Fehler und Vorsprung
Nur Tirol trübt die sonst so herzeigbare Bilanz der Österreicher während der Corona-krise
Einen Monat ist es her, dass das Corona-virus auch in Österreich aufschlug: Ein aus der Lombardei stammendes junges Pärchen wurde positiv auf Covid-19 getestet. Die Frau arbeitete in einem Innsbrucker Hotel. Nach Tagen der täglich rapportierten Verdachtsfälle also „endlich“ein echter – und der Beginn des Corona-wahnsinns hatte noch etwas Nachlässig-heiteres: Vor dem sofort abgesperrten Hotel berichtete ein atemloser Reporter im Fernsehen live, dass niemand hinein und niemand heraus dürfe, derweil hinter ihm seelenruhig ein Mann mit Roller aus der Hoteltür trat, vom Wache stehenden Polizisten unbehelligt. Die Szene wurde ein Renner im Internet.
Das Lachen ist auch in Österreich längst vergangen. Die Schreckensnachrichten aus Italien kommen praktisch von vor der Haustür. Und mit Tirol – und den fahrlässigen Versäumnissen in den Skiorten im Umgang mit der wachsenden Corona-gefahr – hat man den zweiten Corona-hotspot in Europa, der weit über die Grenzen hinaus strahlt.
Fakt ist, dass in Ischgl und anderen Après-ski-hochburgen noch tagelang gefeiert wurde, als die Lage schon mehr als ernst war – die „Kitzloch“-bar gilt heute als Inbegriff der Virenschleuder quer durchs Land und Europa. Fakt ist, dass die Ski-lifte (wohl auf Druck der Touristiker) an einem Wochenende Anfang März noch geöffnet blieben, als das längst unverantwortlich war. Dass Skigäste dann aus einem Tiroler Coronaort rausgeworfen wurden, die erst zwei Tage später in die Heimat fliegen konnten – und in Innsbruck in Hotels eincheckten. Und das alles trotz Warnungen aus Norwegen, Dänemark oder Island, wo die ersten in Österreich angesteckten Corona-infizierten schon angekommen waren.
Heute stehen das gesamte Bundesland Tirol und alle seine 279 Gemeinden unter Quarantäne – Fahrten sind nur in den Nachbarort erlaubt. Auch im Salzburger Pongau hat sich das Corona-virus in der Skipartylaune verbreitet – auch dort gibt es in zahlreichen Gemeinden nur noch Quarantäne.
Die offenkundigen Schlampereien in Tirol, die nun auch schon die Staatsanwaltschaft beschäftigen und nach Ende der Coronakrise wohl auch Konsequenzen haben dürften, haben den Ruf des Tourismus-magneten schon ordentlich beschädigt – vor allem bei den vielen Gästen aus Skandinavien. Aber sie trüben auch die Bilanz in Gesamtösterreich und die Maßnahmen der Regierung, die sich schon sehen lassen können.
Von Anfang März an informierte die Regierungsspitze die Österreicher praktisch im Tagestakt über neue Maßnahmen: Schulschließungen, Veranstaltungsverbot, Quarantänemaßnahmen, Schließung aller Geschäfte außer jener für die Grundversorgung, 4Milliarden-euro-hilfspaket, Aufruf zum Homeoffice, kein Kontakt zu Großeltern … Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober sind via TV Dauergast in den heimischen Wohnzimmern. Und der einhellige Tenor ist: Die türkis-grüne Regierung, das mit so großer Neugier verfolgte, seit Jahreswechsel amtierende „Experiment“, macht seine Sache in Krisenzeiten besonders gut. Keine Panikmache, aber das ständige Drängen auf die gewisse „awareness“, also die nicht nachlassende Vorsicht und Aufmerksamkeit im Umgang mit dem Virus beziehungsweise den Mitmenschen.
Beobachter fügen schon auch an, dass die Taktung der Kurz-auftritte und die Krisen-bewältigung einem gut geschmierten Konzept der Inszenierung folgt, mit dem die Strategen hinter dem jungen Kanzler die Wien-wahlen im Herbst (so sie denn stattfinden) und die Zukunft des Jungstars Sebastian
Kurz im Auge haben – gelingt es ihm, Corona gut und vielleicht besser als andere europäische Staaten zu meistern, kann sich das nachhaltig auf das Streben nach künftigen absoluten Mehrheiten auswirken.
Gratwanderung bei Maßnahmen
Die Maßnahmen – de facto ein Shutdown – sind aber, wie überall, auch eine Gratwanderung, was die Wirtschaft betrifft. Kurzarbeit vom Handwerker bis zur staatlichen Fluglinie „Austrian“und der Bahn, Branchen, die vor dem Zusammenbruch stehen, die drohende Explosion der Arbeitslosenzahlen auch für die Zeit danach – das kann ein Gegengewicht beim Plan, gut auszusteigen, sein. Eine Herausforderung für das junge Kanzlerteam, über die Krise hinaus.
Fakt ist auch, dass die Testungen in Österreich viel zu langsam funktionieren, Schutzausrüstungen für Ärzte und andere gefährdete Berufsgruppen auf sich warten lassen.
Dennoch: Mit rund 6 000 Infizierten und 50 Todesfällen, vor allem aber mit einer Steigerungsrate
von deutlich weniger als 20 Prozent über Tage, steht Österreich nicht so schlecht da – auch wenn der dramatische Anstieg erst noch kommen kann. Sebastian Kurz hat kürzlich das Geheimnis hinter den früh gesetzten Maßnahmen gelüftet: Israels Premier Netanyahu, mit dem er dicke ist, habe ihm zweimal die Einschätzung mitgeteilt, „dass einige europäische Länder zu wenig aktiv sind“und es so aussehe, dass das Virus „in Europa unterschätzt wird“. Auch die Bigdata-erfahrungen aus Israel (Tracking von Infizierten und Kontaktpersonen zwecks Isolierung) haben Kurz offenbar fasziniert, eine abgemilderte Form ist in Österreich offenbar angedacht. Die Tipps aus Israel, was rigide Maßnahmen betrifft, waren offenbar wertvoll. „Gottseidank ist es uns gelungen, dass wir schneller reagiert haben als andere europäische Staaten, was die Grenzschließung betrifft. Aber auch, was Maßnahmen in Österreich betrifft“, sagte Kurz kürzlich in einem Interview. So weit passt die Erzählung der Krisengeschichte noch ins Konzept.
Das Experiment Türkis-grün klappt in der Krise.