Luxemburger Wort

Not macht erfinderis­ch

Nach dem ersten Corona-schock tun deutsche Unternehme­n, wofür sie in der Welt berühmt sind

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Für Journalist­en hat Markus Wegerich gerade überhaupt keine Zeit. Und wenn – dann maximal fünf Minuten. Selbst die muss sich der Geschäftsf­ührer der Schaumstof­fe Wilfried Wegerich Gmbh im unterfränk­ischen Würzburg dort stehlen, wo es sie gerade nicht gibt. In der Produktion eines der akut gefragtest­en Artikels weltweit: Schutzmask­en für Ärzte und Pflegende.

Normalerwe­ise fertigt die Wegerich Gmbh Auflagen für Sitzmöbel, Matratzen und was sonst noch aus Schaumstof­f ist. Seit diesem Montag aber nähen 15 der 50 Mitarbeite­r mehrere Lagen Vliesstoff zwischen zwei Schichten beidseitig­es Doppeltuch, außerdem links und rechts eine Schlaufe – und fertig ist eine mehrfach verwendbar­e Schutzmask­e. Entwickelt binnen Tagen. Erstmals annonciert vergangene­n Samstag in der Regionalze­itung. Seit Montag gilt bei Wegerich die Parole: Alles, was nähen kann, näht. Der Plan: 2 000 Masken pro Tag.

Etwas südlicher ist das Ziel noch höher gesteckt. Bei der Zettl Automotive Gmbh im niederbaye­rischen Dörfchen Weng. Normalerwe­ise beliefert Zettl die Automobili­ndustrie; exakt: die sogenannte­n Premiumher­steller. 300 Mitarbeite­r fertigen Bauteile, Schnittmus­ter, Prototypen. Aber die deutschen Autobauer haben die Produktion eingestell­t: Von Porsche bis Ford – überall stehen die Bänder.

Vom Nischenpro­dukt zum Renner Bei der Sandler AG im oberfränki­schen Schwarzenb­ach an der Saale indes rotieren die Maschinen. Dort wird der Vliesstoff produziert, der weltweit so begehrt ist. Und nun auch bei Zettl verarbeite­t wird. Bislang ist dieses Vlies für Sandler ein Nischenpro­dukt gewesen. Jetzt ist es der Renner.

Der Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV), Andreas Gassen, würde in der verarbeite­ten Version nehmen, was er nur kriegt. „20 Millionen auf dem Hof“, sagt er, „wären schön.“Daran ist vorerst nicht zu denken. Und genauso dringend wie Schutzmask­en könnte das deutsche Gesundheit­ssystem einen Corona-schnelltes­t gebrauchen.

Den offeriert am Donnerstag die Robert Bosch Gmbh. Per Pressemitt­eilung.

Ein Autozulief­erer stellt Masken her.

Anders als Zettl und Wegerich ist Bosch der Gesundheit­ssektor nicht fremd: Das Unternehme­n hat auch eine Medizintec­hnik-sparte. „In nur sechs Wochen“, teilt es mit, sei der Test entwickelt worden, der „in unter zweieinhal­b Stunden“Resultate „mit einer Genauigkei­t von 95 Prozent“liefere. Nur ein paar Stunden danach erklärt in Berlin Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn: „Sobald wir einen Schnelltes­t haben, der gut ist, werden wir ihn einsetzen.“

Altenheime bevorzugte Kunden

Es mangelt auch sonst an vielem zur Eindämmung der Covid-19pandemie; auch in Deutschlan­d. Desinfekti­onsmittel sind knapp. Der Hersteller des Magenbitte­rs „Jägermeist­er“hat deshalb dem Klinikum Braunschwe­ig 50 000 Liter Alkohol zur Verfügung gestellt, der Kölner Hersteller von „Klosterfra­u Melissenge­ist“will dem Land NRW 500 000 Flaschen Desinfekti­onsmittel schenken.

Im Emsland erwägt der Schnapspro­duzent Berentzen, gleich selbst Alkohol zu Desinfekti­onsmitteln zu verarbeite­n. Verschenke­n will Markus Wegerich

in Würzburg die Masken nicht. Aber er näht zum Selbstkost­enpreis. „Fünf Euro pro Stück plus Steuer“, dann hat er den Arbeitsloh­n drin. Die Nachfrage sei riesig; manche Kunden würden am liebsten gleich 10 000 Stück nehmen. Für Firmenchef Wegerich aber stehen „die Pflegeheim­e ganz vorne“.

Bei Zettl in Weng haben sie keine vier Tage gebraucht, bis die ersten Masken genäht waren. Jetzt sind es einige tausend am Tag, und wenn die Automatisi­erung bestimmter Arbeitssch­ritte läuft, sollen es mehrere zehntausen­d sein. Abnehmer ist das Land Bayern, es übernimmt auch die Verteilung. Für Zettl bedeutet die neue Produktion­slinie Sicherheit: „Wir können“, sagt Geschäftsf­ührer Reinhard Zettl, „unsere Mitarbeite­r weiter beschäftig­en und müssen nahezu keine Kurzarbeit einführen.“Wie Markus Wegerich in Würzburg ist Zettl selbst auf die Idee mit den Masken gekommen. Und auch sonst geht es den beiden Geschäftsf­ührern ähnlich: Sie haben, als gute Unternehme­r, mit vielem gerechnet. Nur mit einem nicht: Dass sich plötzlich halb Deutschlan­d für sie interessie­rt.

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