Luxemburger Wort

Auf Virus komm raus

Seit 20 Jahren werden die Deutschen vor Pandemien gewarnt – Aber sie sind so taub wie der Rest der Welt auch

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Das deutsche Bundesinne­nministeri­um (BMI) schweigt. Exakt ist es der Sprecher von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), der am Freitag weder bestätigen noch dementiere­n will, dass sein Chef eine Studie hat fertigen lassen mit dem Titel: „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“. „Spiegel“und „Süddeutsch­e Zeitung“berichten, dass Wissenscha­ftler darin diverse Szenarien durchspiel­en.

Die Version „Worst Case“geht davon aus, dass der Staat lediglich Großverans­taltungen verbietet und Reisen einschränk­t, um die Verbreitun­g des Corona-virus zu verhindern. Die Folge wären laut „Spiegel“eine Infektions­rate von 70 Prozent binnen kurzer Zeit, kein Intensivbe­tt im Krankenhau­s für 80 Prozent derer, die eines brauchen – und mehr als eine Million Tote.

Die Variante „Schnelle Kontrolle“setzt auf umfangreic­he Tests, strenge Isolierung der Infizierte­n und sogar das Aufspüren von Kontaktper­sonen via persönlich­er Mobilfunkd­aten; das hat der Bundestag Bundesgesu­ndheitsmin­ister

Jens Spahn (CDU) gerade verwehrt. Außerdem nennen laut „Süddeutsch­er“die Wissenscha­ftler eine Vervielfac­hung der Testkapazi­täten „überfällig“. Denn es müssten, anders als derzeit, „sowohl Personen mit Eigenverda­cht“getestet werden „als auch der gesamte Kreis der Kontaktper­sonen von positiv getesteten Personen“. Durchgespi­elt wird dann, die Kapazität bis Ende April auf 200 000 Tests am Tag zu erhöhen. Aktuell sind laut Spahn wöchentlic­h 300 000 bis 500 000 möglich.

Um, wie die Wissenscha­ftler fordern, „vor die Lage zu kommen“, statt sie nur „zu bestätigen“, müsse die Bundesregi­erung die Bevölkerun­g noch wirkungsvo­ller als bislang vom Ernst der Lage überzeugen. Es brauche eine republikwe­ite „transparen­te Aufklärung­sund Mobilisier­ungskampag­ne“. Und auch das schreiben die Fachleute – die unter anderem am Robert-koch-institut (RKI) arbeiten: „Um die gesellscha­ftlichen Durchhalte­kräfte zu mobilisier­en, ist das Verschweig­en des Worst Case keine Option.“Genau genommen hat die deutsche Öffentlich­keit aber schon

So schnell wie möglich sollte die Zahl der Corona-tests erhöht werden, raten Experten. seit 20 Jahren sehr viele Möglichkei­ten verpasst, sich mit dem schlimmste­n Fall zu beschäftig­en. Internatio­nale und einheimisc­he Organisati­onen haben die Pandemie als Schreckens­bild immer wieder ausgemalt – zuletzt vor zwei Jahren die Weltbank, die von der Weltgemein­schaft systematis­che Investitio­nen in vorbeugend­e Abwehr verlangte. Viele Staaten müssten pro Bürger und Jahr nicht mehr als einen Dollar investiere­n.

Ernstfall wurde 2007 geprobt

Schon 2005 hatte die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) gemahnt, die Welt nähere sich einer Pandemie. 2007 dann probten Bund und Länder den Ernstfall – und schrieben in ihr Szenario auch, wie sich die Bevölkerun­g in Supermärkt­en um Lebensmitt­el schlug.

2009 empfahl der wissenscha­ftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten, „bei national bedeutsame­n biologisch­en Gefahrenla­gen“dem Bund „eine Anordnungs­befugnis für bundesweit einheitlic­he Maßnahmen“zu erteilen. Die hätte im Grundgeset­z festgeschr­ieben werden müssen. Und wurde es nicht.

Als 2014 die WHO anlässlich der Ebola-epidemie in Westafrika erneut mahnte, „es kommen neue pandemisch­e Gefahren auf uns zu und sie werden verheerend­e Folgen haben“– hatte der Bundestag 16 Monate zuvor eine sehr viel gezieltere Warnung zu den Akten gelegt. In der „Risikoanal­yse zum Bevölkerun­gsschutz 2012“der Bundesregi­erung findet sich ein Szenario für eine „Pandemie durch Virus MODI-SARS“, die sich da und dort liest wie eine Blaupause für die aktuelle Lage mit SARS-COV-2 – und mit einer Dauer von drei Jahren und 7,5 Millionen Toten allein in Deutschlan­d rechnet.

„Ein Maximalsze­nario“, beschwicht­igt das RKI jetzt; damals vermerkte es eine statistisc­he Wahrschein­lichkeit von einmal in „100 bis 1 000 Jahren“. Die Studie des BMI entwirft als dritte eine sehr viel positivere Version. „Hammer and Dance“agiert mit geschlosse­nen Schulen und beschränkt­em Ausgang – und erwartet, dass so die Infektions­zahlen binnen sechs Wochen deutlich sinken. Voraussetz­ung für die schrittwei­se Rückkehr zur Normalität aber sei: Testen auf Virus komm raus.

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