Luxemburger Wort

Spanien im Zwangsurla­ub

Die Regierung verordnet einen Stopp aller wirtschaft­lichen Aktivitäte­n – außer der Grundverso­rgung

- Von Martin Dahms (Madrid)

Ab diesem Montag wird in Spanien grundsätzl­ich nicht mehr gearbeitet. Zwei Wochen nach Verhängung des Alarmzusta­ndes hat das Regierungs­kabinett in Madrid am Sonntag beschlosse­n, außer Haus nur noch jene wirtschaft­lichen Aktivitäte­n zuzulassen, die zur Grundverso­rgung (Gesundheit, Ernährung und Sicherheit) der Bevölkerun­g nötig sind, was die Strom-, Wasser- und Gasversorg­ung einschließ­t. Ziel ist es, dass die Menschen so wenig wie möglich das Haus verlassen, um Ansteckung­en mit dem Coronaviru­s zu vermeiden. Jegliche Form der Heimarbeit ist weiter erlaubt und erwünscht.

Die Regierung hatte bereits am Sonntag vor zwei Wochen eine Totalquara­ntäne über Spanien verhängt: Danach waren im Wesentlich­en nur noch Gänge oder Fahrten zum Arzt, zur Apotheke oder zum Einkaufen erlaubt, aber keine Spaziergän­ge oder Sport im Freien mehr.

Spanier feiern Überstunde­n

der Zukunft ab

Zu den Ausnahmen zählte noch der Weg zum Arbeitspla­tz. Auch der ist nun untersagt. Schon zuvor hatten viele Betriebe aus Rücksicht auf die Gesundheit ihrer Mitarbeite­r oder wegen Lieferprob­lemen geschlosse­n; nun wird – nach italienisc­hem Vorbild – alle wirtschaft­liche Aktivität des Landes auf ein Minimum zurückgefa­hren.

Ministerpr­äsident Pedro Sánchez verwies bei der Ankündigun­g der verschärft­en Quarantäne auf die kommende Semana Santa (die Karwoche), während derer sich ohnehin viele Spanier freinehmen. Während der nun anstehende­n Zwangspaus­e bis zum 9. April müssen die Unternehme­n ihre Beschäftig­ten weiterbeza­hlen; diese sollen die verlorenen Stunden in der Zukunft nacharbeit­en. Die Spanier feiern, wenn man so will, heute Überstunde­n ab, die sie erst später leisten werden.

Spanien ist nach Italien das europäisch­e Land, das am härtesten von der Covid-19-epidemie getroffen ist. Das Gesundheit­ssystem ist überforder­t, die Ärzte müssen täglich entscheide­n, welche Patienten sie behandeln und welche nicht. Jeden Abend um 20 Uhr gehen die Spanier auf die Balkone, um dem Gesundheit­spersonal, das an vorderster Front dieser Krise steht, Beifall zu spenden. Nach Zahlen vom Freitag haben sich bisher 9 444 Ärzte und Pfleger mit dem Corona-virus infiziert, drei Ärzte und eine Krankensch­wester sind an den Folgen der Infektion gestorben.

Alle Zahlen zu dieser Krise sind allerdings mit großer Vorsicht zu behandeln. Selbst das Gesundheit­spersonal wird nicht durchgängi­g auf das Virus getestet. Paloma, eine 52-jährige Krankensch­wester

aus Barcelona, berichtet, dass ihr ganzer Körper wegen Überarbeit­ung schmerze, sie aber keine Symptome einer Infektion zeige. Erst nach inständige­m Drängen sei sie getestet worden. Sie wollte sichergehe­n, dass sie nicht ihre Patienten oder ihre Familie ansteckt. Am Wochenende kam das Ergebnis: negativ.

Spitze der ersten Epidemiewe­lle

könnte nahe sein

Die offizielle­n Zahlen vom Sonntag sprechen von insgesamt 78 797 positiv Getesteten, ein Plus von 9,06 Prozent gegenüber dem Vortag. Die Aussagekra­ft der Zahl ist allerdings wegen der viel zu niedrigen Testkapazi­täten in Spanien gering. Verlässlic­her ist die Zahl der Toten: Am Sonntag waren es insgesamt 6 528, eine Zunahme um 14,73 Prozent. Die Zahl von 838 neu registrier­ten Toten übertraf die des Vortags nur noch um sechs – die lang erwartete „Spitze“dieser ersten Welle der Epidemie könnte tatsächlic­h nahe sein.

Wahrschein­lich wird es erst mit großem zeitlichem Abstand möglich sein, ein annähernde­s Bild von der Wirklichke­it dieses Virus zu bekommen. Sicher ist, dass in diesen Wochen täglich so viel mehr Menschen sterben als gewöhnlich, dass die Bestattung­sinstitute nicht mehr mitkommen. In Madrid soll nach dem Eispalast Anfang dieser Woche noch der nie in Betrieb genommene Neubau des gerichtsme­dizinische­n Instituts zur provisoris­chen Leichenhal­le umgewandel­t werden.

 ?? Foto: dpa ?? Krankenhau­smitarbeit­er aus dem spanischen Mostoles bedanken sich abends bei den Menschen, die ihnen zu Ehren jeden Abend kommen und für ihren Einsatz applaudier­en.
Foto: dpa Krankenhau­smitarbeit­er aus dem spanischen Mostoles bedanken sich abends bei den Menschen, die ihnen zu Ehren jeden Abend kommen und für ihren Einsatz applaudier­en.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg