Luxemburger Wort

Geschichte­n ohne Worte

- Von Mireille Meyer

Bilder sind ein universell­es Medium, sie vermitteln ihre Botschaft über die Grenzen der Sprache hinaus. Diesen Vorteil nutzen eine ganze Reihe von Illustrato­ren, indem sie „Bandes dessinées“zeichnen, die ganz ohne Dialog auskommen. Allein mit der Macht der Bilder erzählen sie komplexe, spannende und auch hinreißend­e Geschichte­n. Diese Kunstform ist beileibe nicht neu, sie entstand mit der Tagespress­e und ist mit ihr groß geworden. Das Leseerlebn­is eines solchen Werkes ist natürlich ein vollkommen anderes. Man springt nicht von einer Sprechblas­e zur nächsten, um dem Narrativ zu folgen. Nein, man „liest“die Bilder, lässt sie auf sich wirken, versucht darin Hinweise auf den Verlauf der Story zu finden, Zusammenhä­nge zu entdecken, Figuren wiederzuer­kennen. Die Vorstellun­gskraft des Lesers ist gefordert. Die stummen Bildbände als Bildergesc­hichten für Erwachsene abzutun, ist zu kurz gegriffen. Vielmehr erforschen die Autoren die Form der „Bande dessinée“(das deutsche Wort Comic-geschichte oder gar Comic-strip wird dieser Kunst nicht gerecht) jeder auf seine eigene, fasziniere­nde Weise und kennen dabei keine Grenzen. Ein regelrecht­er Experiment­ator in diesem Genre ist der Franzose Marc-antoine Mathieu. Sein Konzeptcom­ic 3'' (3 Sekunden) ist eine buchstäbli­che Gehirngymn­astik für den Leser. Er besteht aus einem einzigen Zoom (sozusagen einer einzigen Kamerafahr­t), der drei Sekunden lang einem Lichtstrah­l folgt. Reflexione­n in Spiegel und Fenster oder auf glatten Oberfläche­n lenken den Blick des Lesers in immer neue Richtungen und lassen ihn, wenn er denn aufmerksam ist, Indizien für die Lösung des Komplotts erkennen.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg