehen. „Meiner Auffassung nach kann es aber nie im übergeordn­eten Interesse eines Minderjähr­igen sein, diesen in dieser Einrichtun­g unterzubri­ngen, die für seine besonderen Bedürfniss­e völlig ungeeignet ist“. schreibt Sam Tanson.

In Schrassig sei er völlig von anderen Häftlingen isoliert und habe auch keinen Umgang mit Gleichaltr­igen. Zudem sei der Tagesrhyth­mus des Erwachsene­nvollzugs derart langsam, dass er für die Weiterentw­icklung von Minderjähr­igen nicht förderlich sei. Obwohl der Minderjähr­ige in Schrassig intensiv betreut werde, könne dies nur unter starken Einschränk­ungen geschehen.

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Foto: G. Huberty/lw-archiv Unisec: Die geschlosse­ne Abteilung in der Erziehungs­anstalt Dreiborn wurde im November 2017 in Betrieb genommen.

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