„Der Traktor heilt alle“
Während der Rest der Welt gegen die Pandemie kämpft, straft Weißrusslands Staatschef Alexander Lukaschenko das Virus mit Verachtung
Wie angenehm es doch jetzt sei, Fernsehen zu schauen, erklärte Lukaschenko dieser Tage: „Die Leute arbeiten auf dem Traktor, niemand redet über das Virus. Der Traktor heilt alle.“Alexander Lukaschenko, 65, weißrussischer Staatschef, erinnert sich gern daran, dass er zu Sowjetzeiten als Direktor eines Sowchos, eines landwirtschaftlichen Großbetriebs, arbeitete. Damals soll er betrunkene Traktoristen verprügelt haben, angesichts der Pandemie aber predigt er Milde. „Ich trinke ja nicht, aber in letzter Zeit scherze ich gern, man müsse sich mit Wodka nicht nur die Hände waschen, sondern mit 40 bis 50 Gramm Alkohol täglich das Virus vergiften.“Der Präsident, seit 1994 im Amt, gilt als wortgewaltiger Exzentriker, nervt Moskau ebenso wie den Westen schon viele Jahre mit seiner Schaukelpolitik. Jetzt, wo der Rest der Welt gegen eine Pandemie
kämpft, gefällt sich der 65-Jährige als einsamer Verächter: „Dieses Virus ist nur eine weitere Psychose, die jemandem nutzt und anderen schadet.“Sicher, der Präsident und seine Umgebung wüschen sich jetzt häufiger die Hände, erklärt seine Sprecherin Natalia Ejsmont. Aber kein Besucher müsse Masken tragen, der passionierte Eishockeyspieler und Rollskiläufer treibe weiter Sport und schüttele wie immer jede Hand. Medizinische Sondermaßnahmen in seiner Residenz habe er kategorisch verboten.
Weißrussische Liga spielt
als einzige in Europa
Lukaschenko geht als Beispiel voran, das Land folgt. Die Republik Belarus, wo es nach offiziellen Angaben 86 Infizierte und keinen Pandemie-toten gibt, hat im Gegensatz zu sämtlichen Nachbarn seine Grenzen nicht geschlossen. Die oberste weißrussische Liga ist die einzige Profiliga Europas, in der noch Fußball gespielt wird, die Betriebe arbeiten weiter, auch Universitäten, Schulen und selbst Kindergärten. Das Gesundheitsministerium rät zu guter Laune oder gar Verliebtheit, die dabei produzierten Endorphine steigerten die Immunität. Aber hinter dem Frohmut Lukaschenkos und seines Gefolges verbirgt sich hartes Kalkül und sogar Angst. Die globale Krise hat seine marode Planwirtschaft heftig getroffen, allein vergangene Woche verlor der weißrussische Rubel gegenüber dem Dollar zehn Prozent an Wert. Die russische Zeitung Iswestija vermutet, eine Quarantäne koste das Land bis zu 40 Prozent seiner Exporte und 20 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes. Und Ende August will sich Lukaschenko zum sechsten Mal als Präsident wieder wählen lassen. Auch wenn seine Sicherheitsorgane alle Oppositionsgruppen seit Jahrzehnten brutal unterdrücken, ein wirtschaftlicher Kollaps dürfte Lukaschenkos Regime auch politisch in große Schwierigkeiten bringen. Allerdings könnte das ebenso für das Corona-virus gelten, wenn die Epidemie italienische oder spanische Dimensionen annimmt. Aber solche Katastrophen gelten als kaum denkbar. „Man kann annehmen, dass es keine großen Verluste an Menschenleben geben wird“, sagt der Wirtschaftsfachmann Lew Margolin. „Weil wir nichts über sie erfahren werden.“