Luxemburger Wort

„Natur ist alles“

Künstler Jean-marie Biwer über seine Ausstellun­g „D’après nature“

- Interview: Marc Thill

Seine Werke können derzeit nicht besichtigt werden, das Mudam ist geschlosse­n. Der Künstler Jean-marie Biwer lädt trotzdem die Wort-leser zu einem einzigarti­gen Rundgang durch seine Ausstellun­g „D’après nature“ein – in einem langen Interview, das wir mit ihm über Telefon geführt haben.

Jean-marie Biwer, Sie zeigen Ihre Arbeit aus den 15 vergangene­n Jahren. Nun ist die Ausstellun­g geschlosse­n. Sind Sie enttäuscht?

Ja, das ganz bestimmt. Aber so wichtig bin ich nun auch wieder nicht. Es gibt Menschen, die leiden mehr unter dieser Krise als ich. Ich kann mich schon mal daran erfreuen, dass die Vernissage meiner Ausstellun­g stattgefun­den hat und ein großer Erfolg war – in den ersten drei Tagen haben mehr als tausend Besucher meine Bilder gesehen. Auch der Verkauf des Ausstellun­gskatalogs stimmt mich sehr zufrieden – dieses Album ist bereits jetzt das meistverka­ufte seit Bestehen des Museums. Und für mich persönlich ist die Pandemie derzeit auch nicht sonderlich dramatisch. Schlimm könnte es aber für uns alle werden, sollte sich diese Krise in die Länge ziehen – für die Kunstszene, aber auch für die kleinen und mittleren Unternehme­n.

Ist es nicht doch irgendwie merkwürdig, dass man eine Ausstellun­g, die den Titel „D’après nature“trägt, nicht hautnah erleben darf? Sehen Sie darin ein Zeichen der Natur?

Was soll ich dazu sagen? Die Natur ist alles. Vielleicht gewinnen Besucher, die meine Bilder gerne gesehen hätten, auch etwas Positives an diesem ungewollte­n Intermezzo ab. Statt ins Museum zu gehen, suchen sie die Natur auf. Warum nicht ein Spaziergan­g im Wald? So lange dies noch erlaubt ist …

Sie sind der Natur nahe, und Sie leben sehr zurückgezo­gen im Ösling. Dieses Innehalten, das derzeit von der Gesellscha­ft verlangt wird, fällt Ihnen nicht schwer – oder etwa doch?

Ich bin daran gewöhnt. Ich habe mein Künstlerat­elier im Haus. Morgens arbeite ich, nachmittag­s gehe ich etwas zu Fuß, um in Form zu bleiben. Die vielen Menschen bei der Vernissage haben mir etwas Angst gemacht. Aber das sind jetzt schon mehr als zwei Wochen her. Den Virus habe ich dort nicht aufgeschna­ppt. Ansonsten respektier­e ich die Anweisunge­n der Regierung: zu Hause und auf Distanz bleiben. Auf dem Land ist das aber sicherlich einfacher als in einer Stadt.

Bilder muss man auf sich wirken lassen. Das ist bei Museumsaus­stellungen derzeit nicht einfach.

Sie nutzen aber seit langem die sozialen Netzwerke. Kann das auch aktuell eine Hilfe sein, um Kunst zu vermitteln?

Ja, meine Werke sind auf meiner Facebook-seite zu sehen, und das tut meinen Followern auch wirklich gut. Sie reagieren darauf, sie mögen das. Aber es ist nicht dasselbe wie eine Ausstellun­g. Die Initiative von Serge Tonnar „Live aus der Stuff“und alle anderen Ideen finde ich bewunderns­wert. Als Künstler tun wir das, was unsere Aufgabe ist: Menschen Entspannun­g bringen, ihnen Freude bereiten, ihnen frische Luft geben und auch Hoffnung machen.

Sie malen Bäume, allen voran die Birken vor Ihrem Haus. Was stellt für Sie ein Baum dar?

Ein Baum bedeutet für mich nur eines: das Leben. Die Birken, die ich in der Tat des öfteren male, habe ich gepflanzt, als meine Kinder zur Welt kamen. Birken sind besondere Bäume, sie haben eine weiße Rinde mit dunklen Flecken, und ihre Schönheit offenbart sich im Zusammensp­iel mit Sonne und blauem Himmel.

Erzählen Sie uns doch ein bisschen von Ihren Werken! Zum Beispiel von „Arbre 2007/2008“.

Das ist ein sehr großes Bild.

Der Baum hat etwas Vertikales. Er geht nach oben. Das symbolisie­rt für mich genau das, was im Menschen nach geistigen Werten sucht. Die rosa, fast schon fleischfar­benen Wolken vor dem violetten Hintergrun­d stellen dahingegen die uns umgebende physische Welt dar, die mit uns im Dauerclinc­h ist. Man sieht es gerade jetzt während der Krise: Man kann krank werden und sterben, man muss es aber nicht ... In den Ästen erkenne ich Gedanken, auch Blutbahnen und Adern und in einem entfernten Sinne den Kosmos. Als ich an diesem Bild gearbeitet habe, sind mir viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Über die Welt, den Kosmos und das Leben.

Wie lange haben Sie an diesem Bild gearbeitet?

Monate. Es hat gedauert, bis ich dieses Gemälde auf diesem Niveau hatte. Für die meisten, die die Ausstellun­g bereits besucht haben, ist es ein bevorzugte­s Bild. Das weiß ich. Das Werk befindet sich in Luxemburge­r Privatbesi­tz und ist für die Ausstellun­g ausgeliehe­n worden, wie viele andere übrigens auch, die aus öffentlich­en und privaten Sammlungen stammen.

Was hat Sie zu dem Bild „Ciel No 3“gebracht?

Dieses Werk stammt aus einer Zeit, in der ich mich viel mit Astrophysi­k beschäftig­t habe. Ich habe anfangs einen Himmel gemalt mit Blättern und Ästen. Ich wollte das unendlich Große und das unendlich Kleine zusammen bringen und miteinande­r verschmelz­en. Wenn man seinen Blick länger auf dieses Bild richtet, dann sieht man zerbrechli­ches Eis. Man kann vieles darin erkennen. Diese Malerei ist nahe an der Abstraktio­n. Die roten Flächen auf blauem Hintergrun­d können Blätter im Himmel sein, aber auch vielleicht das Higgs-boson darstellen …

Auf dem linken Gemälde, das auf der größten Aufnahme, gleich neben dieser Frage zu sehen ist, lässt sich eine Landschaft erkennen. Wahrschein­lich das Ösling?

Das ist die Gemeinde Ulflingen. Die ist 2015 an mich herangetre­ten, um ein Bild zu bestellen. Ich haben daraufhin die acht Dörfer der Gemeinde gemalt, kleinforma­tige Bilder, die nun im Flur des Gemeindeha­uses hängen. Das große Bild gehört ebenfalls der Gemeinde. Es ist eine fast schon fiktive Landschaft, die sich aber aus den einzelnen Dorfansich­ten der Gemeinde zusammense­tzt, nur dass ich die Häuser und Bauernhöfe nicht gemalt habe. Es ist insofern die Gemeinde, bevor die Landschaft besiedelt wurde – das, was man unter Éisleker Koppen verstehen muss.

Vielleicht ein letztes Wort zum „Wooden Sketchbook“. Warum diese Bildersamm­lung?

Das „Wooden Sketchbook“ist eine Arbeit, die ich 2004 begonnen habe. Ich habe mir dabei die Frage gestellt, wie man in einer Flut von Informatio­nen, in der man keine Kontrolle darüber hat, was richtig oder falsch ist, die Zeit ausdrücken kann. Es sind 158 Bilder, und es kommen pro Jahr drei bis zehn hinzu. Mein Interesse besteht darin, mit einer Arbeit, die sehr zeitaufwen­dig ist, gerade eine schnellleb­ige Zeit darzustell­en. Dabei habe ich festgestel­lt: Malerei ist kein Facebook.

„Ein Baum bedeutet für mich nur eines – das Leben“, sagt Jean-marie Biwer (o.). Die

Birken, die er des öfteren malt (Mitte, u.), hat er gepflanzt, als seine Kinder zur Welt kamen. Ihre Schönheit offenbare sich im Zusammensp­iel mit Sonne und blauem Himmel, sagt er.

Malerei ist kein Facebook.

Jean-marie Biwer

In „Ciel No 32“(Bild oben, r.) lässt Jean-marie Biwer das unendlich Große und das unendlich Kleine zusammenfl­ießen. In dem Gemälde gleich daneben (Bild oben, l.) wirft der Künstler seinen Blick auf Éislecker Koppen in Ulflingen – vor der Besiedlung der Landschaft. Das „Wooden Sketchbook“(Mitte), derzeit 158 Bilder, erlaubt es dem Maler die schnellleb­ige Welt in seiner zeitaufwen­digen Kunst auszudrück­en.

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Fotos: Chris Karaba

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