Luxemburger Wort

Das Schweigen der Waffen

Geht es nach Afrikas Regierungs­chefs, sollen bewaffnete Konflikte auf dem Kontinent bis 2021 der Vergangenh­eit angehören

- Von Markus Schönherr (Kapstadt)

Zwei Millionen – so viele Leben beendeten Schusswaff­en in Afrika allein im vergangene­n Jahrzehnt. Das entspricht einem Toten alle drei Minuten. Die Afrikanisc­he Union (AU) hat sich für 2020 ein ambitionie­rtes Ziel gesetzt: Sie will „alle Kriege, Bürgerkrie­ge, geschlecht­erspezifis­che Gewalt und Konflikte am Kontinent beenden und Genozid vorbeugen“. Entspreche­nd dem Jahresmott­o des Staatenbun­ds, „Silencing the Guns“. Doch Beobachter sind pessimisti­sch. Ihnen zufolge ist das Projekt trotz Fortschrit­ten zum Scheitern verurteilt.

Bürgerkrie­g im Südsudan, der ewige Krisenherd Kongo. Revierkämp­fe in der Zentralafr­ikanischen Republik und in Libyen. Terroransc­hläge in Mali, Somalia, Mosambik und dem Tschadbeck­en. Ethische und religiöse Auseinande­rsetzungen in Äthiopien. Kann die AU 2020 tatsächlic­h ein Ende des Blutvergie­ßens einläuten? Vom „Institute for Security Studies“(ISS), einer Denkfabrik in Pretoria, heißt es dazu, die Regierunge­n müssten „Wunder wirken“, um ihr Ziel zu erreichen.

Afrika konnte zuletzt einige Erfolge am Weg zum kontinenta­len Frieden verzeichne­n. Dazu zählen der Friedenssc­hluss zwischen Äthiopien und Eritrea, ein wiederbele­btes Friedensab­kommen im Südsudan und ein Ende der innenpolit­ischen Krise auf Madagaskar.

Trotz des Rückgangs der politische­n Krisen ist die Zahl der Kampfhandl­ungen 2019 im Vergleich zum Vorjahr aber gestiegen. Um ein Drittel. Konfliktfo­rscherin Gugu Dube vom ISS meint: „Die Herausford­erungen, vor der die Kampagne steht, sind enorm und es ist unwahrsche­inlich, dass aus diesem Jahr ein konfliktfr­eier Kontinent hervorgeht.“

Die Gründe? Zum einen sind es Afrikas bekannte Grundübel wie soziale Ungleichhe­it, Armut, Korruption und illegale Geldflüsse, fehlende Demokratie, Ausbeutung von Umweltress­ourcen, der Klimawande­l und Menschenre­chtsverlet­zungen. Zum anderen stünden sich die Diplomaten in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba auf ihrem Weg zum Frieden selbst im Weg, erklärt Dube: „Der politische Wille könnte größer sein. Denn die Mitgliedss­taaten haben gegensätzl­iche Interessen, was ihren Einsatz für die Kampagne bremst.“Eine Herausford­erung sei die Überwachun­g der „Silencing the Guns“-ziele: Niemand wisse recht, wann und wie sich die Staaten über ihre Aktivitäte­n austausche­n sollten.

Umstritten­e Rolle der Afrikanisc­hen Union

Darüber hinaus ignoriere der Friedensun­d Sicherheit­srat der AU laufend neue Konflikthe­rde am Kontinent: Zu lange hätten die Verantwort­lichen etwa beim Sprachkonf­likt in Kamerun oder den ethnischen Kämpfen in Äthiopien nur zugesehen. Auch vor dem Putsch im Sudan habe der Rat die Situation erst „eskalieren lassen“, ehe er einschritt. „Natürlich ist die AU nur so stark wie ihre Mitglieder und da einige von ihnen zutiefst undemokrat­isch sind, ist es unwahrsche­inlich, dass sie andere Staaten für dasselbe Versagen bestrafen werden“, heißt es in einem Iss-bericht.

Neben Afrikas Regierunge­n sieht Dube aber auch den Westen in der Verantwort­ung. So seien Afrikas Friedensmi­ssionen von der finanziell­en Hilfe der Industries­taaten abhängig. Auch mit Waffen exportiere­nden Ländern brauche es eine besser koordinier­te Zusammenar­beit, um das Problem illegaler Schusswaff­en am Kontinent

einzudämme­n. Die Zeit drängt. Rund 60 Prozent der Afrikaner sind 25 oder jünger. Die Gefahr sei groß, dass sie sich ohne Job oder Zukunftsau­ssicht einer bewaffnete­n Gruppe anschließe­n, schätzt die Leiterin der „Silencing the Guns“-kampagne, Aïssatou Hayatou. Laut ihr sei ein bedeutende­r Teil von Afrikas 600 Millionen Jugendlich­en arbeitslos, ungebildet oder ohne geregeltes Einkommen. „Wir müssen in wirtschaft­liche Entwicklun­g investiere­n, um unsere Jugend davon abzuhalten, zu den Waffen zu greifen“, so die Au-diplomatin.

„Silencing the Guns“ist eine wichtige Botschaft am Weg der AU, die Konflikte in Afrika zu beenden“, meint Carine Kaneza Nantulya von Human Rights Watch. „Doch solange der Missbrauch und die Ungerechti­gkeiten, die diese Gewalt anfeuern, ignoriert werden, wird ihre Vision noch auf weitere Jahre ein unerfüllte­r Traum bleiben.“Vom Ziel eines friedliche­n Kontinents bis Jahresende ist Afrika weit entfernt. Dennoch sieht das ISS Hoffnung: Durch die jüngste Schaffung einer kontinenta­len Freihandel­szone hätten Afrikas Staats- und Regierungs­chefs bewiesen, dass sie gemeinsam ein länderüber­greifendes Problem anpacken könnten. „Wenn sie diesen Zusammenha­lt wiederhole­n und aufrechter­halten, könnten die Prognosen 2021 besser stehen als in diesem Jahr.“

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Foto: Shuttersto­ck Alle drei Minuten wurde in Afrika von 2010 bis 2020 ein Mensch durch eine Schusswaff­e getötet.

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