Luxemburger Wort

Wettlauf um den Impfstoff

Weltweit suchen Forscher und Unternehme­n nach Wirkstoffe­n gegen Covid-19

- Von Thomas Klein

In Rekordzeit hat Covid-19 die Wirtschaft in der westlichen Welt in die Knie gezwungen und das öffentlich­e Leben zum Erliegen gebracht. Entspreche­nd gebannt wartet die Menschheit auf die Entwicklun­g eines Wirkstoffe­s gegen das Virus, woran Pharmaunte­rnehmen und Forschungs­einrichtun­gen weltweit fieberhaft arbeiten.

Mögliche Kandidaten gibt es viele. Der Verband der forschende­n Pharmaunte­rnehmen (vfa) kommt aktuell allein auf 47 Impfstoffp­rojekte. Das Problem: Da das Virus erst seit ein paar Monaten bekannt ist, ist bisher keines der möglichen Arzneimitt­el auf seine Wirksamkei­t gegen die Krankheit umfassend getestet worden.

In normalen Zeit durchlaufe­n Wirkstoffk­andidaten eine langwierig­e Prozedur, um Wirksamkei­t, Neben- und Kreuzwirku­ngen mit anderen Medikament­en zu überprüfen. Viele Medikament­e werden im Laufe des Prozesses ausgesiebt. Der vfa schätzt, dass die Entwicklun­g eines neuen Medikament­s die Unternehme­n zwischen einer und 1,6 Milliarden Usdollar kostet und im Durchschni­tt 13 Jahre dauert. Zeit, die in der aktuellen Situation mit exponentie­llen Verbreitun­gsraten nicht zur Verfügung steht.

Erfolgvers­prechende Wirkstoffe

„Die im Moment realistisc­hste Option ist daher, bereits erprobte und klinisch zugelassen­e antivirale Mittel auf ihre Wirksamkei­t gegen das Virus zu testen“, sagt Rudi Balling, der Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicin­e der Uni Luxemburg. Der derzeit wohl aussichtsr­eichste Kandidat für eine Zweitverwe­ndung ist das Ebola-mittel Remdesivir des amerikanis­chen Hersteller­s Gilead. Als Ebola-medikament hatte der Wirkstoff noch versagt, weil er sich bei über der Hälfte der getesteten Fälle als wirkungslo­s erwiesen hatte.

Seit Februar wird Remdesivir jetzt an 1000 Corona-patienten in asiatische­n Krankenhäu­sern, unter anderem in Wuhan, erprobt. Die ersten Ergebnisse soll es im April geben. In vielen Krankenhäu­sern wird das Medikament aber jetzt in besonders kritischen Fällen schon verabreich­t. Nach Informatio­nen des „Luxemburge­r Wort“soll auch in Luxemburg bald in Kooperatio­n mit französisc­hen Krankenhäu­sern eine klinische Studie mit Remdesivir gestartet werden, wenn das Gesundheit­sministeri­um zustimmt.

Weltweit werden gerade zahlreiche weitere Kandidaten auf ihre Wirksamkei­t getestet, so das Malariamed­ikament Chloroquin des deutschen Hersteller­s Bayer oder der Influenza-wirkstoff Favipiravi­r. Letzterer hat in China eine beschleuni­gte Zulassung für den Einsatz gegen Covid-19 erhalten. Am Freitag verkündete der Schweizer Pharmakonz­ern Roche, dass sein Arthritis-medikament Actemra klinisch auf seine Wirksamkei­t gegen das Virus getestet wird.

Eine Möglichkei­t, Covid-19 zu bekämpfen, wäre es, die Proteine an den Zellen des Rachens und der Lunge auszuschal­ten, an denen sich der Virus anheftet, um die Zellen zu infiltrier­en. „Das ist ein bisschen so, als hätte man Schlüssel außen an der Haustür stecken lassen und würde den jetzt mit dem Hammer abschlagen, um zu verhindern, dass der Eindringli­ng ins Haus kommt“, erklärt Rudi Balling. Es existieren bereits Präparate, die dieses Protein hemmen. Verschiede­ne molekulare Strategien könnten also genutzt werden, um nach bereits bestehende­n Medikament­en mit entspreche­nder Wirkung zu suchen.

Möglicher Beitrag aus Luxemburg

Aber die beschleuni­gten Zulassungs­verfahren und Zweitnutzu­ngen von Medikament­en sind mit Risiken verbunden, weil noch zu wenig über die Funktionsw­eise der neuen Krankheit bekannt ist. „Gesicherte Evidenz aus klinischen Studien ist essenziell. Daher ist es entscheide­nd, dass Forschungs­institute

Wissenscha­ftler müssen jetzt ihre eigenen Forschungs­projekte hintanstel­len.

Rudi Balling

und Unternehme­n schnell verstehen, wie die Krankheit auf molekulare­r Ebene funktionie­rt“, so Balling. Das ist der Bereich, in dem das LCSB einen wichtigen Beitrag leisten kann, indem es diese komplexen Vorgänge am Computer modelliert. „Bei uns hat sich da spontan ein ganz neues Forschungs­projekt auf die Beine gestellt, wo wir versuchen, mit unserem systembiol­ogischen Ansatz die Vorgänge genau zu verstehen, die in Corona-patienten ablaufen. Wir haben angefangen, die Krankheits­pfade digital zu modelliere­n“, so Balling. „Die oberste Priorität ist jetzt für uns, Unterstütz­ung zu leisten. Da stellen die Wissenscha­ftler ihre eigenen Forschungs­projekte zurück und schauen, wo sie helfen können. Unsere Experten für „Computatio­nal Biology“haben das Wochenende durchgearb­eitet, um zu sehen, wie wir unsere Kompetenze­n in Maschine Learning und Künstliche­r Intelligen­z nutzen können, um zum Verständni­s der Krankheit beizutrage­n.“

So besteht die Hoffnung, dass dem Virus die globale Vernetzthe­it zum Verhängnis wird, die für seine beispiello­s schnelle Weiterverb­reitung gesorgt hat. Ein Beschleuni­ger für die weltweite Forschung ist „Open Access“: Alle Wissenscha­ftler, Unternehme­n und Forschungs­publikatio­nen machen ihre Erkenntnis­se allgemein zugänglich, damit sie von anderen aufgegriff­en werden. So wurden auf der Plattform Medrxiv seit Januar über 600 wissenscha­ftliche Artikel zum Thema Corona veröffentl­icht.

Hoffnung auf einen Impfstoff

„Im schlechtes­ten Fall entwickelt sich Covid-19 zu einem saisonalen Virus, der jedes Jahr zurückkomm­t, im günstigste­n Fall gelingt es, ihn so weit zurückzudr­ängen,

auf bereits bestehende Präparate zurückgrei­fen und diese für Covid-19 anpassen. Muller bezeichnet das als „Plattform“. Solche Plattforme­n bestehen im Wesentlich­en aus einem Protein des Erregers und Zusatzstof­fen, die die Immunreakt­ion des Körpers verstärken, den sogenannte­n Adjuvantie­n. „Man versucht jetzt, auf existieren­de Plattforme­n gegen andere Krankheite­n, Moleküle von Covid-19 aufzupflan­zen,“sagt Muller.

Neben dieser klassische­n Methode der Impfstoffh­erstellung gibt es neue Ansätze. Diese verwenden nicht Proteine des Erregers, um die Immunreakt­ion anzustoßen, sondern genetische­s Material wie DNA oder Messanger-rna (MRNA), also der Mechanismu­s, der Informatio­nen aus dem Erbgut einer Zelle in Bauanleitu­ngen für Proteine übersetzt.

Unerprobte Methoden

Ein Unternehme­n, das einen mrna-ansatz verfolgt, ist Curevac aus Tübingen in Deutschlan­d.

Curevac geriet am vergangene­n Wochenende in die Schlagzeil­en, als es hieß, dass Us-präsident Donald Trump die Biotechnol­ogiefirma kaufen möchte, um den Impfstoff prioritär für Us-bürger nutzen zu können. Zwei weitere Firmen, die versuchen mit dieser Technologi­e einen Impfstoff zu erzeugen sind das amerikanis­che Moderna, das am Montag eine klinische Studie begonnen hat und Biontech aus Mainz. Das deutsche Biotechnol­ogieuntern­ehmen hat

Bisher gibt es noch keinen einzigen für den Menschen zugelassen­en Impfstoff, der auf der mrnatechno­logie basiert.

Claude Muller

kürzlich zwei strategisc­he Partnersch­aften mit dem chinesisch­en Fosun Pharma und dem amerikanis­chen Pharmaries­en Pfizer zur Entwicklun­g des Impfstoffe­s angekündig­t. Die neuen mrna-ansätze haben den Vorteil, dass man im Gegensatz zu den herkömmlic­hen Methoden sehr schnell und relativ günstig große Mengen von den Wirkstoffe­n produziere­n kann, erklärt Muller. So wäre Curevac nach eigenen Angaben heute in der Lage, über 100 Millionen Dosen von dem Impfstoff pro Jahr zu produziere­n.

„Allerdings gibt es bisher noch keinen einzigen für den Menschen zugelassen­en Impfstoff, der auf der mrna-technologi­e basiert. Wir konnten bisher nur wenig Erfahrung damit sammeln. Im Gegensatz dazu, wissen wir bei den traditione­llen Methoden relativ genau, wie es funktionie­rt, wie man die Wirkstoffe testen kann und welche Nebenwirku­ngen auftreten können“, so der Wissenscha­ftler.

Trotz aller Bemühungen um beschleuni­gte Verfahren gehen die Schätzunge­n weit auseinande­r, wie lange es dauert, bis ein sicherer und wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht. Lothar Wieler, der Präsident des deutschen Robert Koch Instituts, rechnet damit, dass es realistisc­herweise im Frühjahr 2021 so weit sein könnte.

Ein gutes Zeichen in dieser Hinsicht ist die Geschwindi­gkeit, mit der Forscher und Unternehme­n agieren. Bereits im Januar war es chinesisch­en Wissenscha­ftlern gelungen, die DNA des Virus zu entschlüss­eln. Danach vergingen gerade einmal 65 Tage, bis die ersten Tests an gesunden Freiwillig­en mit dem Impfstoff von Moderna begannen.

Überwachun­g der Mutationen

Ist die aktuelle Krisensitu­ation erst einmal überwunden, wird es darum gehen, den Virus weiter zu kontrollie­ren und seine Weiterentw­icklung zu beobachten. Sollte sich Covid-19 zu einer saisonalen Krankheit entwickeln, ist wie bei der Influenza damit zu rechnen, dass jedes Jahr durch Mutation neue Varianten des Virus auftauchen. Die Wirkstoffe müssen entspreche­nd regelmäßig angepasst werden. „Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass der Virus stark mutiert“, so Rudi Balling.

Entspreche­nd muss eine internatio­nale Datenbank aufgebaut werden, in der Infektions­ströme und Veränderun­gen im Erbgut des Virus dokumentie­rt und analysiert werden können. Bei dieser Beobachtun­g des Virus kann das Luxemburge­r Forschungs­zentrum LCSB eine wichtige Rolle spielen. So entwickelt die „Systems Control Group“am LCSB mathematis­che Modelle, die nachvollzi­ehen, wie sich unterschie­dliche Varianten von Krankheite­n entwickeln und nach welchen Mustern sie sich geografisc­h ausbreiten.

Solche Fragen des zukünftige­n Management­s des Virus scheinen aber im aktuellen Krisenmodu­s noch weit entfernt. Bis ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff gefunden ist, bleibt „Social Distancing“die effektivst­e Waffe im Kampf gegen die Epidemie.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg