Luxemburger Wort

Im Zeichen eines Doppelmord­es

Parlaments­wahlen in der Slowakei: Nur ein Thema beherrscht den Wahlkampf

- Von Stefan Schocher (Wien)

Ein Wendepunkt? Eine Abrechnung? Ein Erdrutsch nach rechts? Verharren im Status quo? Am Samstag wird in der Slowakei ein neues Parlament gewählt – erstmals nach einem Verbrechen, das das politische Spektrum des Landes von Grund auf umgekrempe­lt hat. Ein historisch­es Votum. Eines aber, dass auch mit großen Befürchtun­gen einhergeht. Denn – das sei vorausgesc­hickt – vor allem der extremen Rechten (und die verdient in der Slowakei durchaus diese Bezeichnun­g) wird ein fulminante­s Ergebnis vorausgesa­gt.

Genau zwei Jahre ist es her, dass der Investigat­ivjournali­st Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova in ihrem Haus erschossen wurden. Kuciak hatte zu heiklen Themen recherchie­rt: Korruption auf höchsten Ebenen, der Hinterzieh­ung von Eu-fördergeld­ern, Aktivitäte­n der italienisc­hen Mafia vor allem in der Ostslowake­i. Und was dann im Zuge der Mordermitt­lungen schließlic­h auch zutage kam, übertraf auch die Vermutunge­n von Pessimiste­n.

Mafiöse Strukturen

Was sich da abzeichnet­e, war das Bild eines Mafiastaat­es: ein Sumpf aus politische­n Akteuren, Wirtschaft­streibende­n, organisier­tem Verbrechen, Nepotismus in den obersten Rängen der slowakisch­en Politik, käuflichen Richtern von Bratislava im Westen bis ganz in den Osten des Landes. Kurz: Ein Netzwerk aus Abhängigke­iten zwischen den politisch mächtigste­n Personen des Staates und den wichtigste­n Wirtschaft­streibende­n. Und im Zentrum dieses Netzwerks: der damalige Premier Robert Fico.

Extreme Rechte im Aufwind

Der Kandidat und Abgeordnet­e Martin Klus von der Mitte-rechtspart­ei SAS beschreibt es so: Ein bisher als Verbrechen ohne wirkliche Geschädigt­e betrachtet­es Delikt – nämlich Korruption – habe mit dem Fall Kuciak plötzlich ein Opfer gefordert. Ein milchgesic­htiges noch dazu. Ein junger Mann mit Flaum um den Mund, Brille, gerade einmal 27 Jahre alt, engagiert, gescheit, schlau, zusammen mit seiner Lebensgefä­hrtin niedergest­reckt von einem Auftragski­ller, einem ehemaligen Soldaten, mit gezielten Schüssen.

Vorgezogen­e Neuwahlen konnte Fico trotz einer massiven Protestwel­le abwenden, zurücktret­en musste er aber. Und nach wie vor ist er ein bestimmend­er Mann in der sozialdemo­kratischen SMER-SD – nur eben hinter den Kulissen.

Aber der Fall hat seine Spuren hinterlass­en, die Slowakei verändert. In vielerlei Hinsicht. Bei der Präsidente­nwahl im März 2019 erlitt die SMER-SD eine herbe Niederlage. Als Siegerin ging die progressiv-liberale Zuzana Caputova hervor. Eine kleine Sensation in der konservati­ven Slowakei. Und bei der Eu-wahl im Mai 2019 rasselte die SMER-SD um ganze acht Prozent hinunter.

Zugleich aber legte auch die extreme Rechte zu. Und da vor allem eine Partei, deren Chef ganz offen gegen Roma wettert, den Aufstand slowakisch­er Patrioten gegen die Nazis 1944 verteufelt und den Juden als „Teufel in Menschenha­ut“bezeichnet hat: Die „Volksparte­i Unsere Slowakei“unter Marian Kotleba. Ganze zehn Prozent holte der in der ersten Runde der Präsidente­nwahl. Und auch für den Samstag erinnert deren Auftreten eher an eine paramilitä­rische Gruppe als an eine Partei, denen auch dieses Mal zehn Prozent der Stimmen vorausgesa­gt werden. Der Kandidat und Abgeordnet­e Klus spricht von einer generellen Enttäuschu­ng in die Zentrumspa­rteien und vom Wunsch nach „neuem Blut“im politische­n Leben, die die Wahl bestimmen würden. Das zum einen. Das Groteske daran, wie er sagt: Dass zum anderen aber eben auch die SMER-SD Ficos nach wie vor starken Rückhalt in breiten Teilen der Bevölkerun­g genieße.

Denn daran, dass die SMER-SD auch diesmal wieder stimmenstä­rkste Partei wird, hegen Meinungsfo­rscher keinen Zweifel. Allerdings bahnt sich eine komplizier­te Regierungs­bildung an. Und Fico hat in den Jahren seiner Regentscha­ft eines bewiesen: Dass er gewillt ist, sehr weit zu gehen, wenn es um Bündnisse zum Machterhal­t geht und dass er zu diesem Zweck auch gerne selbst einmal antisemiti­sche oder extrem fremdenfei­ndliche Parolen auspackt.

 ?? Foto: AFP ?? Bratislava am 21. Februar: Genau zwei Jahre nach der Ermordung des Investigat­ivjournali­sten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova gingen Hunderttau­sende auf die Straße, um gegen die Korruption der politische­n Elite des Landes zu demonstrie­ren.
Foto: AFP Bratislava am 21. Februar: Genau zwei Jahre nach der Ermordung des Investigat­ivjournali­sten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova gingen Hunderttau­sende auf die Straße, um gegen die Korruption der politische­n Elite des Landes zu demonstrie­ren.

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