Wenn die Gedanken kreisen
Ob telefonisch oder online: Beratungsstellen bieten psychologische Unterstützung
Luxemburg. Verunsicherung, Ungewissheit, Einsamkeit, Sorge, Angst: Die Ausnahmesituation, die Luxemburg derzeit durchlebt, stellt für viele Menschen auch eine psychische Belastung dar. Das Leben in der Isolation mag für manche zwar durchaus etwas (Ent-)spannendes haben, es birgt aber auch Raum für Konflikte – und für jede Menge Kopfzerbrechen. Umso wichtiger ist es, sich frühzeitig Rat und Unterstützung zu holen, wenn es mal nicht so rund läuft. Die Beratungsdienste in Luxemburg sind vorbereitet.
„Die Zahl der Anrufe, die bei uns eingehen, ist durch die aktuelle Lage schon um etwa ein Drittel gestiegen“, berichtet Sébastien Hay, Direktionsbeauftragter der telefonischen und Online-beratungsstelle SOS Détresse. „Bei diesen Gesprächen geht es hauptsächlich um den Umgang mit der sozialen Isolation sowie um Angstgefühle“, so Sébastien Hay. Denn: „Eine außergewöhnliche Situation führt zu außergewöhnlichen Ängsten.“
Der Umstand, 24 Stunden am Tag zu Hause zu verbringen, in der Familie oder allein, kann schon mal zur Herausforderung werden. Sébastien Hay zufolge ist es daher
Es ist ein guter Moment, um neue Leidenschaften zu entdecken. Sébastien Hay, SOS Détresse
unbedingt ratsam, sich Beschäftigung zu suchen. „Man kann Arbeiten im Haus oder im Garten ausführen. Ist man mit der Familie zusammen, kann man die gemeinsame Zeit nutzen. Ist man allein, so bietet sich die Gelegenheit, alte Leidenschaften wieder aufleben zu lassen – oder neue zu entdecken“, rät der Psychologe.
Beschäftigung ist das A und O
Sehr viele Möglichkeiten für jegliche Interessen biete da auch das Internet. „Philatelie-begeisterte können ihre Sammlung via Internetbestellung erweitern, Kunstfreunde an virtuellen Museumsrundgängen teilnehmen“, führt Hay an. „Es ist also weiterhin ein gewisser Zugang da, um auf andere Gedanken zu kommen.“Ebenso sollte man den Kontakt zu Familie und Freunden aufrechterhalten – via Telefon, Videokonferenzen und so weiter. Kurzum: „Man sollte versuchen, sich mit etwas zu beschäftigen, das Spaß und Sinn macht. Wenn man allerdings merkt, dass es nicht geht, sollte man sich unbedingt Hilfe holen.“
Diese bieten neben SOS Détresse zum Beispiel das Kannerjugendtelefon (KJT) sowie das Elterentelefon. „Kinder rufen uns zurzeit beispielsweise an, weil sie ihre Freunde nicht sehen können, ihre Großeltern vermissen oder aber ihre Geburtstage nicht so feiern können wie sonst“, berichtet Barbara Gorges-wagner, Direktionsbeauftragte beim KJT. „Aber es melden sich auch Kinder, die zunächst einfach nur weinen.“
Denn, dass etwas nicht stimmt, nehmen die Kleinen durchaus wahr. „Die Kinder sehen viele Bilder, etwa im Fernsehen. Es ist daher wichtig, dass die Eltern das mitsteuern, dass die Kinder nicht überflutet werden. Der Anblick eines Schutzanzugs etwa kann für Kinder sehr bedrohlich wirken. Deshalb gilt es, das sachgerecht und kindgemäß zu erklären und gut hinzuhören, wenn Kinder Fragen haben“, unterstreicht Barbara Gorges-wagner. Und: „Die Grundhaltung muss sein: Die Krise wird wieder vorbeigehen.“
In der Zwischenzeit sei es sehr wichtig, dem Tag jeweils eine gute Struktur zu geben, rät Barbara Gorges-wagner. „Frühstücken, Hausaufgaben machen, spielen, etwas rausgehen – damit man es nicht so empfindet, als wäre es ein Endlostag, bei dem niemand weiß, was passiert. Das hilft dabei, dass man sich nicht in Strukturlosigkeit verliert“, rät die Expertin.
Wichtig sei aber auch, dass die Kinder sehen, dass sie selbst etwas tun können. „Man kann ihnen erklären, dass jeder Einzelne aktiv werden und etwas beitragen kann, etwa durch das regelmäßige Händewaschen. Das ist ein pragmatischer Weg, um zu vermitteln: Ich bin dem Ganzen nicht völlig ausgeliefert“, so die Leiterin des Kannerjugendtelefon.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Kinder ihre Großeltern zurzeit nicht besuchen sollen, könnten sie sie stattdessen anrufen und Oma und Opa dann eben auf diesem Weg signalisieren, dass sie an sie denken, regt Barbara Gorges-wagner ferner an. „Man kann die Kinder gut dazu ermutigen, dass ihnen diese wichtige Aufgabe zukommt.“
Raum für sich selbst schaffen
Eltern sollten sich derweil vor Augen führen, dass man nicht ununterbrochen mit der ganzen Familie zusammen sein muss und auch mal Raum für sich selbst schaffen sollte. „Das ist nicht einfach. Es ist normal, in der Krise Ängste zu haben, angespannt zu sein. Darüber soll man sprechen“, so die Expertin. Über das Elterentelefon erhalten denn auch Erwachsene Rat und Unterstützung. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisensituation haben die Verantwortlichen zudem ein Merkblatt mit nützlichen Tipps für Kinder, Jugendliche und Eltern ausgearbeitet, das ihnen dabei helfen soll, die schwierige Zeit zu überstehen.
Doppelaufgabe für Eltern
Dass die Situation gerade auch für Eltern nicht einfach ist, weiß man auch beim Cepas, dem Centre psycho-social et d'accompagnement scolaires, das dem Bildungsministerium untersteht und nun ebenfalls verstärkt telefonische Beratung
Dass man dem Tag eine gute Struktur gibt, ist in dieser Zeit sehr wichtig. Barbara Gorges-wagner, KJT
anbietet, wie Direktorin Nathalie Keipes erklärt: „Eltern befinden sich jetzt in einer Situation, in der sie sich ganz schnell mit einer neuen Aufgabe zurechtfinden und Bildung und Erziehung unter einen Hut bringen müssen (siehe auch LW von gestern).“
Das Angebot des Cepas, das übrigens auch Entspannungsübungen per Telefon umfasst, richtet sich aber nicht nur an Eltern, sondern auch an die Schüler selbst, an Lehrer sowie an alle anderen Personen, die einen psychologischen Rat suchen. „Bei negativen Emotionen, Traurigkeit, fehlender Freude und Wohlbefinden ist es äußerst wichtig, Dinge in den Alltag einzubauen, um mental fit zu bleiben“, betont Nathalie Keipes. „Und, wenn das nicht ausreicht, darüber zu sprechen.“