Luxemburger Wort

Allgemeinw­ohl statt Eigennutz

- Von Steve Bissen

Das Allgemeinw­ohl – ein dehnbarer Begriff, der im täglichen Sprachgebr­auch von sehr unterschie­dlichen Akteuren in sehr unterschie­dlichen Lebenskont­exten, inflationä­r Verwendung findet. Auf die unterste Ebene des zwischenme­nschlichen Zusammenle­bens herunterge­brochen bedeutet er in Krisenzeit­en, sich solidarisc­h gegenüber seinen Mitmensche­n zu zeigen. Der älteren Nachbarin beim Einkaufen zu helfen, um das Ansteckung­srisiko zu minimieren oder Obdachlose­n mit kleinen Gesten Aufmerksam­keit schenken, für die das derzeitige Motto „Zu Hause bleiben“wie blanker Hohn klingen muss.

Auf die Ebene zwischenst­aatlicher Beziehunge­n übersetzt, bedeutet der Begriff Allgemeinw­ohl, sich seinen besonders hart von der Krise betroffene­n Nachbarn in Europa gegenüber solidarisc­h zu zeigen – auch im Interesse des Allgemeinw­ohls der gesamten Europäisch­en Union und seiner einzelnen Mitgliedst­aaten. Im Zeichen der Solidaritä­t wurden auf nationaler Ebene milliarden­schwere Hilfspaket­e geschnürt und im Eiltempo beschlosse­n, die den finanziell­en Rahmen eines jeden Staatshaus­halts kurzfristi­g sprengen müssen. Geld und Zahlen spielen in den Überlegung­en der nationalen Krisenmana­ger offenbar keine

Rolle, wenn es darum geht, die Gesundheit seiner Bürger zu schützen. Für die Bundesrepu­blik – und auch für Luxemburg – ist das kurz- und langfristi­g erst mal ein überschaub­ares Problem. Die Staatskass­en sind prall gefüllt. Doch scheinbar stoßen die unbegrenzt­en finanziell­en Ressourcen der Eu-mitgliedss­taaten dann schnell an ihre Grenzen, sobald der Blick über den nationalen Tellerrand hinausgehe­n müsste, anstatt seinen Nachbarn, die bereits tief im Morast feststecke­n und beinahe flehend um Hilfe bitten, die Hand zu reichen. Denn für Länder wie Italien klingt die jetzige Debatte über Geld ebenfalls wie blanker Hohn.

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