Luxemburger Wort

Draufgänge­r mit Doktortite­l

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Genf. Mike Ryan wirft einen flüchtigen Blick auf seinen Boss. „Diese Frage kann der Generaldir­ektor beantworte­n“, lässt Ryan wissen. Über Ryans rötliches Gesicht huscht ein kurzes Grinsen. Bei der Pressekonf­erenz der Weltgesund­heitsorgan­isation im März 2020 hört es sich so an, als würde Ryan sagen, wo es lang geht. Als wäre Ryan der Generaldir­ektor. Der tatsächlic­he Who-generaldir­ektor, Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, tut, wie ihm geheißen und beantworte­t die Frage eines anwesenden Journalist­en.

Mike Ryan leitet als Chief Executive Director das Who-programm für Gesundheit­snotfälle: Als oberster Who-seuchenbek­ämpfer organisier­t der hemdsärmel­ige Arzt aus Irland den internatio­nalen Kampf gegen die eskalieren­de Corona-pandemie. Doch verfügt der 55-jährige Draufgänge­r mit dem Doktortite­l nur über beschränkt­e finanziell­e und personelle Ressourcen. Und er darf den über 190 Who-ländern keine Anweisunge­n geben. Stattdesse­n ermutigt, mahnt und fordert er: „Testen, Testen, Testen.“

Denn der Fachmann für Epidemien weiß: „Wir müssen wirklich die Kranken finden, diejenigen mit dem Virus, und sie isolieren, ihre Kontakte aufspüren.“Nur so könne die Pandemie noch in Schach gehalten werden, wenn überhaupt. Er warnt: „Der größte Fehler ist es, gelähmt zu sein, aus Furcht, zu versagen.“Diplomaten im Umfeld der Weltgesund­heitsorgan­isation loben Ryans Arbeit. Auch Korrespond­enten streichen die Vorzüge des Iren heraus: „Mike redet nicht um den heißen Brei, er ist ein Macher“, betont ein Journalist.

Und Ryan geht dahin, wo es weh tut: Als junger Mediziner wurde er im Irak gekidnappt, er bekämpfte die Lungenkran­kheit SARS in Asien und das Tropenfieb­er Ebola in Afrika. Im Jahr 1996 stieg er bei der Weltgesund­heitsorgan­isation ein,

Mike Ryan (l.) mit seinem Chef, Who-generaldir­ektor Tedros Adhanom Ghebreyesu­s.

kletterte rasch nach oben, baute das Krisenreak­tionsteam der Organisati­on mit auf. Die Bündelung der Kräfte in Notfällen in einem Zentrum, dem sogenannte­n SHOC (Strategic Health Operations Centre) geht auch auf ihn zurück.

Mit seinem robusten Kommunikat­ionsstil schuf sich Mike Ryan allerdings nicht nur Freunde. Zwischenze­itlich musste er die Weltgesund­heitsorgan­isation verlassen und kehrte in seine Heimat Irland zurück. Doch niemand konnte den Haudegen in der WHO ersetzen. Seit 2017 sitzt Ryan in Genf wieder fest im Sattel – und muss jetzt die größte Herausford­erung seines Lebens meistern. jdh

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