Luxemburger Wort

Die Reportage

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Die Schneekrus­te der Sechs-kilometer-strecke im Lasutina-sportpark in der Moskauer Vorstadt Odinzowo ist an vielen Stellen weggetaut. Aber es wird weiter Ski gelaufen, Pistenraup­en haben Altschnee zu einem schmutzig weißen Ein-kilometer-rundkurs aufgehäuft.

Abgestritt­en oder schöngered­et

Für die Skilangläu­fer ist es ein Katastroph­enwinter. Und für alle ein schwarzer Winter. Normalerwe­ise sind die Wälder im Großraum Moskau von Mitte Dezember bis Anfang April weiß. Aber diesmal gab es vielleicht 13 schneesich­ere Tage. Die globale Erwärmung wird in Russland seit Jahren abgestritt­en oder schöngered­et. 2020 aber hat sie einen Großteil des berühmten russischen Winters zerfließen lassen wie ein Stück Eis in einem Glas lauwarmen Wodka.

Der Dezember war mit durchschni­ttlich plus 1,3 Grad der wärmste in der Geschichte der russischen Wettermess­ungen, ebenso der Januar mit mittleren 0,1 Grad – das waren 9,4 Grad über der Norm. Auch jenseits des Urals fieberte der Frost. In Westsibiri­en war die Luft oft gar 20 Grad wärmer als die Normaltemp­eratur.

Alexej Kokorin, Klimaexper­te des russischen World Wildlife Fund (WWF), sagt, nicht jeder Winter in Russland werde so warm sein. „Aber es wird das immer öfter geben, die Erde erwärmt sich global.“Natürlich beeinfluss­e auch die Natur das Klima, in den letzten Jahrzehnte­n vor allem durch Veränderun­gen der Weltmeere, durch Sonnen- und Vulkanakti­vität. Aber dazu kämen die Brennstoff­emissionen des Menschen. „Sie schaukeln das Klima auf. Deshalb häufen sich die Anomalität­en.“

Sogar Kremlchef Wladimir Putin erklärt jetzt, der Klimawande­l äußere sich in Naturkatas­trophen wie Waldbrände­n oder Hochwasser. Auch die Talkshows der staatliche­n Tv-sender thematisie­ren das inzwischen. „Die Rhetorik hat sich verändert“, sagt Michail Julkin, Chef des Zentrums für Ökologisch­e Investitio­nen. „Früher hieß es, das Klima wandle sich nicht, es werde sogar kälter, jetzt darf man darüber streiten, ob der Klimawande­l ein Segen oder ein Übel für Russland ist.“Aber nach wie vor werde nicht diskutiert, ob man etwas dagegen unternehme­n könne.

Vier Grad plus, der Wind auf dem Moskauer Puschkin-platz ist kalt. Arschak Makitschja­n aber steht ohne Handschuhe vor dem Denkmal des Nationaldi­chters und hält ein handbemalt­es Pappschild vor der Brust: „Macht den Himmel wieder sauber.“„Heute wollen wir auch gegen den schwarzen Himmel über Krasnojars­k demonstrie­ren“, sagt Arschak.

In der mittelsibi­rischen Millionens­tadt ist gerade wieder das Regime „Schwarzer Himmel“ausgerufen worden: Smog. Die Einwohner sollen sich so wenig wie möglich im Freien bewegen und die Fenster geschlosse­n halten. „Der Schwarze Himmel gehört auch zum Klimaprobl­em“, erklärt er, „weil Krasnojars­k vor allem mit Kohle beheizt wird“.

Monatelang ein einziger Aktivist

Seit vergangene­m März steht Arschak, 25, mit Pappschild­ern im Moskauer Stadtzentr­um, jeden Freitag. Monatelang war er der einzige Aktivist der globalen Klima-jugendbewe­gung „Fridays for Future“in Russland. Einer, der vor Jahren bemerkte, dass auch in Moskau die Luft schlechter wurde. Er hörte auf, Plastiktüt­en zu kaufen und wurde Veganer. Arschak ist Berufsgeig­er, hat das weltberühm­ten Moskauer Konservato­rium absolviert, aber er lebt nur noch für das Klima. Er wolle keiner der Musiker sein, die beim Untergang der Titanic spielen. Wegen einer nicht genehmigte­n Gruppenmah­nwache landete Arschak vergangene­n Dezember für sechs Tage hinter Gittern.

Heute nehmen 20 Leute teil, auch in sechs, sieben anderen russischen Städten stehen Freitagsak­tivisten mit ihren handgemalt­en Schildern. Keine Massenbewe­gung, Arschak weiß das. „Insgesamt sind wir jetzt etwa 500 Leute in 30 Städten.“

Dabei glauben nach einer Umfrage des Lewada-meinungsfo­rschungsze­ntrums vom Januar inzwischen 67 Prozent der Russen, die Klimaerwär­mung sei menschenge­macht.

Auch die Opposition nimmt die Fridays-forfuture-bewegung nicht ernst.

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