Luxemburger Wort

Lebendige Legislativ­e

Fernand Etgen erklärt, wie die Chamber trotz Einschränk­ungen durch das Corona-virus funktionsf­ähig bleibt

- Interview: Marc Hoscheid

Seit etwas mehr als einem Jahr ist der Liberale Fernand Etgen (63) Chamberprä­sident. Im Interview berichtet er vom Arbeitsall­tag im Parlament in der Corona-krise und über seine Zusammenar­beit mit dem neuen Generalsek­retär Laurent Scheeck.

Fernand Etgen, wie muss man sich den Arbeitsall­tag im Parlament vorstellen? Wie viele Mitarbeite­r arbeiten von zu Hause aus und wie viele sind im Parlament präsent?

Die Chamber ist voll funktionsf­ähig. Wir haben rund 100 Mitarbeite­r von denen 95 Prozent Telearbeit machen. Fünf bis sechs Leute sind in der Chamber präsent. Die internatio­nale Abteilung hat ihre Aktivitäte­n quasi auf Null reduziert, weil die Arbeit in den internatio­nalen Gremien ruht.

Wir beraten uns aber mit anderen Parlamente­n über ihre Vorgehensw­eise in der Krise.

Hat der ausgerufen­e Ausnahmezu­stand konkrete Auswirkung­en auf die Arbeit im Parlament?

Wir hatten uns bereits vor dem Beginn des Ausnahmezu­stands eine Richtlinie gegeben. Das Parlament ist die Herzkammer der Demokratie und die Institutio­nen müssen den Menschen zeigen, dass sie im Kampf gegen den unsichtbar­en Feind Corona-virus funktionie­ren.

Wie organisier­t die Chamber die Zusammenar­beit mit anderen Institutio­nen wie dem Staatsrat oder den Berufskamm­ern?

Wir reden regelmäßig miteinande­r. Auch der Austausch mit der Regierung funktionie­rt gut, in der vergangene­n Woche standen mehrere Minister hier Rede und Antwort.

Wie bewerten Sie die Tatsache, dass der Ausnahmezu­stand mit den Stimmen sämtlicher 56 anwesenden Abgeordnet­en, auch jenen der Opposition, angenommen wurde?

Wir müssen schauen, dass wir die Krise nicht politisier­en. Mehrheit und Opposition müssen zusammenar­beiten und zeigen, dass sie die Regierung bei den notwendige­n Maßnahmen unterstütz­en.

Besteht nicht doch die Gefahr, dass die Regierung diese breite Zustimmung als Blankosche­ck versteht, respektive es in der Öffentlich­keit so rüberkommt und das Ansehen des Parlaments Schaden nimmt?

Nein, die Regierung hat keinen Blankosche­ck. Es gab, wie gesagt, schon mehrere Treffen, wo Minister Rede und Antwort gestanden haben und jeder Abgeordnet­e

Bei Debatten können aus Hygienegrü­nden zurzeit nicht alle Abgeordnet­en im Plenarsaal Platz nehmen. Die Sitzungen der Kommission­en finden teils per Videokonfe­renz statt. seine Fragen, auch kritische, stellen konnte.

Kann der Ausnahmezu­stand nach den drei Monaten eigentlich erneut verlängert werden?

Nein, der Ausnahmezu­stand kann nach drei Monaten nicht verlängert werden. Er müsste dann erneut ausgerufen werden und zwar mit einer anderen Begründung. Hier gehen die Meinungen aber etwas auseinande­r.

Hat sich bereits ein Mitarbeite­r mit der Krankheit infiziert, oder musste wegen Kontakt mit einer infizierte­n Person in Quarantäne?

Nein, es hat sich noch kein Mitarbeite­r infiziert. Es waren zu Beginn der Krise mehrere Abgeordnet­e in Quarantäne, weil ein Verdacht bestand, aber der hat sich in keinem Fall bestätigt.

Sollte es zu einem positiven Fall kommen, welche Auswirkung­en hätte das?

Dann gelten dieselben Vorgaben wie für jeden. Die betroffene Person müsste sich in Selbstquar­antäne

begeben. Wir wollen hier mit gutem Beispiel vorangehen.

Am Mittwoch tagte erstmals eine Kommission per Videokonfe­renz. War die Chamber technisch auf ein solches Szenario vorbereite­t? Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Wir haben positives Feedback erhalten. Es klappt zwar noch nicht alles hundertpro­zentig, aber das ist bei neuen Systemen normal, das wurde uns auch aus der Privatwirt­schaft bestätigt. Sitzungen werden aber auch weiterhin physisch in der Chamber stattfinde­n, wenn die Zahl der Abgeordnet­en beispielsw­eise zu groß für eine Videokonfe­renz ist. Gespräche von Angesicht zu Angesicht haben zudem eine höhere Intensität. Die ist wichtig, um Kompromiss­e zu finden, was schließlic­h unsere Aufgabe ist.

Bei den vergangene­n Debatten wurden die Abgeordnet­en auf das Plenum und zwei Sitzungssä­le verteilt und es wurde darauf geachtet, dass sich die verschiede­nen Gruppen nicht begegnen. Wie lief das ab?

Wenn eine Gruppe mit der Abstimmung fertig war, musste sie im Erdgeschos­s warten, bis die nächste Gruppe im Plenarsaal war. Bei der nächsten Debatte wollen wir etwas anders vorgehen und es den Abgeordnet­en ermögliche­n, in den beiden Sitzungssä­len abzustimme­n. In diesen befinden sich auch Videokamer­as, sodass der öffentlich­e Charakter der Abstimmung gegeben ist. Auch die Stimmrecht­svertretun­g wird erneut zum Einsatz kommen.

Abgeordnet­e, die älter als 65 Jahre sind, waren von der Teilnahme an den Debatten frei gestellt, da sie wegen ihres Alters zu einer Risikogrup­pe gehören. Mussten sie nur nicht, oder durften sie gar nicht teilnehmen?

Doch sie durften teilnehmen, einige haben das ja auch getan. Wir können und wollen niemanden vom Arbeiten abhalten. (lacht).

Der Ausnahmezu­stand kann nach drei Monaten nicht verlängert werden.

Präsident und Generalsek­retär müssen wie ein Binom funktionie­ren.

Ist es so, dass das Rednerpult nach jedem Redner desinfizie­rt wurde?

Nicht nach jedem Redner, aber mehrfach. Künftig soll das noch öfter passieren. Wir halten uns auch beim social distancing an die Vorgaben der Experten.

Wie sehr ist Claude Frieseisen noch in die alltäglich­e Arbeit involviert? Seine Mithilfe ist Ihnen und seinem Nachfolger auf dem Posten des Generalsek­retärs, Laurent Scheeck, doch bestimmt recht, oder?

Es gab eine Übergangsp­hase vom 1. Februar bis zum 1. März, in der Claude Frieseisen noch die Verantwort­ung getragen hat. Seitdem ist er in Rente. Er verfügt jedoch über enorm viel Wissen und sein Rat wird weiterhin sehr geschätzt.

Es ist bekannt, dass Sie eine externe Lösung gegenüber Scheeck favorisier­t hätten, haben Sie darüber gesprochen? Warum wollten Sie eigentlich eine Person von außen und wie läuft die Zusammenar­beit bisher?

Ich habe von Beginn an mit Laurent Scheeck ganz offen darüber gesprochen, es gab kein böses Blut. Präsident und Generalsek­retär müssen wie ein Binom funktionie­ren, wir reden im Grunde genommen täglich miteinande­r, jeden Morgen überprüfen wir die Zulässigke­it der parlamenta­rischen Fragen. Ich habe eine externe Lösung bevorzugt, weil jetzt Leute aus dem Organigram­m übersprung­en wurden und ich Unzufriede­nheit befürchtet hatte. Ich bin jedoch überhaupt nicht von der Wahl von Herrn Scheeck enttäuscht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg