Der Name ist Programm
Im Zeitalter der Start-ups kann eine Hundertjährige noch innovativ sein? Ist Erfahrung ein Vorteil oder eine Bremse?
P.H.: Innovation dekliniert sich heute in Stichwörtern – vor allem Digitalisierung. Neuerungen im Bereich der Digitalisierung sind für die „Luxembourgeoise“selbstverständlich. Sie sind allerdings kostspielig. Dann gibt es aber noch weitere Stichwörter, etwa künstliche Intelligenz und Big Data. Unsere Feldversuche in diesen Bereichen werden allerdings durch die Bestimmungen zum Datenschutz beschränkt. Was genau die technologische Veränderung bringen wird, können wir heute nicht voraussagen. Ich glaube, der Umbruch wird bei der Vermittlung stattfinden. Auch die Form der Police wird sich ändern: Bald könnte es so sein, dass Abdeckung dann beginnt, wenn Sie ihr Auto starten, und endet, wenn es wieder in der Garage parkt.
Wir sind sicherlich innovativ, nur ist es im Versicherungswesen nicht immer klar, wohin die Innovation führen wird.
F.P.: Veränderungsbereitschaft liegt in unseren Genen. In den 20er-jahren fingen wir als Bank und Versicherungsgesellschaft an, in den 30er-jahren wurden wir eine Brauerei ....
Eine Brauerei?
F.P.: Wir waren lange die größte Brauereigruppe im Land. Es fing an mit Clausen, dann Clausen mit Mousel, dann kam Funck und später Diekirch. Danach investierten wir in weiteren Firmen. Es ist uns in den entscheidenden Momenten gelungen, uns selbst in Frage zu stellen. In den 90er-jahren fragten wir uns, ob die Bierproduktion in Luxemburg, mit einem ausschließlich luxemburgischen Produktportfolio, noch eine Zukunft hätte. Unsere Antwort ist bekannt. 1989 gingen wir eine Partnerschaft mit der Spuerkeess ein, 2008 verkauften wir unseren Sitz am Boulevard Royal und zogen nach Leudelingen. Auch mit hundert Jahren bleiben wir beweglich.
Auch mit hundert Jahren bleiben wir beweglich. François Pauly
Wie steht es bei Ihnen mit neuen Technologien, wie sie von Insuretechs entwickelt werden? Kann mein Auto mit eingebauten Sensoren automatisch einen Unfall oder eine Panne melden; gibt es eine App, die hilft, Krankheiten vorzubeugen?
P.H.: Wir sind über Fonds an Fintechs und Insuretechs beteiligt und unterhalten auch einige Partnerschaften. Wir passen gut auf, betreiben ein aktives Monitoring und lassen uns regelmäßig extern beraten, um keinen wichtigen Trend zu verpassen. Beweglichkeit ist in dem Bereich das
A und O. Wir sind keineswegs selbstgefällig, ruhen uns nicht auf unserem beträchtlichen Marktanteil aus, und schauen nicht auf Neuankömmlinge herab. Die Arroganz des Alters ist gefährlich. Bei uns gibt es diese Gefahr nicht.
Für Sie bedeuten Insuretechs keine Konkurrenz?
P.H.: Keineswegs. In absehbarer Zukunft werden traditionelle Anbieter und Insuretechs zusammenwachsen. Die großen Erfolge der Insuretechs im Ausland lassen sich in Luxemburg nicht replizieren, weil der legale Rahmen das nicht erlaubt. Über Amazon USA lässt sich hier keine Autohaftpflichtversicherung abschließen. Das Geschäft ist streng geregelt. Wenn sich der gesetzliche Rahmen nicht ändert, werden die neuen Technologien kaum eine Chance haben. Jetzt, wo Großbritannien und damit auch die angelsächsische Mentalität die EU verlassen hat, ist auch die Möglichkeit einer Liberalisierung geringer geworden.
F.P.: Wir machen vielleicht bei Insuretechs nicht die größten Sprünge, dafür aber in anderen Bereichen. Im Bereich der Krankenversicherung sind wir durch den Kauf der DKV mittlerweile Marktleader. Wir haben uns rezent im Bereich Rechtsschutz engagiert. Wir haben eine eigene Rückversicherung für einzelne Risiken. Letztes Jahr, am 9. August, als der Tornado über Petingen und Niederkerschen fegte, erwies sie sich als sehr nützlich.
Die „Luxembourgeoise“unterhält seit mehr als 30 Jahren eine enge Partnerschaft mit der Spuerkeess. Wo sehen Sie die Vorteile und eventuell die Nachteile dieser Allianz?
P.H.: Nachteile sehe ich keine, Vorteile aber gibt es viele: Wir sind beide rein luxemburgische
Gesellschaften. Wir kennen beide den Markt, auf dem wir tätig sind, sehr gut. Mit anderen Worten, wir sind komplementär. Konkurrenten sind wir nur im Bereich der Zusatzrente nach Art. 111bis. Die neue Zusatzrente für liberale Berufe verkaufen wir aber zusammen. Das Filialnetz der Spuerkeess ist für uns sehr wichtig, insbesondere beim Vertrieb von Lebensversicherungen.
Inwiefern ist der klassische Vertrieb von Versicherungsprodukten über Ihr Agentennetz noch von Bedeutung? Wie lange kann dieses Modell noch bestehen?
F.P.: Es gehört zu unserer Strategie, die Schadensabwicklung so weit wie möglich intern zu kontrollieren. Im Ausland gibt es Versicherer, die haben überhaupt keine Abteilung für Schadensfälle mehr. All das wurde outgesourct. Das wollen wir nicht. Bei uns bleibt der Agent Ansprechpartner im Schadensfall. Der Ruf einer Versicherung ist immer nur so gut, wie ihr Verhalten im Falle eines Schadens.
P.H.: Die Arbeit des Agenten wird durch die Aufsichtsbehörde neu definiert. Unsere Agenten müssen häufig in die Schulung.
Sie müssen komplexe Produkte kennen und über die neuesten Antigeldwäsche-regeln informiert sein. Die Tendenz geht hin zur Professionalisierung der Agenten. Jene, die diese Aufgabe nebenberuflich ausüben, wird es weiter geben. Sie werden aber nicht mehr alle Produkte abdecken können. Irgendwann werden wir die Frage beantworten müssen, ob wir weiterhin nur mit unserem Agentennetz arbeiten wollen, oder ob wir unser Vertriebsnetz öffnen. Wenn wir den Vertrieb über das Internet öffnen, besteht das Risiko, dass wir die Kontrolle verlieren, etwa über die Zuverlässigkeit der Angaben. All das wollen wir heute nicht. Sollte das morgen zum Trend werden, müssen wir aber darüber nachdenken.
Die strukturelle Veränderung der luxemburgischen Bevölkerung stellt die traditionellen Versicherer vor neue Herausforderungen. Wie erreichen Sie die zahlreichen ausländischen Mitbürger?
F.P.: Die Bevölkerung in Luxemburg wächst, jedoch ohne dass die Neuankömmlinge in ihrer Kindheit und Jugend die Werbespots der „Luxembourgeoise“im Fernsehen kannten. Es geht um die etwa 200 000 Einwohner, die in den letzten 20 Jahren zugezogen sind und vorher im „Axaland“oder im „Generalisland“wohnten. Sie kommen nach Luxemburg und sehen, dass ihre gewohnten Versicherer auch hierzulande aktiv sind. Unsere Herausforderung ist, diese Menschen zu erreichen. Wir müssen uns bei diesem Teil der Bevölkerung positionieren, teils durch Agenten, die aus den gleichen Ursprungsländern stammen, teils durch neue, digitale Vertriebskanäle.
Wie erreichen Sie die junge Kundengruppe?
P.H.: Junge Leute, die in Luxemburg aufgewachsen sind, kennen uns, sei es nur, weil der Vater noch die Autohaftpflicht bezahlt. Sie zu erreichen, ist nicht schwierig. Grundlegend stellt sich bei jungen Leuten vermehrt die Frage, welche Absicherung sie überhaupt wollen.
Thema neue Risiken: Was bedeutet der Klimawandel für Ihr Geschäft?
P.H.: Der Klimawandel ist schon seit längerem eine Gelegenheit, wenn wir unsere Tarife richtig berechnen, grundsätzlich stellt er aber eine Bedrohung für den Bestand unserer Gesellschaft da. Mit ein bisschen Pech hat ein Sturm etwa die Breite unseres Landes, sodass 100 Prozent unserer Kunden davon betroffen sind.
F.P.: Aus dem Grund versichern wir keine Schäden durch Graupelschlag. Alle Winzer an der Mosel, von denen etliche zu unseren Kunden gehören, wären bei einem Unwetter davon betroffen. Unser Land ist zu klein, um diese Art von Risiken absichern zu können. Diese Art von Risiken lassen wir von Partnern abdecken, die im Ausland stark aufgestellt sind.
Wie gehen Sie mit den neuen Risiken um?
P.H.: Wir führen Stresstests durch, die im Rahmen der Solvency Ii-richtlinie obligatorisch sind. Eine ganze Reihe von hypothetischen Szenarien wird in diesen Tests abgedeckt. Einer dieser Test betrifft den „zweihundertjährlichen Sturm“, das heißt ein Naturereignis, das in der Heftigkeit nur alle 200 Jahre stattfindet. Wir haben festgestellt, dass der Tornado über Petingen und Niederkerschen in seiner Stärke unseren Berechnungen im Stresstest entspricht. Wir sind aber nicht sicher, ob ein solch „zweihundertjährliches“Ereignis künftig nicht öfter eintreten wird.
Was tun Sie in dem Fall?
P.H.: Wir haben unsere Rückversicherung beträchtlich ausgebaut. Das ist sehr kostspielig, wobei wir diese Kosten nicht direkt an unsere Kunden weitergeben wollen.
Die extrem niedrigen Zinsen setzen den Versicherern zu. Werden klassische Lebensversicherungen zum Verlustgeschäft?
P.H.: Unsere Rentabilität leidet enorm unter den niedrigen Zinsen. Vor etwa 15 Jahren stammte ein Drittel unseres Gewinns aus dem Zinsgeschäft. Heute sind es höchstens noch zehn Prozent. Das ist ein Problem, mit dem wir aber leben können, weil unsere Gesellschaft traditionell stark kapitalisiert ist. Wir hielten immer darauf, stabil zu sein, auch in der Wahrnehmung unserer Kunden. Das kommt uns heute zugute.
Die Arroganz des Alters ist gefährlich. Bei uns gibt es diese Gefahr nicht.
Pit Hentgen