„Ich bin nicht nur Sportler, ich bin Bob“
Für Kugelstoßer Bob Bertemes geht es im Leben eines Athleten um mehr als nur um Erfolge
Sport ist nicht nur Training und Wettkampf. In Zeiten der Einschränkungen durch die Corona-krise wird vor allem den passionierten Athleten bewusst, welch große Bedeutung der Sport in ihrem Leben einnimmt. In der Serie „Mein Sport und ich“sprechen Sportler über die innige Beziehung zu ihrer Disziplin. Den Anfang macht Kugelstoßer Bob Bertemes. Der 26-Jährige kommende Olympia-teilnehmer gehört zur absoluten Weltspitze. Trotzdem weiß er, dass man im Leistungssport nicht weit kommt, wenn man sich nur auf Titel konzentriert. Der Sportsoldat hat sein Talent genutzt, um vor allem seinen Horizont zu erweitern.
Bob Bertemes, was fehlt Ihnen aktuell an Ihrem Sport am meisten?
Am meisten fehlt mir ein geregelter Tagesablauf. Das Stoßen an sich aber auch. Und die Wettkämpfe, bei denen ich mich mit anderen messen kann. auch beim Wettkampf ein gutes Gefühl. Dann stellt man sich ganz wenige Fragen. Man braucht eine gewisse Wettkampf-geilheit, dass man weit stoßen will. Und dann lässt man es einfach laufen.
Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrer Kugel bezeichnen?
Im Training sind wir nicht die besten Freunde, weil ich oft das Problem habe, dass nicht alle Versuche gut sind. Manchmal sind vor allem die letzten zehn grandios schlecht. Da habe ich die Kugel auch schon einmal in die Ecke gedonnert. Es ist eine Art Hassliebe. Im Wettkampf kriegen wir aber die Kurve, dann sind wir Freunde und arbeiten zusammen.
Was mögen Sie nicht am Kugelstoßen?
Die erste Trainingswoche nach einer Pause ist die Hölle auf Erden. Vor allem das Kraftausdauertraining hasst jeder Werfer. Alles tut weh, ich kann nicht mehr richtig laufen, habe üblen Muskelkater und bin einfach kaputt. Man fühlt sich schwach und schlecht und fällt auf den Boden der Tatsachen. Ich denke dann oft: Es kann doch nicht sein, dass ich das nicht mehr schaffe. Aber ich habe es immer hinbekommen, diese Gedanken und Gefühle nicht überzubewerten. Schlechte Einheiten sollte man nicht so wertschätzen. Bislang gab es für jedes Problem eine Lösung.
Wie gehen Sie mit Frust um?
Manchmal müssen die Aggressionen einfach raus. Es macht keinen Sinn, wenn sich der Frust im Körper anstaut. Dann schreie ich, nehme die Kugel und haue sie irgendwo hin. Danach geht's mir besser.
Wenn Sie auf Ihre bisherige Karriere zurückblicken: Was würden Sie anders machen?
Ich würde vermutlich ein bisschen früher zum Drehstoß wechseln (Bertemes stellte erst vor zweieinhalb Jahren vom Angleiten auf die Drehstoßtechnik um, Anmerkung der Redaktion). Dann hätte ich die 21 m vielleicht schon früher gestoßen. Im Nachhinein kann ich mich aber nicht beschweren, da es bei mir mit der neuen Technik relativ schnell Klick gemacht hat. Das war definitiv ein bisschen ungewöhnlich. Es ist aber sicherlich auch ein Vorteil, wenn man beide Techniken gut kennt.
Wie wirkt sich der Leistungssport, insbesondere das Kugelstoßen, auf Sie als Mensch aus?
Ich bin viel weltoffener geworden, weil ich einfach viel herumkomme. Man kommt super einfach mit den Leuten ins Gespräch: Wie ist dein Alltag, wie sieht dein Leben aus? Da wird man demütiger, wenn man sieht, womit sich die anderen herumschlagen müssen. Deren Leben sieht oft anders aus als unseres in Europa.
Hat der Sport direkten Einfluss auf Ihren Charakter?
Ich war früher introvertierter, der Sport gibt mir eine Stütze und hat mich im Leben gefestigt. Das ist anders, als wenn du nicht weißt, wo du hingehörst. Ich weiß, dass man das machen kann, was ich mache. Es ist okay, Kugelstoßer zu sein.
Im Wettkampf kriegen wir die Kurve, dann sind wir Freunde und arbeiten zusammen.
Bob Bertemes über seine Kugel
In Zeiten des Corona-virus rückt alles in den Hintergrund und relativiert sich. Wie stark definieren Sie sich über den Sport?
Ich stelle mich anderen nicht als Leistungssportler vor. Ich sage oft, dass ich bei der Luxemburger Armee bin, aber nicht, dass ich Kugelstoßer bin. Ich hoffe, dass mich die Leute als Mensch definieren. Ich bin nicht nur Sportler, ich bin Bob. Der kleine Junge aus Beles, der ein bisschen Sport macht.
Sie werden Ihren Sport irgendwann nicht mehr auf diesem Niveau ausüben können. Haben Sie Angst davor?
Nein, ich bin sogar froh darüber. Irgendwann ist der körperliche und mentale Verschleiß so groß, dass es normal ist, dass die Motivation abflaut. Man sehnt sich nach einem geregelten Tagesablauf. Mit Familienplanung lässt sich das nicht vereinbaren. Eine große Verletzung und man ist raus. Deshalb glaube ich nicht, dass ich noch zehn Jahre Kugelstoßen werde. Ich plane sowieso nur noch ein Jahr nach dem anderen. Wenn ich selbst merke, dass es nicht mehr reicht, um vorne mit dabei zu sein, bin ich reif genug zu erkennen, dass es genug ist. Ich trainiere jeden Tag, um sagen zu können, dass ich alles gegeben habe, damit ich nichts bereuen muss.
Es geht im Sport um Titel, Medaillen, Ruhm und Selbstverwirklichung: Was ist das große Ziel, auf das Sie als Leistungssportler hinarbeiten?
Mein größter Traum war immer, einmal 21 m zu stoßen. Das habe ich geschafft (bei der EM 2018, Anmerkung der Redaktion). Seitdem nehme ich alles als Bonus. Das ist sehr entspannend für den Kopf. Wenn ich mal fertig bin, kann ich hoffentlich sagen: Ich habe alles getan, was ich konnte. Ich habe tolle Freunde gefunden und super Leute kennengelernt. Und ich habe eine Spur für diejenigen hinterlassen, die nach mir kommen. Vielleicht kann ich anderen Luxemburgern, die den Sport auch machen wollen, den Weg ebnen. Damit könnte ich leben.