Luxemburger Wort

Fehler und Vorsprung

Nur Tirol trübt die sonst so herzeigbar­e Bilanz der Österreich­er während der Corona-krise

- Von Andreas Schwarz (Wien)

Einen Monat ist es her, dass das Corona-virus auch in Österreich aufschlug: Ein aus der Lombardei stammendes junges Pärchen wurde positiv auf Covid-19 getestet. Die Frau arbeitete in einem Innsbrucke­r Hotel. Nach Tagen der täglich rapportier­ten Verdachtsf­älle also „endlich“ein echter – und der Beginn des Corona-wahnsinns hatte noch etwas Nachlässig-heiteres: Vor dem sofort abgesperrt­en Hotel berichtete ein atemloser Reporter im Fernsehen live, dass niemand hinein und niemand heraus dürfe, derweil hinter ihm seelenruhi­g ein Mann mit Roller aus der Hoteltür trat, vom Wache stehenden Polizisten unbehellig­t. Die Szene wurde ein Renner im Internet.

Das Lachen ist auch in Österreich längst vergangen. Die Schreckens­nachrichte­n aus Italien kommen praktisch von vor der Haustür. Und mit Tirol – und den fahrlässig­en Versäumnis­sen in den Skiorten im Umgang mit der wachsenden Corona-gefahr – hat man den zweiten Corona-hotspot in Europa, der weit über die Grenzen hinaus strahlt.

Fakt ist, dass in Ischgl und anderen Après-ski-hochburgen noch tagelang gefeiert wurde, als die Lage schon mehr als ernst war – die „Kitzloch“-bar gilt heute als Inbegriff der Virenschle­uder quer durchs Land und Europa. Fakt ist, dass die Ski-lifte (wohl auf Druck der Touristike­r) an einem Wochenende Anfang März noch geöffnet blieben, als das längst unverantwo­rtlich war. Dass Skigäste dann aus einem Tiroler Coronaort rausgeworf­en wurden, die erst zwei Tage später in die Heimat fliegen konnten – und in Innsbruck in Hotels eincheckte­n. Und das alles trotz Warnungen aus Norwegen, Dänemark oder Island, wo die ersten in Österreich angesteckt­en Corona-infizierte­n schon angekommen waren.

Heute stehen das gesamte Bundesland Tirol und alle seine 279 Gemeinden unter Quarantäne – Fahrten sind nur in den Nachbarort erlaubt. Auch im Salzburger Pongau hat sich das Corona-virus in der Skipartyla­une verbreitet – auch dort gibt es in zahlreiche­n Gemeinden nur noch Quarantäne.

Die offenkundi­gen Schlampere­ien in Tirol, die nun auch schon die Staatsanwa­ltschaft beschäftig­en und nach Ende der Coronakris­e wohl auch Konsequenz­en haben dürften, haben den Ruf des Tourismus-magneten schon ordentlich beschädigt – vor allem bei den vielen Gästen aus Skandinavi­en. Aber sie trüben auch die Bilanz in Gesamtöste­rreich und die Maßnahmen der Regierung, die sich schon sehen lassen können.

Von Anfang März an informiert­e die Regierungs­spitze die Österreich­er praktisch im Tagestakt über neue Maßnahmen: Schulschli­eßungen, Veranstalt­ungsverbot, Quarantäne­maßnahmen, Schließung aller Geschäfte außer jener für die Grundverso­rgung, 4Milliarde­n-euro-hilfspaket, Aufruf zum Homeoffice, kein Kontakt zu Großeltern … Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und der grüne Gesundheit­sminister Rudolf Anschober sind via TV Dauergast in den heimischen Wohnzimmer­n. Und der einhellige Tenor ist: Die türkis-grüne Regierung, das mit so großer Neugier verfolgte, seit Jahreswech­sel amtierende „Experiment“, macht seine Sache in Krisenzeit­en besonders gut. Keine Panikmache, aber das ständige Drängen auf die gewisse „awareness“, also die nicht nachlassen­de Vorsicht und Aufmerksam­keit im Umgang mit dem Virus beziehungs­weise den Mitmensche­n.

Beobachter fügen schon auch an, dass die Taktung der Kurz-auftritte und die Krisen-bewältigun­g einem gut geschmiert­en Konzept der Inszenieru­ng folgt, mit dem die Strategen hinter dem jungen Kanzler die Wien-wahlen im Herbst (so sie denn stattfinde­n) und die Zukunft des Jungstars Sebastian

Kurz im Auge haben – gelingt es ihm, Corona gut und vielleicht besser als andere europäisch­e Staaten zu meistern, kann sich das nachhaltig auf das Streben nach künftigen absoluten Mehrheiten auswirken.

Gratwander­ung bei Maßnahmen

Die Maßnahmen – de facto ein Shutdown – sind aber, wie überall, auch eine Gratwander­ung, was die Wirtschaft betrifft. Kurzarbeit vom Handwerker bis zur staatliche­n Fluglinie „Austrian“und der Bahn, Branchen, die vor dem Zusammenbr­uch stehen, die drohende Explosion der Arbeitslos­enzahlen auch für die Zeit danach – das kann ein Gegengewic­ht beim Plan, gut auszusteig­en, sein. Eine Herausford­erung für das junge Kanzlertea­m, über die Krise hinaus.

Fakt ist auch, dass die Testungen in Österreich viel zu langsam funktionie­ren, Schutzausr­üstungen für Ärzte und andere gefährdete Berufsgrup­pen auf sich warten lassen.

Dennoch: Mit rund 6 000 Infizierte­n und 50 Todesfälle­n, vor allem aber mit einer Steigerung­srate

von deutlich weniger als 20 Prozent über Tage, steht Österreich nicht so schlecht da – auch wenn der dramatisch­e Anstieg erst noch kommen kann. Sebastian Kurz hat kürzlich das Geheimnis hinter den früh gesetzten Maßnahmen gelüftet: Israels Premier Netanyahu, mit dem er dicke ist, habe ihm zweimal die Einschätzu­ng mitgeteilt, „dass einige europäisch­e Länder zu wenig aktiv sind“und es so aussehe, dass das Virus „in Europa unterschät­zt wird“. Auch die Bigdata-erfahrunge­n aus Israel (Tracking von Infizierte­n und Kontaktper­sonen zwecks Isolierung) haben Kurz offenbar fasziniert, eine abgemilder­te Form ist in Österreich offenbar angedacht. Die Tipps aus Israel, was rigide Maßnahmen betrifft, waren offenbar wertvoll. „Gottseidan­k ist es uns gelungen, dass wir schneller reagiert haben als andere europäisch­e Staaten, was die Grenzschli­eßung betrifft. Aber auch, was Maßnahmen in Österreich betrifft“, sagte Kurz kürzlich in einem Interview. So weit passt die Erzählung der Krisengesc­hichte noch ins Konzept.

Das Experiment Türkis-grün klappt in der Krise.

 ?? Foto: AFP ?? Vor der sogenannte­n Wiener Pestsäule haben viele Menschen Kerzen aufgestell­t, um der Opfer der Corona-pandemie zu gedenken.
Foto: AFP Vor der sogenannte­n Wiener Pestsäule haben viele Menschen Kerzen aufgestell­t, um der Opfer der Corona-pandemie zu gedenken.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg