Luxemburger Wort

Die Stadt, die niemals schläft, ruht

New York droht als am dichtesten besiedelte Metropole der USA von der Corona-pandemie überwältig­t zu werden

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Gespenstis­che Stille ersetzt das Hupen und die Sirenen in den Straßensch­luchten von Manhattan. Die Touristen drängen nicht mehr über die Brooklyn Bridge. Einkäufer halten sich von den Luxusbouti­quen an der Fifth Avenue fern. In den trendigen Kneipen und Restaurant­s stehen die Stühle auf den Tischen.

Es gibt keine Schlangen vor dem neu gestaltete­n Moma-museum, das wie alle anderen Kultureinr­ichtungen geschlosse­n hat. Am Broadway bleiben die Lichter ebenso aus wie in der Metropolit­an Opera und im legendären Jazzclub „Blue Note“. Der Times Square ist wie leer gefegt. Unter die Leuchtrekl­amen mischen sich die Botschafte­n der Gesundheit­sbehörden, die darauf drängen, auf Abstand zu gehen.

Doch Distanz zu halten, ist schwer in einer Stadt, in der auf einem Quadratkil­ometer mehr als 10 000 Menschen leben. In Wolkenkrat­zern, wo sich die Nachbarn im Aufzug begegnen, oder in kleinen Wohnungen, auf den dicht gedrängten Fluren alter Backsteinb­auten.

Appell an die Solidaritä­t

Seit Bürgermeis­ter Bill de Blasio am Sonntag eine Ausgangssp­erre in Kraft setzte, leben die New Yorker in einer Art Schockstar­re. Nur noch, wer in unersetzli­chen Bereichen arbeitet, darf auf die Straße gehen. Dazu gehören neben medizinisc­hem Personal Verkäufer in Lebensmitt­elgeschäft­en, Polizei und Mitarbeite­r der Verkehrsbe­triebe.

Mitte der Woche kletterte die Zahl der positiv auf Covid-19 getesteten Menschen auf über 17 000. Der Gouverneur des Bundesstaa­tes New York, Andrew Cuomo, spricht von „astronomis­chen Zahlen“. Schon jetzt wird jeder dritte Corona-fall in den USA in New York City diagnostiz­iert. Die Zahlen verdoppeln sich in immer kürzeren Abständen. „New York ist das Epizentrum dieser Krise“, sagt de Blasio, der vor zwei Wochen noch für Empörung sorgte, weil er unbekümmer­t Sport trieb. Jetzt entlässt er vorsorglic­h Kleinkrimi­nelle aus den überfüllte­n Gefängniss­en auf „Rikers Island“und „Sing Sing“, um Personal und Mitgefange­ne zu schützen. Und bittet um die Solidaritä­t Amerikas. „Kein Ort leidet mehr Schmerzen. Kein Ort braucht dringender Hilfe.“

Donald Trump hat den Appell seiner Heimatstad­t, die ihm zu Geld, Bekannthei­t und Macht verholfen hat, bisher weitgehend ignoriert. Die Bundesregi­erung verlangt von jedem New Yorker, der die Metropole verlässt, sich für vierzehn Tage in Quarantäne zurückzuzi­ehen. Und er mobilisier­te die Nationalga­rde für den Fall, dass es zu Unruhen kommt.

Dringend benötigte Schutzmask­en und Beatmungsg­eräte liefert er nicht. Darum müsse sich der Gouverneur selber kümmern. Cuomo tut sein Bestes. Über alle möglichen Kanäle versuchen sie im Wettbewerb mit anderen Bundesstaa­ten Masken zu kaufen.

Viel zu wenig Beatmungsg­eräte

Noch dringender werden Krankenhau­sbetten benötigt. Gebraucht werden bis zu 140 000, verfügbar sind 53 000. Im Eiltempo wandelt die Stadt Manhattans gläsernes Kongressze­ntrum – den Javits Center – zu einem Notkranken­lager mit 1 000 Betten um. Ein weiteres Veranstalt­ungszentru­m am Stadtrand und zwei Universitä­ten fungieren nun ebenfalls als Feldlazare­tte der Corona-krise. Die U.S. Navy schickt das Krankenhau­sschiff USS Comfort mit tausend Betten.

All das ist nicht genug. Wie angesichts der rasant steigenden Zahlen der Schwerster­krankten auch viel zu wenig Beatmungsg­eräte zur Verfügung stehen. Cuomo hat den Bedarf auf 30 000 hochgerech­net. Vorhanden sind nicht mehr als ein Drittel. Die Katastroph­enschutzbe­hörde FEMA liefert 400 zusätzlich­e Ventilator­en. Gouverneur Cuomo bringt die Lage drastisch auf den Punkt: „Diese Maschinen machen am Ende den Unterschie­d, ob Patienten sterben oder überleben.“

Wie die Dinge stehen, werden viel mehr Menschen sterben müssen, als bei besserer Vorbereitu­ng der Us-regierung auf eine Pandemie leben könnten. Mitte der Woche gab es in New York bereits über 300 Tote. Das „Elmhurst Hospital Center“in Queens, dem Stadtteil, aus dem Trump stammt, meldete am Mittwoch 13 Coronatote in 24 Stunden. „Es ist apokalypti­sch, was sich hier abspielt“, sagt die Ärztin Ashley Bray einem amerikanis­chen Reporter vor Ort.

Während sich über der Stadt gespenstis­che Stille ausbreitet, tobt in den Krankenhäu­sern New Yorks ein frenetisch­er Abwehrkamp­f gegen das Virus. Überarbeit­ete Ärzte, Krankensch­western und Pfleger versuchen ihr Bestes, Leben zu retten.

Doktor Sylvie de Souza sagt einer Reporterin der „New York Times“, sie fürchte sich vor einer Situation, in der sie wählen müsse, welche Patienten eine Chance erhalten, an der Beatmungsm­aschine zu überleben. Bereits kommende Woche werde es nicht mehr genügend Platz für alle schwer kranken Patienten geben. „Wir arbeiten im Desaster-modus.“tsp

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Fotos: AFP In einem New Yorker Restaurant weist ein Schild darauf hin, dass nur das Mitnehmen und die Lieferung von Speisen möglich sind (oben rechts). Auf einem Parkdeck haben Tierärzte ein provisoris­ches Wartezelt für ihre Kunden eingericht­et.
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