Im Zeichen eines Doppelmordes
Parlamentswahlen in der Slowakei: Nur ein Thema beherrscht den Wahlkampf
Ein Wendepunkt? Eine Abrechnung? Ein Erdrutsch nach rechts? Verharren im Status quo? Am Samstag wird in der Slowakei ein neues Parlament gewählt – erstmals nach einem Verbrechen, das das politische Spektrum des Landes von Grund auf umgekrempelt hat. Ein historisches Votum. Eines aber, dass auch mit großen Befürchtungen einhergeht. Denn – das sei vorausgeschickt – vor allem der extremen Rechten (und die verdient in der Slowakei durchaus diese Bezeichnung) wird ein fulminantes Ergebnis vorausgesagt.
Genau zwei Jahre ist es her, dass der Investigativjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova in ihrem Haus erschossen wurden. Kuciak hatte zu heiklen Themen recherchiert: Korruption auf höchsten Ebenen, der Hinterziehung von Eu-fördergeldern, Aktivitäten der italienischen Mafia vor allem in der Ostslowakei. Und was dann im Zuge der Mordermittlungen schließlich auch zutage kam, übertraf auch die Vermutungen von Pessimisten.
Mafiöse Strukturen
Was sich da abzeichnete, war das Bild eines Mafiastaates: ein Sumpf aus politischen Akteuren, Wirtschaftstreibenden, organisiertem Verbrechen, Nepotismus in den obersten Rängen der slowakischen Politik, käuflichen Richtern von Bratislava im Westen bis ganz in den Osten des Landes. Kurz: Ein Netzwerk aus Abhängigkeiten zwischen den politisch mächtigsten Personen des Staates und den wichtigsten Wirtschaftstreibenden. Und im Zentrum dieses Netzwerks: der damalige Premier Robert Fico.
Extreme Rechte im Aufwind
Der Kandidat und Abgeordnete Martin Klus von der Mitte-rechtspartei SAS beschreibt es so: Ein bisher als Verbrechen ohne wirkliche Geschädigte betrachtetes Delikt – nämlich Korruption – habe mit dem Fall Kuciak plötzlich ein Opfer gefordert. Ein milchgesichtiges noch dazu. Ein junger Mann mit Flaum um den Mund, Brille, gerade einmal 27 Jahre alt, engagiert, gescheit, schlau, zusammen mit seiner Lebensgefährtin niedergestreckt von einem Auftragskiller, einem ehemaligen Soldaten, mit gezielten Schüssen.
Vorgezogene Neuwahlen konnte Fico trotz einer massiven Protestwelle abwenden, zurücktreten musste er aber. Und nach wie vor ist er ein bestimmender Mann in der sozialdemokratischen SMER-SD – nur eben hinter den Kulissen.
Aber der Fall hat seine Spuren hinterlassen, die Slowakei verändert. In vielerlei Hinsicht. Bei der Präsidentenwahl im März 2019 erlitt die SMER-SD eine herbe Niederlage. Als Siegerin ging die progressiv-liberale Zuzana Caputova hervor. Eine kleine Sensation in der konservativen Slowakei. Und bei der Eu-wahl im Mai 2019 rasselte die SMER-SD um ganze acht Prozent hinunter.
Zugleich aber legte auch die extreme Rechte zu. Und da vor allem eine Partei, deren Chef ganz offen gegen Roma wettert, den Aufstand slowakischer Patrioten gegen die Nazis 1944 verteufelt und den Juden als „Teufel in Menschenhaut“bezeichnet hat: Die „Volkspartei Unsere Slowakei“unter Marian Kotleba. Ganze zehn Prozent holte der in der ersten Runde der Präsidentenwahl. Und auch für den Samstag erinnert deren Auftreten eher an eine paramilitärische Gruppe als an eine Partei, denen auch dieses Mal zehn Prozent der Stimmen vorausgesagt werden. Der Kandidat und Abgeordnete Klus spricht von einer generellen Enttäuschung in die Zentrumsparteien und vom Wunsch nach „neuem Blut“im politischen Leben, die die Wahl bestimmen würden. Das zum einen. Das Groteske daran, wie er sagt: Dass zum anderen aber eben auch die SMER-SD Ficos nach wie vor starken Rückhalt in breiten Teilen der Bevölkerung genieße.
Denn daran, dass die SMER-SD auch diesmal wieder stimmenstärkste Partei wird, hegen Meinungsforscher keinen Zweifel. Allerdings bahnt sich eine komplizierte Regierungsbildung an. Und Fico hat in den Jahren seiner Regentschaft eines bewiesen: Dass er gewillt ist, sehr weit zu gehen, wenn es um Bündnisse zum Machterhalt geht und dass er zu diesem Zweck auch gerne selbst einmal antisemitische oder extrem fremdenfeindliche Parolen auspackt.