Luxemburger Wort

„Noch dominieren alte Reflexe“

Eu-experte Lucas Guttenberg erläutert, warum es in Berlin und Den Haag in der Corona-krise ein Umdenken braucht

- Interview: Diego Velazquez

In ihrer Antwort auf die Corona-krise fällt die Europäisch­e Union zurück in alte Muster: Der reiche Norden will nicht für den finanzschw­ächeren Süden haften. Eu-experte Lucas Guttenberg aus der Denkfabrik „Jacques Delors Centre“erläutert aber, warum die Coronakris­e kaum mit der Eurokrise vergleichb­ar ist und alte Denkmuster deswegen überwunden werden müssen.

Lucas Guttenberg, der ehemalige Kommission­spräsident Jacques Delors, der Ihrem Institut seinen Namen gibt, warnte neulich davor, dass die EU angesichts der mangelnden Solidaritä­t in der Coronakris­e in „Todesgefah­r“sei. Sehen Sie das auch so?

Jacques Delors meldet sich nur noch selten zu Wort, daher sollten wir das sehr ernst nehmen. Er hat Recht: Eine Union, die in einer solchen Krise keine Solidaritä­t zeigt, hat ihren Namen nicht verdient.

Eine Union, die in einer solchen Krise keine Solidaritä­t zeigt, hat ihren Namen nicht verdient.

Neun Eu-staaten, darunter Spanien, Italien und Luxemburg meinen, dass Solidaritä­t sich etwa durch ein „gemeinsame­s Schuldenin­strument“ausdrücken könnte – also die mittlerwei­le viel zitierten „Corona-bonds“. Was genau ist damit gemeint?

Dahinter steht erst einmal das Prinzip, dass die ökonomisch­en Kosten der Krise gemeinsam getragen werden müssen. Einige Länder wie Italien können sich aufgrund ihrer hohen Schuldenst­ände vor der Krise nicht dieselbe Form von fiskalisch­er Antwort leisten wie beispielsw­eise Deutschlan­d. Corona-bonds könnten bedeuten, gemeinsam Schulden aufzunehme­n, um die Lasten der Krise so zu verteilen, dass keinem Land vorschnell die Puste ausgeht.

Und warum sind jetzt einige der Mitgliedst­aaten so vehement dagegen?

Es hat sich noch nicht überall die Erkenntnis durchgeset­zt, dass wir vor einer existenzie­llen Gefahr für den Zusammenha­lt Europas stehen. Bis jetzt dominieren alte Reflexe aus der Zeit der Eurokrise, und vor allem in Deutschlan­d gilt gemeinsame­s Schuldenma­chen als Teufelszeu­g, das es um jeden Preis zu verhindern gilt. Doch die Lage ist diesmal eine völlig andere als vor zehn Jahren: Denn es geht diesmal überhaupt nicht darum, alte Schulden zu vergemeins­chaften, sondern einen Weg aus dieser schweren Krise zu finden, bei dem uns nicht die Hälfte der Europäisch­en Union wirtschaft­lich verloren geht.

Fordert neues Denken: Lucas Guttenberg.

Verstehen Sie die Vorwürfe Südeuropas und Luxemburgs, die die Deutschen und Niederländ­er derzeit Egoisten nennen, weil sie sich gegen Corona-bonds wehren?

Ich kann verstehen, wenn die Haltung Deutschlan­ds und der Niederland­e als unsolidari­sch empfunden wird. Aber wir sehen ja nun ein allmählich­es Umdenken. Die Niederland­e sind jetzt bereit, Geld für begrenzte Transfers auf den Tisch zu legen. Es reift hoffentlic­h in allen Hauptstädt­en die Erkenntnis, dass wir in dieser Krise neue Wege gehen und die alten Grabenkämp­fe hinter uns lassen müssen.

Klaus Regling, der Chef des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us ESM glaubt, dass Corona-bonds keine Lösung sind, weil es zu lange dauern wird, diese in die Wege zu leiten. Wie wasserdich­t ist dieses Argument?

Die Erfahrunge­n der Eurokrise lehren uns: Wo ein politische­r

Wille, da ein technische­r Weg. Ich habe vollstes Vertrauen in die Eubürokrat­ie, dass sie binnen kürzester Zeit eine rechtssich­ere und gangbare Lösung auf den Tisch legen könnte, sobald sich die Mitgliedst­aaten auf das Prinzip der solidarisc­hen Lastenteil­ung geeinigt haben.

Was gibt es noch für Möglichkei­ten, um die anstehende wirtschaft­liche Krise auf Eu-ebene anzugehen? Der ESM könnte ja auch Teil der Lösung sein, meint Klaus Regling weiter …

Wir haben in der Tat mit dem ESM und der Europäisch­en Zentralban­k EZB Instrument­e, um eine klassische Marktzugan­gskrise wie vor zehn Jahren effektiv zu bekämpfen. Die EZB ist hier bereits in Vorleistun­g gegangen, und möglicherw­eise werden wir den ESM auch noch brauchen. Aber diese Werkzeuge sind dazu da, um den Mitgliedst­aaten Zugang zu den Anleihemär­kten zu sichern und nicht, um Solidaritä­t zu organisier­en. Dafür brauchen wir neue Instrument­e.

Worin besteht der Unterschie­d zwischen organisier­ter Solidaritä­t und Marktzugan­gsmaßnahme­n, und warum ist erstere nun zentraler als während der Eurokrise?

Während der Eurokrise ging es darum, einzelnen Ländern Zeit zu kaufen, bis sie sich wieder an den Anleihemär­kten finanziere­n konnten. Im Gegenzug waren die Länder angehalten, ihre Wirtschaft­spolitik

auf nachhaltig­ere Füße zu stellen. Darum geht es jetzt nicht: Es ist klar, dass alle Mitgliedst­aaten sehr viel Geld ausgeben müssen – aber einigen fehlt dafür schlicht der Spielraum. Den müssen wir ihnen verschaffe­n. Dabei geht es nicht um eine zeitliche Überbrücku­ng, sondern um echten Beistand, der nicht zurückgeza­hlt werden muss.

Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen neigt dazu, das Eubudget in einer ersten Phase zu mobilisier­en und eine Eu-arbeitslos­enversiche­rung vorzuschla­gen. Ist das sinnvoll?

Wir sollten alle Instrument­e prüfen. Klar ist allerdings, dass die verfügbare­n Restmittel im Eu-haushalt sehr begrenzt sind. Auch hier spricht viel dafür, dass es ohne eine Form der gemeinsame­n Verschuldu­ng nicht gehen wird. Was die Arbeitslos­enversiche­rung angeht: Die Kommission schlägt vor, Ländern Zugang zu Krediten zu geben, wenn sie es für Kurzarbeit­ergeld oder ähnliches verwenden. Das löst das Problem der Lastenvert­eilung für die Kosten

Alle Mitgliedst­aaten werden sehr viel Geld ausgeben müssen.

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Foto: AFP Den Staats- und Regierungs­chefs der EU fehlt es in der Corona-krise derzeit noch an Solidaritä­t.
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