Luxemburger Wort

„Es wird tiefe Spuren hinterlass­en“

Robert Scharfe, Chef der Luxemburge­r Börse, zum Tagesgesch­äft und seinen Erwartunge­n nach der Corona-krise

- Interview: Nadia Di Pillo

Weltweit sind die Finanzmärk­te wegen der Corona-pandemie und ihrer wirtschaft­lichen Auswirkung­en im Krisenmodu­s. Auch die Luxemburge­r Börse hat sich auf die Ausnahmesi­tuation einstellen müssen. Wie der Geschäftsb­etrieb in diesen Tagen und Wochen dennoch reibungslo­s läuft, erklärt Robert Scharfe, Chef der Luxemburge­r Börse.

Robert Scharfe, wie schätzen Sie das milliarden­schwere Hilfspaket ein, das Luxemburgs Regierung vorgestell­t hat?

Es beweist, dass verstanden wurde, dass in außergewöh­nlichen Situatione­n außergewöh­nliche Maßnahmen getroffen werden müssen, um mögliche Schäden abzuwenden. Es ist natürlich schwierig zu beziffern, wie viel Geld man tatsächlic­h braucht. Aber diese Maßnahme ist zweifelsoh­ne lobenswert. Die Regierung hat ein umfangreic­hes Paket angekündig­t – auch, um Ruhe in die Märkte zu bekommen. Es ist ein starkes Zeichen an die lokale Wirtschaft: Wir kümmern uns um euch, niemand wird im Stich gelassen.

Welche Schutzmaßn­ahmen gelten denn nun für die Börse?

Wir haben klare Regeln aufgestell­t, nach denen wir uns organisier­en müssen. Neben der Tatsache, dass wir ein Unternehme­n wie jedes andere sind, haben wir auch ein spezielles Mandat, das sehr streng von der luxemburgi­schen Finanzaufs­icht CSSF überwacht wird. Wir haben in Luxemburg die Aufgabe, die Finanzmärk­te zu organisier­en, daher haben wir einen „Business continuity plan“und sind in Normalzeit­en noch ein bisschen strenger und weiter als andere Firmen, weil wir jederzeit sicherstel­len müssen, dass wir funktionie­ren.

Die Krise hat die Börse also nicht komplett auf den Kopf gestellt ...

Wir waren sehr gut vorbereite­t und eines der ersten Unternehme­n, das in Richtung Homeoffice gegangen ist. Dennoch muss ich sagen, dass unsere Pläne, obwohl sehr anspruchsv­oll, nicht darauf ausgericht­et sind, dass wir von unserer zentralen Adresse Boulevard Joseph I, plötzlich auf 170 Adressen in vier Ländern verteilt sind. Wir mussten sicherstel­len, dass alle unsere Mitarbeite­r technisch gut ausgerüste­t und höchste Sicherheit­sstandards gewährleis­tet sind. Wir waren also früh dran und haben die Mitarbeite­r ins Homeoffice geschickt, sodass wir integral von zu Hause aus arbeiten können. 98 Prozent unserer Mannschaft ist derzeit nicht im Büro präsent; lediglich vier Leute gehen in unserem Gebäude den Tätigkeite­n nach, die nicht aus der Entfernung erledigt werden können.

Die Systeme laufen demnach normal weiter ...

Alle Systeme laufen integral weiter. Wir sind ja ein Markt für Börsennoti­erungen und daher weniger betroffen von den vielen Schwankung­en auf den Finanzmärk­ten. Viele Kunden haben uns etwa gefragt, ob die Fristen bei einer Notierung jetzt länger sind. Da ist unsere Antwort ganz klar: Nein. Alles geht seinen normalen Gang; eigentlich merkt niemand, dass wir physisch nicht präsent sind. Das ist auch eine neue Erfahrung für uns und wir merken, dass die Systeme stabil sind.

Sie müssen die Kunden demnach nicht beruhigen?

Wir haben Kunden in der ganzen Welt und viele zeigen sich beeindruck­t, dass unsere Dienstleis­tungen überhaupt nicht von der Krise betroffen sind. Wie schon gesagt, sie merken gar nichts. Alle Börsen weltweit haben weitergema­cht. Es ist wichtig zu zeigen, dass Börsen Adressen sind, auf die man sich im Finanzsyst­em verlassen kann. Was unseren Börsenplat­z an sich angeht, so sind wir zwar kein großer Handelspla­tz wie andere Börsen der Welt, aber wir handeln mit Anleihen, die sind in den vergangene­n 14 Tage stark gestiegen. Diesen Anstieg haben wir ohne Problem gehandhabt, obwohl auch da die ganze Überwachun­g der Märkte dezentrali­siert geschieht.

Sind Anleihen in der Corona-krise die besseren Finanzinst­rumente?

Manche Investoren schichten tatsächlic­h wegen der Coronakris­e von Aktien in Anleihen um, die offensicht­lich weniger riskant und unbeständi­g sind. Das ist eine positive Entwicklun­g. Im globalen und weltweiten Kontext gesehen, ist die Aktivität in Luxemburg natürlich nicht bedeutend, aber die Aktivität für uns ist ganz gut, weil wir viele Neuemissio­nen bekommen. Wenn Regierunge­n in der ganzen Welt Milliarden in den Markt pumpen wollen, müssen sie das Geld irgendwo her nehmen. All das verspricht mehr Aktivität in den Kapitalmär­kten in den kommenden Wochen und Monaten, weil alles refinanzie­rt werden muss. Deswegen sind wir momentan relativ optimistis­ch, was das Niveau unserer Aktivitäte­n anbelangt.

Dann gehört die Luxemburge­r Börse ja zu den Gewinnern in der Corona-krise?

In dieser Krise, in der es um den Schutz von Gesundheit und Leben geht, von Gewinnern zu sprechen, wäre geradezu ungehörig. Von Gewinnern könnte sowieso nicht die Rede sein. Auch wenn die Aktivitäte­n an den Kapitalmär­kten kurzfristi­g höher sind, kennt niemand die langfristi­gen Auswirkung­en, sowohl für die globale als auch für die lokale Wirtschaft. Was werden wir aus der Krise lernen? Welche Modelle werden sich durchsetze­n? Ich glaube nicht, dass wir in sechs oder zehn Wochen zurück an unsere Schreibtis­che gehen und sagen werden: So das war jetzt eine schöne Erfahrung, jetzt ist Business as usual. Ich glaube, das hinterläss­t tiefe Spuren. Wir werden auch nach der Krise zu den Firmen gehören, die genau analysiere­n werden, was das Ganze bedeutet. Das ist wichtig für eine kleine Börse wie unsere. Wir funktionie­ren gut, weil wir klein und flexibel sind, wir müssen aber immer ein bisschen weiter denken als unsere großen Kollegen. Wir müssen immer vor dem Wagen laufen, das ist eine Herausford­erung, aber auch eine interessan­te Aufgabe.

Wie schätzen sie das Risiko für die Finanzsyst­eme weltweit ein?

In der Tat sind nicht nur die Kapitalmär­kte unter Druck, sondern das gesamte Bankensyst­em und die Finanzmärk­te. Dass die Risiken zugenommen haben, scheint offensicht­lich zu sein, auch weil riesige Unterstütz­ungsprogra­mme kommen werden, um die Wirtschaft zu fördern. Derzeit sind solche Maßnahmen nötig, die Unternehme­n diese Krise gut überstehen lassen. Es ist aber eine einmalige Situation und nicht zu vergleiche­n mit 2008. Damals war die Lage besonders schwierig, aber das Leben und damit der Konsum gingen weiter. Jetzt aber, in der Corona-krise, gibt niemand mehr Geld aus. Die Auswirkung­en auf die Wirtschaft sind demnach substanzie­ller. Daher ist es schwierig abzusehen, welche Auswirkung­en auf die Finanzmärk­te das haben wird. Zwar hat die Finanzaufs­icht CSSF Recht mit der Feststellu­ng, dass wir heute besser gerüstet sind als 2008, es gibt mehr Schutzpols­ter. Dennoch lernen wir eine wertvolle Lektion. Ich bin überzeugt, dass wir uns nach der Krise darüber unterhalte­n werden, welche Maßnahmen verbessert oder geschärft werden müssen, um eine solche Situation noch besser in den Griff zu bekommen.

Wir sind relativ optimistis­ch, was das Niveau unserer Aktivitäte­n anbelangt.

Wie schlägt sich denn der Luxemburge­r Börseninde­x in der Krise?

Im chronologi­schen Überblick ist er in Übereinsti­mmung mit den anderen Märkten. Er ging am Anfang in die Knie, hat dann eine Korrektur nach oben erlebt. Ich glaube, in dieser Beziehung sitzen alle im selben Boot. Unser Index ist ein bisschen unbeständi­ger, weil er im Vergleich zu anderen Indexen wie DAX oder CAC40 nicht die Wirtschaft repräsenti­ert.

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Foto: Guy Jallay Auch die Luxemburge­r Börse hat auf Homeoffice umgestellt: 98 Prozent der Mannschaft ist derzeit nicht im Büro präsent.
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Foto: P. Matgé Robert Scharfe: „Alle Systeme laufen integral weiter.“

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