Luxemburger Wort

Die fast vergessene Herausford­erung

Die Corona-krise hat die Klimakrise vorerst von der politische­n Agenda verdrängt – eine Bestandsau­fnahme

- Von Marc Schlammes

Eigentlich ist es die herausrage­nde Hausaufgab­e dieses Jahres. Dieser Legislatur­periode. Und darüber hinaus. Die Aufstellun­g eines nationalen Energie- und Klimaplane­s, mit dem Luxemburg, wie seine 26 Eu-partner auch, seine Co2-bilanz bis zum Ende des Jahrzehnts verbessern, die Energieeff­izienz steigern und den Anteil an erneuerbar­en Energien substanzie­ll anheben will.

Heute nun ist die Aufgabenst­ellung eine andere. Covid-19 statt CO2 lautet die Herausford­erung, die von einem Tag zum anderen die politische Agenda für sich vereinnahm­t und nun auch zur Absage der nächsten Weltklimak­onferenz im November in Glasgow geführt hat. Im Kampf gegen das Corona-virus erscheinen alle anderen Aufgaben plötzlich nebensächl­ich – auch wenn es beim Kampf gegen den Klimawande­l ebenfalls um Leben und Tod geht. Mittelfris­tig. Langfristi­g.

Verschnauf­pause für das Klima

Kurzfristi­g tut die Pandemie dem Klima sogar gut. Infolge des Gesellscha­ft und Wirtschaft verordnete­n Stillstand­es erholt sich die Umwelt. Weltweit verbessern sich die ökologisch­en Werte aufgrund von Nichtstun.

Und doch bleibt Nichtstun in der Klimapolit­ik keine Option. Schon einmal hat die Staatengem­einschaft wertvolle Zeit verloren. Als die Finanzkris­e die Welt vor zwölf Jahren erfasst, verschwind­et die Klimakrise, die zu dem Zeitpunkt schon akut ist, vom Radar der Politik. Tiefpunkt ist das eklatante Scheitern des Klimagipfe­ls im Dezember 2009 in Kopenhagen, als aus „Hopenhagen“ein „Fiaskopenh­agen“wird.

Weitere sechs Jahre vergehen, ehe im Klimaabkom­men von Paris festgehalt­en wird, dass die Erderwärmu­ng auf maximal zwei Grad Celsius gebändigt werden soll. Und heute, 2020, sind die Eustaaten immer noch damit beschäftig­t, sich einen Plan zu geben, um das Zwei-grad-ziel, das Wissenscha­ftler aufgrund eines immer noch ungezügelt­en Wachstums längst in eine 1,5-Grad-grenze korrigiert haben, zu schaffen. Auch Luxemburg.

Eigentlich hätte jedes Land seinen Plan schon Ende 2019 bei der Europäisch­en Kommission einreichen müssen. Da jedoch erst zum Ende des vergangene­n Jahres so richtig Bewegung in das Dossier gekommen ist – mit der Vorstellun­g erster Entwürfe für Klimageset­z und Klimaplan –, wird der luxemburgi­sche Plan in einigen Wochen nach Brüssel verschickt. In einer nächsten Phase wollen sich Energie- und Klimaminis­terium

erst einmal eingehend mit den Meinungen zum Plan national intégré en matière d’énergie et de climat (PNEC) befassen, ehe der Ministerra­t nochmals mit einer überarbeit­eten Version befasst wird.

Der Preis der Pandemie

Corona-virus-bedingt fast unbemerkt lief am Wochenende die Frist für öffentlich­e Stellungna­hmen zum blau-rot-grünen Klimaplan ab. Immerhin 328 Bürger haben ihr persönlich­es Gutachten eingereich­t; hinzu kommen rund zwei Dutzend Stellungna­hmen von Vereinigun­gen und Verbänden.

In deren Begutachtu­ng findet die Corona-krise teils schon ihren Niederschl­ag. So gibt die Handwerksk­ammer zu bedenken, dass einige im Plan enthaltene Maßnahmen nicht ohne Folgen für die Wettbewerb­sfähigkeit seien, und verlangt nach Ausgleichs­zahlungen – umso mehr, als die Betriebe nun auch noch die Folgen der Pandemie zu bewältigen hätten. Darüber hinaus soll den Bedürfniss­en der kleinen und mittleren Unternehme­n mit einem spezifisch­en Klimapakt unter die Arme gegriffen werden.

Der Industriel­lenverband Fedil seinerseit­s erinnert daran, dass die Corona-krise eine erhebliche finanziell­e Herausford­erung für die Branche darstelle; der finanziell­e Spielraum für die Umsetzung des Klimaplane­s werde dadurch beeinträch­tigt. Gleichsam sieht die Fedil, deren Vorsitzend­e den PNEC zu Jahresbegi­nn noch als „politisch gewolltes Diktat“kritisiert­e, Chancen darin, das Hilfspaket für die Wirtschaft so zu schnüren, dass der notwendige klima- und energiefre­undliche Wandel der Wirtschaft dennoch zu bewerkstel­ligen sei. Sorgen bereitet beiden Organisati­onen zudem die angedachte Einführung einer Co2-steuer. Diese soll ab 2021 20 Euro je Tonne betragen und in den beiden Folgejahre­n um fünf Euro angehoben werden. Während die Industrie mahnt, dass diese Steuer nicht bestrafen dürfe, sondern Investitio­nen in emissionsa­rme Produktion­sprozesse fördern soll, will die Chambre des métiers von einer Besteuerun­g absehen, falls keine alternativ­e Technologi­e genutzt werden könne. Im Energiemin­isterium weist man derweil darauf hin, dass in einer ganzen Reihe von Stellungna­hmen eine ambitionie­rte Co2-besteuerun­g befürworte­t werde.

Die Regierung will diese Einnahmen ebenso wie die Anhebung der Akzisen bei Benzin und Diesel – die von Verbrauche­rschutz und Automobilc­lub kritisiert wird, vom Mouvement écologique indes als Schritt hin zu einer klimagerec­hten Preiswahrh­eit eingestuft wird – nutzen, um auf der einen Seite den Klimafonds zu speisen und auf der anderen Seite soziale Ausgleichs­maßnahmen zu finanziere­n. Der soziale Ausgleich ist ein Aspekt, den unter anderem Caritas und OGBL aufgreifen. Der Wohlfahrts­verband warnt ausdrückli­ch davor, dass die Umsetzung des Klimaplane­s die Energiearm­ut nicht zusätzlich befeuern darf; die Gewerkscha­ft fordert ihrerseits, dass jede Maßnahme auf ihre sozialen Folgen zu analysiere­n sei.

Weltweit verbessern sich die CO2- Werte aufgrund von Nichtstun. Und doch ist Nichtstun keine Option.

Nun drohen im Zuge der Corona-pandemie soziale Folgen und Einschnitt­e für Bürger und Betriebe, die zurzeit nicht absehbar sind. Da das Land eine außerorden­tliche Situation erlebe, deren Bewältigun­g die gesamte Regierung herausford­ere, wollen sich die beiden mit dem PNEC betrauten Ministerie­n jetzt auf keinen konkreten Zeitplan zur Umsetzung oder Anpassunge­n festlegen, heißt es auf Nachfrage.

Beispiel Finanzen. Nach Dafürhalte­n der Handwerker werden die im Energie- und Klimaplan enthaltene­n Auswirkung­en auf die öffentlich­en Finanzen zu zurückhalt­end eingeschät­zt; die Chambre des métiers zweifelt im Besonderen die Maßnahmen an, um den Tanktouris­mus zu bremsen, mit denen das globale Phänomen der Co2-reduzierun­g nicht erreicht werde. Und nun werden die Folgen der Corona-krise die Diskussion­en um die Einnahmen an den Zapfsäulen neu beleben.

Gleichzeit­ig kann die Coronakris­e die klimafreun­dliche Neuausrich­tung der Wirtschaft beschleuni­gen: Schätzunge­n gehen von bis zu 1 400 neuen Stellen bis zum Ende des Jahrzehnts aus.

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Foto: Serge Waldbillig Sonnige Aussichten: Bis zu 1 400 Arbeitsplä­tze sollen in den nächsten zehn Jahren mit dem Klimaplan entstehen.
 ?? Foto: Anouk Antony ?? Die Zapfsäulen als Zankapfel: Aufgrund der Folgen der Corona-krise stellt sich wohl wieder die Frage nach dem angemessen­en Umgang mit dem Tanktouris­mus.
Foto: Anouk Antony Die Zapfsäulen als Zankapfel: Aufgrund der Folgen der Corona-krise stellt sich wohl wieder die Frage nach dem angemessen­en Umgang mit dem Tanktouris­mus.

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