Überfordertes System
Überführung eines Minderjährigen offenbart schwierigen Umgang mit gewalttätigen und gefährlichen Jugendlichen
Luxemburg. Am 24. Januar war ein Minderjähriger auf Anordnung eines Jugendrichters im Erwachsenenvollzug in der Haftanstalt Schrassig untergebracht worden – obwohl die Behörden dieser sehr umstrittenen Praxis eigentlich abgeschworen hatten und dies seit 2018 nicht mehr geschehen war.
Bei dem Minderjährigen handelte es sich um einen 17-jährigen Jungen, der – so die Generalstaatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung – seit seinem jüngsten Alter durch ein sehr aggressives Verhalten aufgefallen sei.
Von seinem 14. Lebensjahr an sei er in spezialisierten Einrichtungen im In- und Ausland untergebracht worden. Seit 13 Monaten habe er sich in der Unité de sécurité du centre socio-éducatif de l’etat (Unisec), dem geschlossenen Bereich der Jugenderziehungsanstalt in Dreiborn, aufgehalten. Allerdings sei er regelmäßig aus staatlicher Obhut geflüchtet und habe schwere Straftaten begangen, von Vergewaltigung bis zu schwerer Körperverletzung.
Unhaltbare Aggressivität und hohes Gewaltpotenzial
Trotz intensiver Betreuung habe sich sein Verhalten verschlechtert und seine Gewaltbereitschaft zugenommen. Er verweigere jede Zusammenarbeit und es komme regelmäßig zu Übergriffen auf die Betreuer. Die Situation in der Unisec sei nicht mehr haltbar, für die Mitarbeiter, die Mitbewohner und auch für den Betroffenen selbst. Deshalb sei eine Überführung nach Schrassig unausweichlich, so die Generalstaatsanwaltschaft.
Der Fall zeigt eines sehr deutlich: Luxemburg ist für derartige Fälle nicht gerüstet – und auch im Ausland war bislang keine geeignete Einrichtung zu finden. Dies bestätigt auch Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Frage der Csv-abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth. Sie gibt zudem weitere Erklärungen zur derzeitigen Situation.
Gemeinsam mit dem Bildungsund dem Gesundheitsministerium arbeite man an Lösungen für eine schnelle Unterbringung von Minderjährigen in geschlossenen oder halb offenen Einrichtungen, die auf das Profil des Minderjährigen zugeschnitten seien.
Dabei stellen sich aber größere Schwierigkeiten: Die Luxemburger Einrichtungen sind allesamt ungeeignet und auch im Ausland stoße man schnell auf Grenzen.
Problematisch dabei seien insbesondere die gesetzlichen Differenzen, betont Sam Tanson. In Luxemburg gibt es ein Jugendschutzgesetz, das zwar Freiheitsstrafen erlaubt – diese werden aber nur als Schutzmaßnahmen angewendet. Im Ausland sind dies aber Strafmaßnahmen, die auch als solche ausgeführt werden. Dennoch stehe man zwecks Lösungsfindung insbesondere mit Institutionen in Deutschland in Kontakt.
Die Unisec-abteilung in Dreiborn sei als Infrastruktur gebaut worden, die europäischen Standards entsprechend als Jugendhaftanstalt genutzt werden kann, so die Justizministerin weiter. Jetzt müsse man die derzeitige und die zukünftige Nutzung neu bewerten. Dies könne als Grundlage für künftige geschlossene und halb offene Einrichtungen dienen, die nun geplant werden müssten.
Wie sie in ihrem Antwortschreiben weiter betont, will die Justizministerin die Frage der Inhaftierung von Jugendlichen durch eine weitläufige Überarbeitung der derzeitigen Gesetze angehen.
Strafrechtliche Volljährigkeit
auch für Minderjährige
So soll ein gesetzlicher Rahmen für den Freiheitsentzug ausgearbeitet werden, der nicht nur die adäquaten Garantien zum Schutz der Minderjährigen vorsehe, sondern auch eine strafrechtliche Volljährigkeit vorsehe – demnach ein Mindestalter festlege, ab dem tatsächliche strafrechtliche Maßnahmen gegen einen Minderjährigen ergriffen werden können.
Dazu sollen auch Prozeduren ausgearbeitet werden, welche an die Schwere dieser Maßnahmen angepasst seien. Diese Vorgänge sollen außerdem zeitlich strikt eingegrenzt werden.
Einen Minderjährigen im Erwachsenenvollzug in Schrassig unterzubringen, so wie Ende Januar geschehen, könne, dem derzeitigen Gesetz entsprechend, nur im übergeordneten Interesse des Kindes geschehen. „Meiner Auffassung nach kann es aber nie im übergeordneten Interesse eines Minderjährigen sein, diesen in dieser Einrichtung unterzubringen, die für seine besonderen Bedürfnisse völlig ungeeignet ist“. schreibt Sam Tanson.
In Schrassig sei er völlig von anderen Häftlingen isoliert und habe auch keinen Umgang mit Gleichaltrigen. Zudem sei der Tagesrhythmus des Erwachsenenvollzugs derart langsam, dass er für die Weiterentwicklung von Minderjährigen nicht förderlich sei. Obwohl der Minderjährige in Schrassig intensiv betreut werde, könne dies nur unter starken Einschränkungen geschehen.