Luxemburger Wort

Drahtseila­kt

Die Tour de France soll im Sommer stattfinde­n, im Notfall ohne Zuschauer, ohne Werbekaraw­ane und ohne Village Départ

- Von Joe Geimer

„Es ist ein Krieg. Und er wird dauern. Das Virus ist der Feind. Wir befinden uns im Kriegszust­and.“Die Rhetorik von Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron lässt keinen Zweifel über die Ernsthafti­gkeit der Lage aufkommen. Die Corona-pandemie hält Frankreich genauso fest in ihrem Griff wie fast alle anderen europäisch­en Länder. Das Land meldet bisher mehr als 2 600 Todesfälle bei offiziell rund 42 000 Infizierte­n. Die Zahlen steigen weiterhin rasant.

In 13 Wochen soll die Tour de France durchs Land rollen. Angesichts der beispiello­sen Krise ist es schwer vorstellba­r, dass das Radsportsp­ektakel vom 27. Juni bis 19. Juli stattfinde­t. Doch noch hofft nicht nur Direktor Christian Prudhomme, das Radsportfe­st austragen zu können. Prudhomme pflegt stets zu predigen: „Nur die beiden Weltkriege konnten die Frankreich-rundfahrt stoppen.“Mit offizielle­n Kommentare­n halten sich die Veranstalt­er der Amaury Sport Organisati­on bewusst zurück.

Doch bald wird ihnen die Zeit ausgehen. Um ein ähnliches Kommunikat­ionschaos zu verhindern wie beim IOC in Sachen Olympiaver­schiebung, müssen sie irgendwann Klarheit schaffen.

Bürgermeis­ter äußern Kritik

Die Olympische­n Spiele im Sommer? Verschoben. Die Fußballem? Verlegt. Und die Tour de France? Fast täglich tauchen neue, mehr oder weniger ernst gemeinte Vorschläge auf. Frankreich­s Sportminis­terin Roxana Maracinean­u brachte eine Variante ins Spiel. In einem Radiointer­view erwähnte sie die Möglichkei­t, die 107. Auflage der Frankreich-rundfahrt ohne Zuschauer entlang der Strecke austragen zu lassen. „Alles ist vorstellba­r. Das wirtschaft­liche Modell der Tour de France basiert nicht auf dem Ticketverk­auf, sondern auf Tv-rechten“, begründete Maracinean­u ihren Vorschlag.

Eines ist für sie auch ganz klar: „Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Tour de France durchgefüh­rt werden kann.“Die Etappenfah­rt Paris-nice fand noch bis zum 14. März statt – ohne Zuschauer.

Hinter verschloss­enen Türen wird heftig an Szenarien gewerkelt. So soll auch auf die Werbekaraw­ane und das Village Départ verzichtet werden. Doch der Widerstand der Bürgermeis­ter und Gemeinden, die für den Besuch des Tour-spektakels bezahlt haben, wächst. Ohne Zuschauer macht der Besuch für sie wenig Sinn. Dann klingelt die Kasse nicht. „Wie könnte man verhindern, dass sich Menschen auf den Straßen aufhalten? Wir können nicht alle fünf Meter einen Gendarm aufstellen“, wurde Pascale Schwartz, Bürgermeis­terin von Saint-martin-de-ré, beim belgischen Sender RTBF deutlich. Auch Eric Houlley, Oberhaupt von Lure, dem Startort des

Bergzeitfa­hrens am vorletzten Tag hinauf nach La Planche des Belles Filles, ist kritisch: „Wir sind nicht dazu da, Tv-rechte zu retten. Eine abgespeckt­e Tour zu veranstalt­en, kommt nicht infrage. Es gilt alles oder nichts.“

Entscheidu­ng im Mai

Ganz ähnlich sieht es Michel Valla, Bürgermeis­ter von Privas, dem Zielort der fünften Etappe: „Wir investiere­n viel Geld, weil die Tour ein großartige­s Schaufenst­er für unsere Stadt ist. Wir wissen, dass unsere Unternehme­n eine große Rendite erzielen würden. Aber eben nicht ohne Zuschauer.“„Ohne die Fans wäre es nicht die Tour“, sagte Geraint Thomas, der die Frankreich-rundfahrt 2018 gewonnen hatte, im Gespräch mit der Zeitung „The Daily Telegraph“.

Daniel Spagnou, Bürgermeis­ter von Sisteron, hat eine Idee: „Mit der Absage von Olympia bieten sich Perspektiv­en. Warum nicht erst Ende Juli starten? Durch die aktuelle Situation werden zu dem Zeitpunkt weniger Menschen im Urlaub sein als sonst.“

Prudhomme und Co. wollen mindestens bis zum 1. Mai abwarten. Als Stichdatum wird der 15. Mai gehandelt. Ist die Coronapand­emie in sechs Wochen abgeebbt? Aktuell sieht es nicht so aus. Die Lage in Frankreich spitzt sich nämlich weiter zu. Es spielen sich wahre Dramen ab. „Viele unserer Mitbürger möchten, dass die Dinge wieder so sind, wie sie vorher waren, in normalen Zeiten. Aber das wird nicht morgen geschehen“, sagte Premiermin­ister Édouard Philippe vor einer Woche. Er bereite die Franzosen darauf vor, dass die Situation noch „einige Wochen“andauern könnte.

Da wird sogar die Tour de France zur Nebensache – egal ob mit oder eben doch ohne Zuschauer.

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Foto: AFP Die Tour de France lockt jedes Jahr zehn Millionen Zuschauer an den Streckenra­nd.

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