Die Quarantäne lebt
Auf Distanz mit dem Virus, aber nahe an der Kultur. Die Welt verschließt sich, die Kultur aber reißt Mauern ein. Sie öffnet Türen, die ihr bislang verschlossen waren. Das Web brachte den kulturellen Frühling. Dort weht nun ein ganz neuer Wind, und jeder hat seine Kultur für die Quarantäne.
Die aktuelle Krise stellt die Gesellschaft auf eine harte Probe und macht einiges sehr deutlich. Zum Beispiel, dass wir Kultur brauchen, dass wir nach ihr verlangen und dass wir alle auch kulturell veranlagt sind. „Die Schönheit rettet die Welt“, sagte Dostojewski. Muss man es wiederholen? Balkonsänger in Italien, Heimmusiker vor der Webcam – sie sind die Lichtblicke in diesen dunklen Tagen.
Die Welt ist abgeschottet, aber dank der Bildung, dank der Kultur lässt sich die Zeit zu Hause optimal nutzen. Musik, Bücher, Filme, Serien, Podcasts, virtuelle Besuche in Museen, Onlinekurse, Zugang zu Bibliotheken, zu Universitäten, zu wissenschaftlichen Schriften – die Kultur öffnet sich, und die Menschheit lernt. Wir leben trotz der Angst vor Krankheit und Tod, trotz der Ungewissheit. Sehen, zuhören, entdecken, träumen, sich bilden – die Kultur ist unser bester Verbündeter in dieser merkwürdigen Zeit.
Noch etwas fällt auf: Es sind die großen kulturellen Einrichtungen, die es zunächst am härtesten trifft. Konzertsäle, Theaterhäuser, Kinos, Museen, Festivals, sie alle funktionieren derzeit nur noch auf Sparflamme, machen dafür aber Platz für andere. Es ist wie ein Wald, der sich lichtet und plötzlich neuen Sprösslingen eine Chance gibt. Kultur ist eben nicht nur die glänzende Bühne, der schmucke Konzertsaal, es ist wie mit vielem – es zählt der Inhalt, nicht die Verpackung. Der Ton macht die Musik, auch dann wenn er „Live aus der Stuff“kommt.
Finanziell haben natürlich die Großen den längeren Atem und werden diese Krise zwangsläufig überstehen. Den vielen Kleinen aber, den Sprösslingen, die nun übers Netz in unser Leben in Quarantäne eindringen, wird man helfen müssen. Aber auch den Bühnentechnikern, Lichtgestaltern, Kostüm- und Maskenbildnern.
In dieser Zeit des Wandels der Kultur sollte man unbedingt über eine Form der kulturellen Solidarität nachdenken. Als verantwortliche Bürger haben wir uns in den vergangenen Tagen dazu verpflichtet, die Verbreitung des Virus zu verhindern und nehmen dafür einiges in Kauf. Da stellt sich die Frage: Müssen wir als Gesellschaft nicht auch kulturrettende Maßnahmen eingreifen? Wenn die Kultur unser bester Gefährte in Krisenzeiten ist, dann müssen wir sie auch schützen. Wir müssen das selbst in die Hand nehmen und nicht erst auf die staatliche Gießkanne warten. Was tun? Zum Beispiel das Geld für vorausbezahlte Abos nicht zurückfordern. Überlegen, wie man die derzeit frei zugänglichen kulturellen Dienstleistungen und Darbietungen von Künstlern im Web freiwillig in
Form von Spenden honorieren kann. Noch eins sollte man unbedingt tun: Seine Bücher in den lokalen Büchereien bestellen und die frei zugänglichen Publikationen im Netz auch nach der Krise unterstützen. Nein, nicht alles darf umsonst sein, Kultur muss auch gewürdigt werden.
Kultur ist unser bester Gefährte in Krisenzeiten, deshalb müssen
wir sie schützen.