Spanien im Zwangsurlaub
Die Regierung verordnet einen Stopp aller wirtschaftlichen Aktivitäten – außer der Grundversorgung
Ab diesem Montag wird in Spanien grundsätzlich nicht mehr gearbeitet. Zwei Wochen nach Verhängung des Alarmzustandes hat das Regierungskabinett in Madrid am Sonntag beschlossen, außer Haus nur noch jene wirtschaftlichen Aktivitäten zuzulassen, die zur Grundversorgung (Gesundheit, Ernährung und Sicherheit) der Bevölkerung nötig sind, was die Strom-, Wasser- und Gasversorgung einschließt. Ziel ist es, dass die Menschen so wenig wie möglich das Haus verlassen, um Ansteckungen mit dem Coronavirus zu vermeiden. Jegliche Form der Heimarbeit ist weiter erlaubt und erwünscht.
Die Regierung hatte bereits am Sonntag vor zwei Wochen eine Totalquarantäne über Spanien verhängt: Danach waren im Wesentlichen nur noch Gänge oder Fahrten zum Arzt, zur Apotheke oder zum Einkaufen erlaubt, aber keine Spaziergänge oder Sport im Freien mehr.
Spanier feiern Überstunden
der Zukunft ab
Zu den Ausnahmen zählte noch der Weg zum Arbeitsplatz. Auch der ist nun untersagt. Schon zuvor hatten viele Betriebe aus Rücksicht auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter oder wegen Lieferproblemen geschlossen; nun wird – nach italienischem Vorbild – alle wirtschaftliche Aktivität des Landes auf ein Minimum zurückgefahren.
Ministerpräsident Pedro Sánchez verwies bei der Ankündigung der verschärften Quarantäne auf die kommende Semana Santa (die Karwoche), während derer sich ohnehin viele Spanier freinehmen. Während der nun anstehenden Zwangspause bis zum 9. April müssen die Unternehmen ihre Beschäftigten weiterbezahlen; diese sollen die verlorenen Stunden in der Zukunft nacharbeiten. Die Spanier feiern, wenn man so will, heute Überstunden ab, die sie erst später leisten werden.
Spanien ist nach Italien das europäische Land, das am härtesten von der Covid-19-epidemie getroffen ist. Das Gesundheitssystem ist überfordert, die Ärzte müssen täglich entscheiden, welche Patienten sie behandeln und welche nicht. Jeden Abend um 20 Uhr gehen die Spanier auf die Balkone, um dem Gesundheitspersonal, das an vorderster Front dieser Krise steht, Beifall zu spenden. Nach Zahlen vom Freitag haben sich bisher 9 444 Ärzte und Pfleger mit dem Corona-virus infiziert, drei Ärzte und eine Krankenschwester sind an den Folgen der Infektion gestorben.
Alle Zahlen zu dieser Krise sind allerdings mit großer Vorsicht zu behandeln. Selbst das Gesundheitspersonal wird nicht durchgängig auf das Virus getestet. Paloma, eine 52-jährige Krankenschwester
aus Barcelona, berichtet, dass ihr ganzer Körper wegen Überarbeitung schmerze, sie aber keine Symptome einer Infektion zeige. Erst nach inständigem Drängen sei sie getestet worden. Sie wollte sichergehen, dass sie nicht ihre Patienten oder ihre Familie ansteckt. Am Wochenende kam das Ergebnis: negativ.
Spitze der ersten Epidemiewelle
könnte nahe sein
Die offiziellen Zahlen vom Sonntag sprechen von insgesamt 78 797 positiv Getesteten, ein Plus von 9,06 Prozent gegenüber dem Vortag. Die Aussagekraft der Zahl ist allerdings wegen der viel zu niedrigen Testkapazitäten in Spanien gering. Verlässlicher ist die Zahl der Toten: Am Sonntag waren es insgesamt 6 528, eine Zunahme um 14,73 Prozent. Die Zahl von 838 neu registrierten Toten übertraf die des Vortags nur noch um sechs – die lang erwartete „Spitze“dieser ersten Welle der Epidemie könnte tatsächlich nahe sein.
Wahrscheinlich wird es erst mit großem zeitlichem Abstand möglich sein, ein annäherndes Bild von der Wirklichkeit dieses Virus zu bekommen. Sicher ist, dass in diesen Wochen täglich so viel mehr Menschen sterben als gewöhnlich, dass die Bestattungsinstitute nicht mehr mitkommen. In Madrid soll nach dem Eispalast Anfang dieser Woche noch der nie in Betrieb genommene Neubau des gerichtsmedizinischen Instituts zur provisorischen Leichenhalle umgewandelt werden.