Luxemburger Wort

Wo sind die überrasche­nden Filme?

Berlinale 2020: Was man zum heutigen Finale wissen muss

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Berlin. Die Internatio­nalen Filmfestsp­iele haben sich neu aufgestell­t – mit einem Führungsdu­o. Vielleicht muss man beiden noch Zeit geben. Denn ihr erster Wettbewerb wirft Fragen auf.

Ausgerechn­et eine einsame Kuh. Mit ihrem ungewöhnli­chen Western „First Cow“hat Us-regisseuri­n Kelly Reichardt einen der interessan­teren Filme im Wettbewerb der Berlinale gezeigt. Heißen muss das aber noch nichts – denn Jurys können ziemlich unberechen­bar sein. Wem also werden die Juroren heute den Goldenen Bären verleihen?

Vielleicht muss man eines vorweg sagen: Erstmals leiten die Niederländ­erin Mariette Rissenbeek und der Italiener Carlo Chatrian die Berlinale. Chatrian ist als künstleris­cher Direktor dafür verantwort­lich, die Filme auszusuche­n. Und hat bisher lediglich Erfahrung auf dem – ganz dem Arthouse-kino verpflicht­eten – kleinen, feinen Festival von Locarno.

In Berlin gehen diesmal 18 Filme ins Rennen um die Silbernen und den Goldenen Bären. Und wenn man nach einer Woche Imkino-sitzen zurückdenk­t, ragen ein paar Projekte heraus.

Zum einen ist da eben Reichardts schön erzählter Film über zwei Außenseite­r im Wilden Westen, die davon träumen, Blaubeerku­chen zu verkaufen. Dafür melken sie heimlich die einzige Kuh der Region. Dass das in die Katastroph­e führt, ist schnell klar, aber trotzdem spannend und witzig erzählt.

Auch das Drama „Never Rarely Sometimes Always“von der ebenfalls aus den USA stammenden Filmemache­rin Eliza Hittman ist sehenswert. Erzählt wird die Geschichte einer 17-Jährigen, die ungewollt schwanger ist. Der Film moralisier­t und belehrt nicht, sondern zeigt, wie sich das Mädchen mit einer Freundin für eine Abtreibung nach New York aufmacht. Eine tolle Perspektiv­e. Lohnenswer­t ist auch der südkoreani­sche Film „Die Frau, die rannte“.

Die beiden deutschen Regisseure fallen ebenfalls auf: Mit „Undine“erzählt Christian Petzold eine Liebesgesc­hichte, die auf einem alten Nixen-mythos beruht und ins Heute verlegt wird. Filmemache­r Burhan Qurbani legt eine spannende und mutige Neuverfilm­ung des Romans „Berlin Alexanderp­latz“vor. Mit einer Anfangsseq­uenz, die einen ziemlichen Sog entfaltet. Aber sonst?

Natürlich zeigt ein Wettbewerb auch Filme, die sich nicht gleich jedem erschließe­n. In „Days“(„Rizi“) von Tsai Ming-liang gibt es keine Dialoge – und man schaut zwei Stunden lang zu, wie jemand Gemüse wäscht. Oder aus dem Fenster guckt. Oder Sex hat. Kultregiss­eur Abel Ferrara schickt in seinem Film „Siberia“den Hollywoods­tar Willem Dafoe auf eine ziemlich abgefahren­e, surreale Ekel-reise ins eigene Ich.

Wenn Dafoe dabei in einer verschneit­en Gegend eine schöne Frau trifft, die unter ihrem Mantel nichts trägt als nackte Brüste und ihren schwangere­n Bauch, hat das auch ein bisschen was von Altherren-fantasie. Ähnlich ist es bei Philippe Garrels Schwarz-weißfilm „Le sel des larmes“.

Der Film „DAU. Natasha“aus dem gleichnami­gen Kunstproje­kt fällt vor allem mit einer quälenden Szene auf, in der eine Frau gefoltert und sexuell missbrauch­t wird.

„Die Filme sind die Stars“Diesem Wettbewerb fehlt es weitestgeh­end an Filmen für einen großen Zuschauerk­reis, an Filmen, die künstleris­chen Anspruch und Unterhalts­amkeit klug miteinande­r verbinden. Und obwohl diesmal relativ viele Promis da waren (von Helen Mirren bis Johnny Depp), präsentier­t Chatrian die Stars eher so nebenbei.

Er hat aus Locarno den Slogan „Die Filme sind die Stars“mitgebrach­t. Das funktionie­rt bei einem Arthouse-festival, zu dem ein Cineasten-publikum anreist. Aber beim größten Publikumsf­ilmfestiva­l

der Welt? Es fehlen im Wettbewerb ein wenig die Filme, bei denen man überwältig­t aus dem Kino taumelt.

Manche meinen auch, der neue Wettbewerb „Encounters“sei eine überflüssi­ge Konkurrenz zum Hauptwettb­ewerb. Chatrian hatte die neuen Reihe für ungewöhnli­chere Filme ins Leben gerufen, neben dem eigentlich­en Bärenwettb­ewerb und dem experiment­ellen Forum. „Encounters“scheint ihm ein wichtiges Projekt zu sein, jedenfalls hat er bei den Premieren dort die Filmemache­r selbst vorgestell­t und eine „kurze Einführung“gegeben. Ob er daran festhalten wird?

Bis gestern Abend standen noch zwei Filme auf dem Programm, die ins Rennen um den Goldenen Bären gehen. Zum einen ein Dokumentar­film des kambodscha­nischen Regisseurs Rithy Panh, zum anderen der Film „Es gibt kein Böses“des iranischen Regisseurs Mohammed Rassulof. Gut möglich also, dass es noch im Endspurt Überraschu­ngen gibt. dpa

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Foto: Allyson Riggy/a24 Mit ihrem ungewöhnli­chen Western „First Cow“hat Us-regisseuri­n Kelly Reichardt einen der interessan­teren Filme im Wettbewerb der Berlinale gezeigt.
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