„Noch dominieren alte Reflexe“
Eu-experte Lucas Guttenberg erläutert, warum es in Berlin und Den Haag in der Corona-krise ein Umdenken braucht
In ihrer Antwort auf die Corona-krise fällt die Europäische Union zurück in alte Muster: Der reiche Norden will nicht für den finanzschwächeren Süden haften. Eu-experte Lucas Guttenberg aus der Denkfabrik „Jacques Delors Centre“erläutert aber, warum die Coronakrise kaum mit der Eurokrise vergleichbar ist und alte Denkmuster deswegen überwunden werden müssen.
Lucas Guttenberg, der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors, der Ihrem Institut seinen Namen gibt, warnte neulich davor, dass die EU angesichts der mangelnden Solidarität in der Coronakrise in „Todesgefahr“sei. Sehen Sie das auch so?
Jacques Delors meldet sich nur noch selten zu Wort, daher sollten wir das sehr ernst nehmen. Er hat Recht: Eine Union, die in einer solchen Krise keine Solidarität zeigt, hat ihren Namen nicht verdient.
Eine Union, die in einer solchen Krise keine Solidarität zeigt, hat ihren Namen nicht verdient.
Neun Eu-staaten, darunter Spanien, Italien und Luxemburg meinen, dass Solidarität sich etwa durch ein „gemeinsames Schuldeninstrument“ausdrücken könnte – also die mittlerweile viel zitierten „Corona-bonds“. Was genau ist damit gemeint?
Dahinter steht erst einmal das Prinzip, dass die ökonomischen Kosten der Krise gemeinsam getragen werden müssen. Einige Länder wie Italien können sich aufgrund ihrer hohen Schuldenstände vor der Krise nicht dieselbe Form von fiskalischer Antwort leisten wie beispielsweise Deutschland. Corona-bonds könnten bedeuten, gemeinsam Schulden aufzunehmen, um die Lasten der Krise so zu verteilen, dass keinem Land vorschnell die Puste ausgeht.
Und warum sind jetzt einige der Mitgliedstaaten so vehement dagegen?
Es hat sich noch nicht überall die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir vor einer existenziellen Gefahr für den Zusammenhalt Europas stehen. Bis jetzt dominieren alte Reflexe aus der Zeit der Eurokrise, und vor allem in Deutschland gilt gemeinsames Schuldenmachen als Teufelszeug, das es um jeden Preis zu verhindern gilt. Doch die Lage ist diesmal eine völlig andere als vor zehn Jahren: Denn es geht diesmal überhaupt nicht darum, alte Schulden zu vergemeinschaften, sondern einen Weg aus dieser schweren Krise zu finden, bei dem uns nicht die Hälfte der Europäischen Union wirtschaftlich verloren geht.
Fordert neues Denken: Lucas Guttenberg.
Verstehen Sie die Vorwürfe Südeuropas und Luxemburgs, die die Deutschen und Niederländer derzeit Egoisten nennen, weil sie sich gegen Corona-bonds wehren?
Ich kann verstehen, wenn die Haltung Deutschlands und der Niederlande als unsolidarisch empfunden wird. Aber wir sehen ja nun ein allmähliches Umdenken. Die Niederlande sind jetzt bereit, Geld für begrenzte Transfers auf den Tisch zu legen. Es reift hoffentlich in allen Hauptstädten die Erkenntnis, dass wir in dieser Krise neue Wege gehen und die alten Grabenkämpfe hinter uns lassen müssen.
Klaus Regling, der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM glaubt, dass Corona-bonds keine Lösung sind, weil es zu lange dauern wird, diese in die Wege zu leiten. Wie wasserdicht ist dieses Argument?
Die Erfahrungen der Eurokrise lehren uns: Wo ein politischer
Wille, da ein technischer Weg. Ich habe vollstes Vertrauen in die Eubürokratie, dass sie binnen kürzester Zeit eine rechtssichere und gangbare Lösung auf den Tisch legen könnte, sobald sich die Mitgliedstaaten auf das Prinzip der solidarischen Lastenteilung geeinigt haben.
Was gibt es noch für Möglichkeiten, um die anstehende wirtschaftliche Krise auf Eu-ebene anzugehen? Der ESM könnte ja auch Teil der Lösung sein, meint Klaus Regling weiter …
Wir haben in der Tat mit dem ESM und der Europäischen Zentralbank EZB Instrumente, um eine klassische Marktzugangskrise wie vor zehn Jahren effektiv zu bekämpfen. Die EZB ist hier bereits in Vorleistung gegangen, und möglicherweise werden wir den ESM auch noch brauchen. Aber diese Werkzeuge sind dazu da, um den Mitgliedstaaten Zugang zu den Anleihemärkten zu sichern und nicht, um Solidarität zu organisieren. Dafür brauchen wir neue Instrumente.
Worin besteht der Unterschied zwischen organisierter Solidarität und Marktzugangsmaßnahmen, und warum ist erstere nun zentraler als während der Eurokrise?
Während der Eurokrise ging es darum, einzelnen Ländern Zeit zu kaufen, bis sie sich wieder an den Anleihemärkten finanzieren konnten. Im Gegenzug waren die Länder angehalten, ihre Wirtschaftspolitik
auf nachhaltigere Füße zu stellen. Darum geht es jetzt nicht: Es ist klar, dass alle Mitgliedstaaten sehr viel Geld ausgeben müssen – aber einigen fehlt dafür schlicht der Spielraum. Den müssen wir ihnen verschaffen. Dabei geht es nicht um eine zeitliche Überbrückung, sondern um echten Beistand, der nicht zurückgezahlt werden muss.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen neigt dazu, das Eubudget in einer ersten Phase zu mobilisieren und eine Eu-arbeitslosenversicherung vorzuschlagen. Ist das sinnvoll?
Wir sollten alle Instrumente prüfen. Klar ist allerdings, dass die verfügbaren Restmittel im Eu-haushalt sehr begrenzt sind. Auch hier spricht viel dafür, dass es ohne eine Form der gemeinsamen Verschuldung nicht gehen wird. Was die Arbeitslosenversicherung angeht: Die Kommission schlägt vor, Ländern Zugang zu Krediten zu geben, wenn sie es für Kurzarbeitergeld oder ähnliches verwenden. Das löst das Problem der Lastenverteilung für die Kosten
Alle Mitgliedstaaten werden sehr viel Geld ausgeben müssen.