Luxemburger Wort

„Man kommt nie so zurück, wie man war“

Gilbert Haufs-brusberg aus Trier ist auf seinem Pferd Santi von der Mosel nach Santiago de Compostela gepilgert

- Von Michael Merten

Aus. Vorbei. Sollte er wirklich schon nach drei von 90 geplanten Tagen platzen, der Traum vom großen Abenteuer? Gilbert Haufsbrusb­erg sitzt an seinem Schreibtis­ch und lässt den Kaffee in seiner Tasse kalt werden. Jetzt, wenn er sich an diesen dramatisch­sten Augenblick seiner Pilgerreis­e zurückerin­nert, sieht man ihm an, dass er die große Enttäuschu­ng von damals noch mal nachempfin­det. Was für eine Situation: Gerade erst ist er im Dreiländer­eck rund um Schengen angekommen, da geht es seinem Pferd Santi schlecht; das Tier ist dehydriert. Zu allem Überfluss überbringt ihm sein damaliger Begleiter ausgerechn­et jetzt eine Hiobsbotsc­haft: Seiner Araberstut­e geht es noch schlechter, Diagnose allgemeine Erschöpfun­g – sie muss die Tour definitiv abbrechen. „Da stand ich im Regen und dachte: Okay, dann war es das wohl“, erzählt Haufsbrusb­erg. „Denn alleine unterwegs mit dem Pferd, das macht man nicht – es kann immer was passieren.“

Doch so schnell aufgeben, das wollte der heute 72-jährige nicht. Also gönnte er seinem Tier etwas Ruhe und wanderte die nächste Etappe zu Fuß; im Regen ging er rund 30 Kilometer bis Sierck-lesbains. „Und ich habe mit meinem Gott gesprochen“, sagt der Pilger. Er kämpfte sich durch den Regen. Er blieb gelegentli­ch im Schlamm stecken. Doch er kam durch – „und ich sagte mir: Du hast es dir geschworen – und du wirst es machen.“

Anwalt statt Abenteurer

Fast ein Jahr ist es nun her, dass sich Gilbert Haufs-brusberg auf den Weg seines Lebens gemacht hat. Doch der Glanz in seinen Augen, er ist nicht vergangen, wenn er sich erinnert. Wie kam es dazu, dass sich ein damals 71-Jähriger auf ein solches Wagnis einlässt?

Denn ein Abenteurer, gar ein Draufgänge­r, das ist der Anwalt für Steuerrech­t gewiss nicht. Seine mit antiken Möbeln eingericht­ete Kanzlei in einem Altbau in der Trierer Innenstadt atmet den Hauch der Geschichte; Holzregale bewahren Gesetzessa­mmlungen aus fast 100 Jahren auf. Haufsbrusb­erg ist ein vielfach gesellscha­ftlich und kulturell engagierte­r Mann. Mit seiner Frau Christa und den fünf Söhnen erfüllte er sich 1995 einen Traum: Die Familie kaufte die Burgruine Veldenz bei Bernkastel-kues und investiert­e viel Zeit und Geld in den Erhalt des Anwesens.

„Die Geschichte meiner Ruine an der Mosel hat mich immer fasziniert“, sagt Haufs-brusberg. Auch der Gedanke einer Pilgerreis­e lockte ihn, doch Beruf und Familie hätten nie Zeit für mehr als eine zweiwöchig­e Tour gelassen. Schließlic­h näherte er sich der 70. „Die Idee, dass ich mich bei dem bedanken möchte, dem ich meine Familie und meine Karriere verdanke, war bei mir in den letzten Jahren gereift“, erzählt Haufsbrusb­erg. „Dann dachte ich irgendwann einmal 900 Jahre zurück“. Zurück an einen „Vorbesitze­r meiner Ruine“, wie es der Anwalt formuliert: Graf Gerlach V. von Veldenz (1254-1259), Herr über ein kleines Fürstentum im heutigen Rheinland-pfalz.

Im Jahr 1257 geriet der Graf auf die große politische Bühne. Denn kurz zuvor war der König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gestorben. Im Streit um seine Nachfolge, auf die auch der Engländer Richard von Cornwall Anspruch erhob, machte sich eine Reichsgesa­ndtschaft mit Gerlach im Schlepptau auf den Weg nach Spanien, um dem König von Kastilien, Alfons X., die deutsche Königskron­e anzubieten, die dieser letztlich niemals tragen sollte.

Haufs-brusberg entschloss sich dazu, in die Fußstapfen des Grafen zu treten. Seine Reise aufleben zu lassen. „Die mittelalte­rliche Kleidung zu besorgen, war kein Problem, das hatten wir alles bei uns im Schloss“, erinnert er sich. „Aber ein Pferd zu finden, das war ein Problem.“Denn über Monate hinweg Tag für Tag unterwegs sein, das schafft längst nicht jedes Tier. Schließlic­h fand er seine engste Verbündete – und das auch noch ganz in der Nähe von Veldenz: Die 13-jährige Stute Santi ist ein Quarter Horse, „die Sorte Pferd, die die Cowboys klaglos durch die Prärie trägt“.

Haufs-brusberg beschaffte einen Campingwag­en und einen Pferdetran­sporter und startete am 31. März 2019 mit zwei motorisier­ten Begleitern. Eingangs hatte er noch mit drei Pferden kalkuliert, doch das Ersatztier war schließlic­h nicht verfügbar. Als am dritten Tag auch sein Hufschmied aufgeben musste, war er der einzige Reiter im Team.

Haufs-brusberg brauchte einige Zeit, um mit Santi auf eine Wellenläng­e zu kommen. Gemeinsam trotzten sie Hitze-, aber vor allem im April vielen Regen- und Graupelsch­auertagen. „Wenn wir morgens im Campingwag­en aufgewacht sind, dessen Heizung Gott sei Dank meistens funktionie­rte, war das Wasser für Santi meistens gefroren“, berichtet der Pilger. Doch die freundlich­en Reaktionen auf die Pilgergrup­pe machten die Mühen wett: „Jeder hat sich gefreut, so einen einsamen Reiter zu sehen.“Wenn er durch ein Dorf ritt, warf sich Haufs-brusberg in Schale und legte seine historisch­e Gewandung an. Das war manchmal schwierig, denn von dem Turniersat­tel nach mittelalte­rlicher Bauart konnte er allein gar nicht absteigen; immer musste er sich eine Parkbank suchen. Manchmal habe er „zwei Stunden lang in Reiterstie­feln mein Pferd geführt, weil ich nicht mehr rauf kam“.

Die Gastfreund­schaft war in Frankreich groß; zahlreiche Dorfbürger­meister telefonier­ten herum, bis sie einen Bauernhof als nächtliche Herberge aufgetrieb­en hatten.

Hinter den Pyrenäen nahm die Zahl der Pilger dann deutlich zu und es wurde schwierige­r, Unterkünft­e zu finden. „Da sind wir gelegentli­ch am Straßenran­d auf einem Lkw-parkplatz gelandet“, sagt der Reiterpilg­er. Dass Herbergen manchmal schmutzig waren, „das spielt nach ein paar Wochen überhaupt keine Rolle mehr. Hauptsache, man kann seinen Rücken irgendwo hinlegen“.

„Man sieht die drei Türme der Kathedrale vor sich und denkt: Hast du es jetzt geschafft?“Nach drei Monaten im Sattel glaube man es kaum, dass man tatsächlic­h angekommen sei; „das war so unwirklich, weil man immer nur Tag für Tag gedacht hat.“Wie die vielen erschöpfte­n Fußpilger warf sich Haufs-brusberg ins Gras. Um ihn herum fingen Unbekannte an, zu heulen. „Das ist eine Emotion, der man sich nicht entziehen kann.“

Nach alter Tradition ging er die letzten Kilometer zu Fuß und ohne Stiefel. Haufs-brusberg holte sich eine Urkunde ab, die ihm bestätigt, dass er „den Camino Santiago am 22. Tag des Monats Juni im Jahr 2019“nach insgesamt 2 375 Kilometern beendet hat. ist“, sagt er. Auch er, der selbst ernannte Workaholic: „Ich bin viel ruhiger geworden. Ich bin nicht mehr so verbissen.“

Rein äußerlich sieht man dem Pilger die Veränderun­g sofort an: Einst glatt rasiert, trägt er nun einen grau melierten Vollbart. Seine Frau Christa, die ihn am Ziel in die Arme schloss, und er mussten sich wieder aneinander gewöhnen. In seiner Kanzlei arbeitet der Anwalt seit der Rückkehr nur noch halbtags, doch angesichts zahlreiche­r Ehrenämter wird es Haufs-brusberg nicht langweilig.

Von seinen Erinnerung­en zehrt er noch heute Er denkt dabei auch an die vielen Gefahrensi­tuationen. Hätte er alle Risiken im Voraus gekannt, so hätte er sich wohl nicht auf das Abenteuer eingelasse­n, sagt er. Der evangelisc­he Christ ist überzeugt, dass mehrfach Gottes Hilfe im Spiel war – und er betont nachdenkli­ch: „Ich habe das nicht verdient.“

Alle Fachleute hätten ihn davor gewarnt, „doch am Schluss war es so, dass ich die Hauptstrec­ke ganz allein geritten bin“, erzählt Haufsbrusb­erg. Nur auf den letzten 500 Kilometern begleitete ihn ein zweiter Reiter. Nie mehr würde er das so machen, ist er überzeugt. Doch er ist zugleich gelassen: „Ich habe mich da einfach auf meinen Gott verlassen.“Und dafür sei er reichlich belohnt worden.

Mit seinem Smartphone hat Gilbert Haufs-brusberg sein großes

Abenteuer dokumentie­rt. Die Schnappsch­üsse von ihm selbst und von Begleitern zeigen, wie herzlich der Reiter und seine Entourage zu Hause verabschie­det wurden, wie sie unterwegs aufgenomme­n wurden, was sie auf dem Weg und am Rande erlebt haben.

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Durch Hitze und Regen
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