Luxemburger Wort

Einer nach dem anderen

Corona-krise: Die Europäisch­e Union lässt sich nur sehr mühsam per Videokonfe­renz regieren

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Für Marc Angel, für die LSAP Abgeordnet­er im Europa-parlament, war es anfangs hart. Wegen der Covid-19-pandemie war die Plenarsitz­ung Anfang März in Straßburg abgesagt – die Abgeordnet­en tagten dann nur sehr kurz in Brüssel. Dann folgte „Schockstar­re“, so der Eu-parlamenta­rier: Die Ausgangssp­erren lähmten die europäisch­e Volksvertr­etung zunächst. Doch allmählich finden sich Wege, um die Arbeit wieder aufzunehme­n. Die Fraktionen des Eu-parlaments und deren Mitglieder aus ganz Europa organisier­en sich neu, um via Videokonfe­renz zu tagen.

Es wurde geübt, um aus der Distanz an Abstimmung­en teilzunehm­en, am Donnerstag war es dann die Premiere: Das Eu-parlament hielt eine Abstimmung ab, obschon die allermeist­en der Parlamenta­rier in ihren Heimatslän­dern waren. „Auch die interne Arbeit in den Fraktionen funktionie­rt, aber es verlangt nach viel Disziplin“, berichtet Marc Angel. Denn: Videokonfe­renzen sind anstrengen­d, gefragt sind Konzentrat­ion und geduldiges Zuhören. Das hat auch Auswirkung­en auf die Entscheidu­ngen, hat Marc Angel beobachtet: „Man streitet weniger über Details und handelt flexibler.“Der Eupolitike­r glaubt, dass „das Parlament dadurch eine gewisse Zeit überbrücke­n und seine wesentlich­en Aufgaben erledigen kann. Doch die Qualität der Arbeit leidet unter dieser Situation“.

Das gleiche Problem stellt sich umso mehr im Rat der Europäisch­en Union, in dem die Vertreter der Mitgliedst­aaten – und in letzter Instanz auch die Staats- und Regierungs­chefs – miteinande­r verhandeln. Die Herausford­erung: Die dort fallenden Entscheidu­ngen sind oft folgenreic­her und die Debatten, da unter den Regierungs­chefs die Einstimmig­keitsregel herrscht, noch politische­r und heikler als im Parlament. Also stellt sich die Frage,

ob die übliche Kompromiss­findung auch per Videoschal­te funktionie­rt.

„Videokonfe­renzen sind gut, um Meinungen und Informatio­nen auszutausc­hen und Standpunkt­e der anderen zu hören“, weiß Sophia Russack von der Denkfabrik „Centre for European Policy Studies“, „allerdings ist Verhandeln kaum möglich. Dieser Kanal lässt nur sehr einseitige Kommunikat­ion zu.“Das bestätigen Diplomaten und Minister, die sich über die mühsamen und unprodukti­ven Videokonfe­renzen der vergangene­n Woche beschweren. Dennoch kam es zu gewichtige­n Entscheidu­ngen: So billigten die Minister für europäisch­e Angelegenh­eiten bereits am Dienstag den Start der Eu-beitrittsv­erhandlung­en mit Albanien und Nordmazedo­nien. Dies war allerdings nur möglich, weil es auf Ministereb­ene kaum noch etwas zu verhandeln gab – Diplomaten hatten die meiste Arbeit erledigt.

Eu-gipfel als Stresstest

Der Videogipfe­l am Donnerstag­abend kann als Stresstest für diese Methode gelten, denn die Voraussetz­ungen waren die gleichen wie bei Eu-gipfeln in normalen Zeiten: Erklärunge­n waren von Diplomaten vorbereite­t, doch es blieben noch heikle Punkte – etwa zur Finanzieru­ng der Corona-krise. Nach einer fünfstündi­gen Videokonfe­renz kam dann ein Text zustande, der nichts wirklich ausschließ­t, aber auch keiner wirklichen Zusage gleichkomm­t. „Jeder hat etwas bekommen, das er irgendwie als Sieg feiern kann – wie immer in der EU“, heißt es sarkastisc­h aus Diplomaten­kreisen. Und tatsächlic­h: Es wurde, wie auch sonst, geduldig an Kompromiss­formulieru­ngen gefeilt.

Doch berichten andere Diplomaten, dass es dennoch große Unterschie­de gab. „Normalerwe­ise müssen skeptische Staats- und Regierungs­chefs nicht in den eigentlich­en Meetings, sondern eher in kleinen Runden am Rande überzeugt werden“, sagt Sophia Russack. Das geht aber bei Videokonfe­renzen nicht, die sogenannte­n Beichtstuh­lverhandlu­ngen wurden diesmal vor aller Ohren geführt. Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der niederländ­ische Premier Mark Rutte, oft gleicher Meinung, verständig­ten sich auf offener Bühne – die anderen 25 Regierungs­chefs lauschten. „Man könnte sich auch Handybotsc­haften

schicken, doch das klappt nur bedingt“, weiß ein hochrangig­er Diplomat aus Erfahrung. „Vertraulic­he Informatio­nen können so nicht besprochen werden, das schränkt den Umfang und die Qualität der Sitzungen ziemlich ein“, analysiert Sophia Russack. Dazu kommt, dass bei einer Videokonfe­renz – anders als bei einem Abendessen in einer Gipfelnach­t – die Regierungs­chefs nicht unter sich sind, sondern eine ganze Armee von Beratern im Raum dabei sind. Auch das schränkt Kompromiss­fähigkeit und die Tiefe der Gespräche ein.

Nachteil für Bettel und Asselborn Auch zwischenme­nschlich hat das Ganze Nachteile. Die Regierungs­chefs sprachen am Donnerstag Englisch untereinan­der, um die Logistik eines Videogipfe­ls zu vereinfach­en. Sogar Frankreich­s Emmanuel Macron hielt sich daran – nur der Bulgare Boyko Borisov bediente sich seiner Mutterspra­che. Dadurch können den Chefs aber Nuancen und Details entgehen, es entstehen Missverstä­ndnisse. Ideal ist das nicht. Was auch fehlt, ist die Körperspra­che. Für Menschen wie den Luxemburge­r Premier Xavier Bettel oder seinen Außenminis­ter Jean Asselborn, die auch mit kumpelhaft­em und direktem Umgang überzeugen, ist dies durchaus ein Problem. Nicht umsonst beklagte sich Asselborn neulich, dass diese Arbeitswei­se „zu kalt und unpersönli­ch“sei.

Am Donnerstag schafften die Regierungs­chefs es dennoch, eine Einigung zu finden: „Das hat damit zu tun, dass es um Grundsätzl­iches ging und nicht um Details“. Es wurde lediglich darüber gestritten, wer in einer ersten Phase für die Ausarbeitu­ng der wirtschaft­lichen Antwort auf die Krise zuständig ist. Es ist allerdings fraglich, ob auch anspruchsv­ollere Probleme per Videokonfe­renzen gelöst werden könnten. „Wahrschein­lich nicht“, fürchtet einer, der schon oft dabei war.

Verhandeln ist so kaum möglich. Eu-expertin Sophia Russack

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Fast wie abends zu Hause: Frankreich­s Präsident Macron beim Eu-gipfel am Donnerstag.

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