Handschlag, du fehlst uns!
Berlin. Die größten Verlierer in Zeiten von Sars-cov-2 und Covid-19? Keine Frage. Die Menschen, die schwer erkranken. Die, die sterben. Muss man an dieser Stelle aufhören, andere überhaupt nur zu erwähnen? Und anderes? Muss man nicht. Corona trifft ja nicht nur die, in deren Körper das Virus sich schleicht. Die ganze Welt spürt seine Folgen. Und manche nehmen auf ganz andere Weise Schaden. Voilà – die Verlierer. Am neunten Tag des Kontaktverbots macht die AFD Schlagzeilen. Man muss auf www.spiegel.de sehr lange sehr tief nach unten scrollen, dann steht da: „Schwere Regelverstöße: Afdspitze setzt saarländischen Landesvorstand ab“. In diesem Fall ist Corona für die Rechtsaußenpartei im Deutschen Bundestag ein Glück. Aber sonst? Geht die AFD den Deutschen sonst wo vorbei. Aus der Dauer-höhenflug – in der Krise ist Populismus nicht gefragt. Um drei, vier Prozent sind Gauland, Weidel & Co. abgerutscht in den Umfragen – mehr als alle anderen. Parteien bekommen die alte Regel zu spüren, dass in Nöten und Krisen die Bevölkerung die Rettung kein bisschen bei der Opposition vermutet. Etwas anders ergeht es den Grünen. Der Trend ist nicht mehr ihr Freund – nur ihre Chefs sind in der „Sympathieund-leistung“-umfrage der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) noch gut dabei: Rang 5 für Robert Habeck, Rang 7 für Annalena Baerbock. Aber kanzlerabel geht – anders.
Opposition tut sich schwer
Und schon ist man bei Friedrich Merz. Corona-opfer hoch zwei ist nicht übertrieben für den Mann, der sich schon als neuer Vorsitzender der CDU und Nachfolger von Angela Merkel im Kanzleramt sah. Aber dann kam Sars-cov-2 und veränderte alles. Nicht nur, dass der Wahlparteitag auf irgendwann verschoben ist und dass Merz’ erklärte und unerklärte Konkurrenten Spahn, Laschet und Söder als exekutive Krisenbewältiger mehr oder weniger glänzen; als bislang einzigen Politiker von wirklicher Prominenz hat Merz das Virus erwischt und in die häusliche Quarantäne verbannt. Ein tägliches Bulletin per Twitter – an Tag neun merkt Merz, wie jämmerlich das gegen die Corona-fighterauftritte der anderen wirkt. Und lässt es sein.
Der Rest der Opposition kommt so gut wie gar nicht mehr vor. Wer will schon wissen, dass Linke und FDP alles ziemlich genauso machen würden wie die Große Koalition? Und was können sie schon tun, solange ihre beste Bühne – der Bundestag – Corona-auszeit nehmen muss wie der Rest der Republik eben auch?
Bleibt – die EU. Jetzt – könnte ihre Stunde gekommen sein. Ach, Stunde? Ihre Wochen, ihre Monate könnten es sein. Und die neuen Spitzen von Kommission und Europäischem Rat – Ursula von der Leyen und Charles Michel – könnten der von Brexit und anderen Zwistigkeiten geschüttelten Organisation neues Profil verleihen. Sich selber dazu. Statt dessen: Nationalismus. Egoismus. Streit. Und geschlossene Grenzen. Rafft Sarscov-2 am Ende die Union dahin?
Andere haben schon begriffen, dass sie im Überlebenskampf stecken. Kleinstunternehmer und Geschäfte, die noch nicht digitalisiert sind. Oder ausschließlich analog funktionieren, wie der Friseur und die Eckkneipe. Und dann sind da noch all die freischaffenden Künstler. Ihnen gilt die Sympathie der Mitdenker und der Mitfühlenden. Und die Soforthilfe der Bundesregierung. Aber ehe die meisten sich überhaupt ans Antragstellen gemacht haben, reagieren andere.
Image-loser
Gehören Adidas, H&M und Karstadt-kaufhof zu den Corona-verlierern? Definitiv – nur anders, als ihre Manager es sich gedacht haben. Alle drei Konzerne wollen ihre Mietzahlungen aufschieben; so wie es der Bundestag in seinem Corona-paket möglich gemacht hat. Allerdings hat das Parlament dabei an Arbeitnehmer gedacht und an Unternehmen, die in echte Not geraten – Adidas aber, beispielsweise, hat 2019 zwei Milliarden Euro Gewinn gemacht. Nicht nur die Politik, auch die sozialen Netzwerke beben. „Unter aller Sau“ist noch das Mildeste. Nach fünf Tagen nimmt zumindest Adidas kleinlaut alles zurück. Nützt aber nichts. Ab sofort gehören die Fairness-schwadroneure aus Franken zu den großen Imagelosern.
Und befinden sich da in ebenso üppiger wie schlechter Gesellschaft. Ioc-präsident Thomas Bach, der zur Absage der Sommerspiele von Tokio von den Athleten gezwungen werden muss, ist an Adidas’ Seite. Und Bayern-münchen-vorstandsvorsitzender Karlheinz Rummenigge, der darauf pocht, dass Geld vor Gesundheit von Spielern und Publikum zu gehen hat. Und alle, die sich noch rasch die Vorratsregale und Speisekammern vollknallen mit Toilettenpapier, Nudeln und Trockenhefe: Hamsterer und Prepper mag niemand mehr leiden. Der Egoismus also gehört zu den Verlierern; zumindest akut. Sein Ruf ist gerade so ruiniert wie der der Privatisierung von Gesundheit und Pflege und Wohnen. Niemand trauert – zumindest jetzt. Und viele schwören beiden Feindschaft auf ewig.
Anderen Verlierern gilt tiefes Bedauern und Mitgefühl. Der Handschlag gehört dazu, der Wangenkuss und auch die Umarmung. Und dann sind da noch jene so oft Übersehenen und Ignorierten und für selbstverständlich Genommenen, die aber so wichtig sind – und die nun allen so spürbar fehlen: die Grundrechte. Alle Sehnsucht richtet sich plötzlich auf sie. Und das macht sie zu Verlierern und Gewinnern zugleich. art
der Krise nicht, weil auch diese Kredite die Staatsschulden der Länder erhöhen würden. Das ist noch nicht der große Wurf, den wir brauchen.
Was ist Ihrer Meinung nach der beste Weg, um mit dieser Krise umzugehen?
Wir brauchen zuallererst eine politische Einigung auf das Prinzip der solidarischen Lastenteilung. Dann können wir darüber diskutieren, welche Instrumente dafür am besten geeignet sind. Aus meiner Sicht spricht viel dafür, dass eine einmalige gemeinsame Verschuldung Teil einer sinnvollen Lösung sein muss, weil wir anders nicht an die notwendigen Mittel zur Bekämpfung dieser Krise kommen.
Wie schätzen Sie die Lage ein – was kann in den nächsten Wochen passieren?
Die Lage ist extrem unbeständig. Vor vier Wochen hätte niemand geglaubt, dass Deutschland seine schwarze Null über Nacht abräumen und die EZB mit extremer Entschlossenheit an den Märkten intervenieren würde. Ich hoffe, dass Delors‘ Warnung gehört wird und wir in weiteren vier Wochen soweit sind, dass wir den politischen Willen und einen robusten Plan haben, um Europa zusammenzuhalten. Lebensgefahr heißt ja, dass es weiter gut ausgehen kann. Aber man muss etwas dafür tun.
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