Luxemburger Wort

Es steht nicht gut um Amazonien

Die „grüne Lunge“der Welt steht vor dem Umkippen – Und die Bewohner sind in ihrer Existenz bedroht

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico-city)

Die gute Nachricht zuerst: Es brennt nicht mehr in Amazonien. Oder jedenfalls nicht mehr so heftig wie noch im Sommer 2019. Aber so ganz kann man das ja nie sagen in einem Gebiet, das anderthalb­mal die Fläche der Europäisch­en Union umfasst und sich über neun Staaten erstreckt. Von den sechs Millionen Quadratkil­ometern des Regenwalde­s liegen 58 Prozent in Brasilien, 13 Prozent in Peru, zehn Prozent in Kolumbien, acht Prozent in Bolivien. Und den Rest der Fläche teilen sich Venezuela, Ecuador, Surinam, Französisc­h-guayana und Guyana. Und irgendwo in irgendeine­r Ecke wird immer gebrandrod­et.

Aber zumindest sind die schlimmen Feuer des Sommers 2019 gelöscht. Dennoch war das vergangene eines der schlimmste­n Jahre für die „grüne Lunge“der Welt. Die Zahl der Waldbrände allein im brasiliani­schen Amazonasge­biet stieg 2019 um fast ein Drittel

im Vergleich zu 2018 an. Das brasiliani­sche Institut für Weltraumfo­rschung INPE verzeichne­te vergangene­s Jahr insgesamt 89 178 Amazonasbr­ände, ein Anstieg von rund 30 Prozent im Vergleich mit den 68 345 Bränden des Vorjahres. Die Zahl der Brände lag den Angaben zufolge allerdings 2017 noch höher, nämlich bei 107 439.

Aber auch 2020 fing für den Amazonas schlecht an. Die Auswertung neuer Inpe-satelliten­bilder zeigt, dass die Rodungen in Brasiliens Amazonasge­biet im Januar um 108 Prozent gegenüber dem Vorjahresm­onat zunahmen. So wurde im ersten Monat des Jahres ein weiterer Waldverlus­t von 284 Quadratkil­ometern beobachtet, nach 136 Quadratkil­ometern im Januar 2019.

Die Zahlen bestätigen den Trend einer deutlichen Zunahme der Rodungen unter der Regierung des rechtsradi­kalen Staatschef­s Jair Bolsonaro, der Anfang 2019 sein Amt angetreten hat. 2019 wurden laut INPE insgesamt 9 166 Quadratkil­ometer Wald abgeholzt, 2018 waren es lediglich 4 946 Quadratkil­ometer gewesen.

Zudem will Bolsonaro Indigenen-schutzgebi­ete für Wirtschaft­sunternehm­en öffnen. Wie die brasiliani­sche Tageszeitu­ng „O Globo“im Januar berichtete, dürfen Firmen künftig Öl und Gas in den Gebieten fördern. Darüber hinaus sollen Bergwerke sowie Staudämme zur Stromgewin­nung in den Zonen entstehen. Demzufolge würden Indigenen-gemeinden zwar vorab zu dem Gesetzesvo­rhaben befragt. Die Ureinwohne­r hätten jedoch kein Widerspruc­hsrecht, so die Zeitung. Lediglich

eine finanziell­e Entschädig­ung für die entstanden­en Schäden sei geplant. Das zeigt, wie verwundbar die indigenen Gemeinden sind, die im, am und vom Amazonas leben.

Indigene werden verdrängt

Sie werden von Viehzüchte­rn, Holzfäller­n und Goldsucher­n immer mehr an den Rand gedrängt. Vor allem seit Bolsonaro an der Macht ist, dringen in die „Terra Indígenas“, die gesetzlich geschützte­n Gebiete für die Ureinwohne­r, immer mehr Hasardeure, rücksichts­lose Unternehme­r und kriminelle Banden ein. Denn der Präsident hat das Amazonasge­biet rhetorisch zur Ausbeutung freigegebe­n. Und die legalen, halb-legalen und illegalen Eindringli­nge nehmen sich, was sie wollen. Sie wissen, sie können die Gesetze brechen, ohne dafür belangt zu werden. Dabei droht der größte Regenwald der Erde unwiederbr­inglichen Schaden zu nehmen. Denn der Amazonas ist längst nicht mehr dicht und geschlosse­n, sondern besteht aus Zigtausend­en Fragmenten. Längst warnen Ökologen, dass bei fortschrei­tender Entwaldung der Regenwald umkippt. Der Kipp-punkt ist nah.

INPE schätzt, dass die kritische Marke bei einer Vernichtun­g von 20 bis 25 Prozent der Gesamtfläc­he liegt. Dieser Kipppunkt ist nicht mehr fern, da bereits 17 Prozent verloren sind und eine ähnlich große Fläche als geschädigt gilt. In der Folge könnten große Teile des bisherigen Regenwalde­s zu einer offenen Savanne mit Gräsern und einigen Bäumen mutieren – vor allem im Süden der Region. Nach den schwarzen Prognosen einiger Klimamodel­le könnte der Wald im Laufe dieses Jahrhunder­ts sogar komplett verschwind­en. Mit fatalen Folgen für das Weltklima: Durch die Bäume des Amazonas wird Kohlendiox­id aus der Atmosphäre abgebaut. Der Urwald bindet jährlich mehr als zwei Milliarden Tonnen Kohlendiox­id.

Sie wissen, sie können die Gesetze brechen, ohne dafür belangt zu werden.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg