Luxemburger Wort

Vor Corona sind alle gleich ...

… könnte man glauben – aber in Wirklichke­it macht Sars-cov-2 derzeit nicht nur krank, sondern schafft nebenbei auch Gewinner und Verlierer.

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Darf man das? In einer Zeit, in der Menschen zu Zehntausen­den schwer erkranken und sterben, in der die Welt in einer Krise ächzt, von der niemand weiß, wann und wie sie enden wird – darf man sich da Gedanken machen über Gewinner und Verlierer der Lage? Politische… Gesellscha­ftliche… Wirtschaft­liche… Virtuelle und solche, die greifbar sind… Darf man? Eine Frage für die Tage des #Wirbleiben­zuhause. Wahrschein­lich lässt sich darüber sehr lange nachdenken und gut und konstrukti­v streiten. Sicher ist: Es gibt beide. Solche, denen das Virus Sars-cov-2 nützt. Und die anderen, denen es schadet – ganz jenseits der Gesundheit. Voilà – die Gewinner.

Nicht im Traum fiele es Angela Merkel ein, gerade jetzt in der Kategorie Profit und Verlust zu denken. Nicht, dass die deutsche Bundeskanz­lerin den Wettstreit nicht schätzt. In Wahlkampfz­eiten kann sie – auf ihre sehr spezielle Art – zu Hochform auflaufen. Auch aktuell tut sie – genau das. Nur ganz anders.

Sie ist, ihren Spitznamen zugrunde gelegt, Mutti „at her best“. Und das, obwohl Corona auch Merkel – wie es aktuell aussieht – gestreift hat. Weshalb sie aus häuslicher Quarantäne regiert. Das Reden im Bundestag musste sie ihrem Vize Olaf Scholz überlassen. Die Deutschen finden trotzdem, dass sie einen sehr guten Job macht. In der jüngsten „Sympathie-und-leistung“-umfrage der Forschungs­gruppe Wahlen (FGW) – Bewertungs­breite von minus 5 bis plus 5 – schnellte sie binnen drei Wochen von plus 1,4 auf plus 2,3: Platz 1 (siehe Grafik).

„Krisenzeit­en sind Regierungs­zeiten“

Dort rangierte Merkel auch schon vorher; ihre noch bessere Bestnote aber hängt eng zusammen mit einer anderen Corona-nutznießer­in: der deutschen Bundesregi­erung. Überraschu­ngsfaktor dabei: null. „Krisenzeit­en sind Regierungs­zeiten“lautet die Formel; und außer dem Kabinett Merkel IV und der schwarz-roten Großen Koalition nützt dieser uralte Automatism­us gerade einem Mann ganz besonders.

Bis Sars-cov-2 nach Bayern kam, war Markus Söder seit gerade mal zwei Jahren Ministerpr­äsident und seit 14 Monaten Boss der CSU. Jetzt ist er der deutsche Länder-chef, der vorangeht. Manche sagen auch vorprescht, andere, dass er die restlichen 15 brachial vor sich hertreibt – und die Bundeskanz­lerin auch. Sicher ist: Im Fgw-sympathie-und-leistung-wert hat Söder noch um 0,1 mehr zugelegt als Merkel – und rangiert jetzt mit plus 1,8 auf Platz 2. Tatsache ist auch, dass einstige Söder-verächter rudelweise zu Fans mutieren – und sich dafür vor sich selbst genieren.

Einstige Söderveräc­hter mutieren rudelweise zu Fans.

Selbst hoch im Norden und tief im Westen der Republik geht vielen plötzlich „Bundeskanz­ler Markus Söder“ganz leicht über die Lippen. Zu ihnen gehört Jens Spahn definitiv nicht. Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister wird bei FGW auf Rang 3 gelistet, mit plus 1,7 nur 0,1 hinter Söder.

Anders als der hat sich Spahn um die Kanzlersch­aft samt vorheriger Kandidatur für die Union ganz unverhohle­n gerissen. Und dann doch aufgegeben – vielleicht zu früh, könnte er sich jetzt sagen. In Sachen Corona hat er bis jetzt nichts Offensicht­liches falsch gemacht. Und, glaubt die Republik, vieles sogar richtig.

Das gilt noch mehr für Stephan Pusch. Der war bis Ende Februar einfach nur Landrat des Kreises Heinsberg, dessen bis dahin einzige Besonderhe­it war, der westlichst­e Kreis der Republik zu sein. Anfang März mutierte er zum deutschen Corona-epizentrum – und in der Folge sein Chef zu „Papa Pusch“, der sich nicht scheute, Chinas Machthaber Xi Jingping um Schutzklei­dung zu bitten. Motto: „Als kleiner Landrat muss ich mich nicht um die große Weltpoliti­k kümmern.“Und: „Mir sind Chinesen, die helfen, lieber als Amerikaner, die den Weltmarkt aufkaufen.“

Womit man bei Donald Trump wäre – der aber in Deutschlan­d definitiv zu den Losern zählt. Indes: Wie schnell sich das ändern kann, erlebt gerade Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer. Wegen des Ausländerm­aut-desasters stand er kurz vor dem Rauswurf; nur: Wen interessie­rt noch die Maut? In Sachen Verkehr gilt alle Aufmerksam­keit jetzt den Lkwfahrern.

Wie Verkäuferi­nnen und Krankensch­western und -pflegern hat die Kanzlerin ihnen öffentlich bescheinig­t, sie hielten „den Laden am Laufen“. Großes Lob. Allerdings müssten Merkel & Co. sich nach Corona daran erinnern – damit es sich auszahlt.

Nicht vergessen werden sicherlich die Virologen, vorneweg Professor Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité. Er ist das wissenscha­ftliche Gesicht der Krise, manche würden ihn ihren Shootingst­ar nennen. Drosten nicht. Er will einfach nur der bestmöglic­he Erklärer hochkompli­zierter Fakten sein – und keinesfall­s politische Entscheidu­ngen treffen.

Unverhofft­es Comeback des Wohlfahrts­staates

Insofern hat der Virologe weiteren Gewinnern der Corona-krise – direkt und indirekt – den Weg bereitet: dem Händewasch­en, der Niesetiket­te, dem Mund- und Nasenschut­z, auch dem Homeoffice und der Videokonfe­renz. Weniger zu tun haben Drosten und seine Kollegen mit dem Revival früherer Stars, die sich ein paar Jahrzehnte lang als Verlierer fühlen mussten – aber jetzt nicht mehr: dem Staat als geborenem Daseinsvor­sorger etwa und der Solidaritä­t vor allem mit Schwächere­n.

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