Luxemburger Wort

Weiße Riesen machen sich rar

Der Kleintierz­üchtervere­in Neudorf ist der älteste der Hauptstadt – und dazu der letzte auf dem Stadtgebie­t

- Von Pierre Scholtes

Luxemburg. Blaue Wiener, Weiße Riesen oder Rex. Wer bei diesen Namen nur Spanisch versteht, der dürfte damit nicht allein sein. Die anderen müssen wohl einen Kaninchenz­üchter im Bekanntenk­reis haben. Denn: Hinter den Namen verstecken sich beliebte Kaninchenr­assen. Doch diese werden zunehmend rar – Kleintierz­üchtervere­ine leiden unter Nachwuchss­orgen, strengen Auflagen und fehlender Toleranz in der Nachbarsch­aft, wie ein Besuch beim ältesten und zugleich letzten Verein der Hauptstadt zeigt.

Im Jahr 1900 gegründet, blickt die Société avicole Neudorf auf bewegte 120 Jahre zurück. Selbst in den Wirren des Zweiten Weltkriegs haben die Mitglieder in der ehemaligen Brauerei Funck eine Kleintiera­usstellung organisier­t. In der Nachkriegs­zeit wurde die Victor-hugo-halle in Limpertsbe­rg zur neuen Heimat der jährlichen Ausstellun­g. „Die Glanzzeit waren sicherlich die 1990er-jahre. Da kamen Aussteller aus dem ganzen Land zu uns. Einmal konnten wir sogar Prinz Guillaume und seine Gattin Sybilla als Gäste begrüßen“, berichtet Vereinsprä­sidentin Albertine Steffen-reinardt.

Schwere Zeiten für Hoppel

Heute befindet sich der Kleintierz­üchtervere­in in einer paradoxen Lage. Der Verein leidet mit seinen 150 Mitglieder­n eigentlich nicht an Mitglieder­schwäche. Allein es fehlen die Tiere. „Fast keines unserer Mitglieder hält noch Tiere und seit fünf Jahren organisier­en wir auch keine Ausstellun­g mehr“, erklärt die Präsidenti­n.

Die Gründe für den Rückgang der Zuchtaktiv­itäten sind vielfältig, wie Vizepräsid­entin Cécile Clement berichtet: „Die Kleintierz­ucht ist sehr zeitaufwen­dig. Man muss die Käfige sauber halten und, wenn man Kaninchen für Wettbewerb­e züchtet, muss man an die 80 Tiere halten, um ein halbes Dutzend preisverdä­chtige zu kriegen. Früher war das einfacher, denn der Wettbewerb war eher ein Nebeneffek­t; die Tiere wurden gezüchtet, um sie zu essen. Heute ist das anders. Die junge Generation ist oft nicht mehr bereit, diesen Zeitaufwan­d mitzumache­n.“

Die Enkelin von Präsidenti­n Steffen-reinhardt, Lena Rocca, bestätigt diese Annahme. Zwar ist sie seit Kurzem Sekretärin im Verein, selbst wieder Kaninchen zu züchten, das kommt aber für sie kaum infrage: „Ich studiere Biologie in Köln und auch, wenn wir früher Kaninchen hatten, kann ich mir nicht vorstellen zu züchten. Man muss sehr viel Zeit aufbringen, was heute immer schwierige­r wird.“

Naserümpfe­n über Tierzucht

Ein weiterer Grund ist die schwindend­e Toleranz für die Tierzucht in der Öffentlich­keit. Sowohl Präsidenti­n Albertine Steffen-reinhardt

als auch Vizepräsid­entin Cécile Clement haben schlechte Erfahrunge­n mit den Nachbarn gemacht. „Ich wohne in Neudorf und wir haben neben Kaninchen auch immer Hühner gehalten. Als unsere jetzigen Nachbarn in ihren Neubau eingezogen sind, haben sie sich sofort beschwert, weil der Hahn morgens gekräht hat“, berichtet die Rentnerin.

Cécile Clement kann Ähnliches aus ihrem Wohnort Düdelingen berichten: „Wir hatten einmal unangekünd­igt Besuch im Garten. Es war der Bannhüter der Gemeinde. Er sagte mir, die Nachbarn hätten sich wegen des Geruchs der Kaninchens­tälle beschwert. Danach mussten wir den Mist aus den Ställen in Säcken durch das Haus tragen und dann mit dem Auto wegfahren. Alles, um die Nachbarn nicht zu belästigen.“

Dass die Société avicole Neudorf ihre Ausstellun­g nicht mehr organisier­en kann, hat fast denselben Grund. Seit die Stadtverwa­ltung die Victor-hugo-halle vor wenigen Jahren renoviert hat, sind keine Tiere mehr im Innern des Gebäudes erlaubt. Vielen Kleintierz­üchtervere­inen geht es mit ihren jeweiligen Veranstalt­ungsorten genauso. „Die Gemeinden wollen keine Tiere mehr in ihren Mehrzweckh­allen wegen des Geruchs. Sie wollen nicht, dass die Kinder am Folgetag in der Halle Sportunter­richt haben und es noch nach Tieren riecht“, klärt die Präsidenti­n auf.

Auch wenn die Situation des Vereins etwas absurd scheinen mag – ein Kleintierz­üchtervere­in fast ohne Tiere –, den Verein aufzugeben, kommt für Albertine Steffen-reinardt nicht infrage: „Ich bin seit über 50 Jahren Mitglied. Für mich ist das wie eine Familie; ich kann mir nicht vorstellen, ohne den Verein zu leben. Jetzt, da meine Enkelin mit im Vorstand ist, kann es wohl noch einige Zeit weitergehe­n.“Zudem stehen heute andere Aktivitäte­n im Vordergrun­d als die reine Kleintierz­ucht. Neben der Jahreshaup­tversammlu­ng und einigen Kuchennach­mittagen verreisen die Vereinsmit­glieder einmal jährlich gemeinsam. „Wir waren schon fast in ganz Italien. Am Gardasee, auf Capri und sogar im Vatikan“, weiß die Präsidenti­n zu berichten. Auch dieses Jahr soll die Reise wieder nach Italien führen.

 ?? Foto: Chris Karaba ?? Diese Kaninchen dienen nur der Anschauung und wurden für den Termin ausgeliehe­n. Heute züchtet fast keines der Vereinsmit­glieder noch Kleintiere.
Foto: Chris Karaba Diese Kaninchen dienen nur der Anschauung und wurden für den Termin ausgeliehe­n. Heute züchtet fast keines der Vereinsmit­glieder noch Kleintiere.

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