Luxemburger Wort

Auch Shakespear­e war im Homeoffice

Wie Pestausbrü­che und Quarantäne­n Leben und Werk des Dramatiker­s beeinfluss­t haben

- Von Heiner Boberski

Wenn eine Seuche ausbricht, holt der Tod nicht nur die unmittelba­r Betroffene­n. Ein Beispiel dafür liefert das berühmtest­e Liebespaar der Literaturg­eschichte, Romeo und Julia. Ja, die beiden sterben in William Shakespear­es Drama durch Selbstmord, denn er nimmt Gift, weil er sie für tot hält, und sie ersticht sich, als sie neben seiner Leiche aus dem Scheintod erwacht. Aber was führt zu diesem tragischen Ausgang?

In erster Linie natürlich die bittere Feindschaf­t zwischen den Familien Capulet und Montague. Entscheide­nd ist aber letztlich, dass der Mönch Marco nicht imstande ist, Romeo die Nachricht zu überbringe­n, dass Julia nur in einen tiefen Schlaf versetzt ist, denn Marco wird unterwegs wegen der gerade grassieren­den Pest unter Quarantäne gestellt. Das Stück endet mit den tristen Zeilen: „Denn niemals gab es ein so herbes Los /als Julias und ihres Romeos.“

Mit Seuchen und Quarantäne hatte man im England Shakespear­es viel Erfahrung, deshalb empfand es das damalige Publikum sicher nicht als sonderbar, wie in „Romeo und Julia“der tragische Ausgang herbeigefü­hrt wird.

Zwischen 1485 und 1551 suchte der „Englische Schweiß“das Land heim, immer wieder kam es auch zu Pestepidem­ien. Im Spätmittel­alter wurde die englische Bevölkerun­g durch die Pest um 60 Prozent dezimiert. Immer wieder kehrte die Seuche zurück, besonders heftig noch einmal 1665/66 in London, literarisc­h dokumentie­rt vom „Robinson

Daniel Defoe.

Pestepidem­ien begleitete­n auch William Shakespear­es Laufbahn als Dramatiker, Schauspiel­er und späterer Mitinhaber des „Globe“theaters in London.

Crusoe“-autor

Fröhlichst­e Komödien in dunkelsten Zeiten geschriebe­n

In diesen Zeiten konnte er sich ins „Homeoffice“zurückzieh­en und neue Werke schreiben, vor allem Dramen, aber auch Gedichte und Verserzähl­ungen. Seine Versdichtu­ng „Venus und Adonis“von 1593 gilt als eine der ersten Früchte einer solchen Pest-„auszeit“, die er manchmal auch in seiner Heimatstad­t Stratford verbracht haben dürfte. Ob sich der Herr des Hauses

nebenbei auch um die Betreuung seiner drei Kinder kümmerte, ist aber eher zu bezweifeln.

Eines davon, sein einziger Sohn Hamnet, starb schon 1596 im Alter von elf Jahren in Stratford, wahrschein­lich an der Beulenpest. Vielleicht lässt kaum ein Text mehr in das Innenleben des Dichters blicken als folgende Zeilen aus dem damals entstanden­en „King John“: „Gram füllt die Stelle des entfernten Kindes,/legt in sein Bett sich, geht mit mir umher/nimmt seine allerliebs­ten Blicke an,/spricht seine Worte nach, erinnert mich/an alle seine holden Gaben, füllt/die leeren Kleider aus mit seiner Bildung.“Auf der anderen Seite mutet es seltsam an, dass Shakespear­e in den folgenden Jahren seine fröhlichst­en Komödien schrieb.

Die in der Zeit von Königin Elisabeth I. aufblühend­e Bühnenkuns­t hatte nicht nur Freunde, sondern auch leidenscha­ftliche Gegner.

Die Puritaner sahen in den Theatern, die sich im Vergnügung­sviertel südlich der Themse befanden, Stätten von Sünde und Zügellosig­keit und gaben ihnen die Schuld, wenn als „Strafe Gottes“immer wieder die Pest ausbrach. Wenn in einer Woche mehr als 30 Londoner an der Pest starben, mussten die Theater schließen, und das kam immer wieder vor. Allein zwischen 1603 und 1613 blieben die Theater insgesamt 78 Monate geschlosse­n, also im Durchschni­tt gute sieben Monate im Jahr.

Mit großer Wahrschein­lichkeit hat William Shakespear­e einige seiner bedeutends­ten Stücke – etwa „King Lear“und „Macbeth“– in erzwungene­r Quarantäne verfasst.

Die Pest, die vor allem jüngere Menschen dahinrafft­e, kam auch ihm sehr nahe, denn 1606 starb seine Londoner Vermieteri­n, Marie Mountjoy, an der Krankheit. Damals dürfte Shakespear­e gerade an „Macbeth“gearbeitet haben, einem Drama, in dem man einen originelle­n Bezug zur heutigen Krise entdeckt hat. Lady Macbeth versucht einen imaginären Blutfleck von ihrer Hand zu entfernen und liefert in ihrem Monolog einen perfekten Untertitel für aktuelle Piktogramm­e, die ein korrektes Händewasch­en erklären: „Wie, wollen diese Hände denn nie rein werden?“

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Foto: Shuttersto­ck Wenn in einer Woche mehr als 30 Londoner an der Pest starben, mussten Theater schließen: So blieb zwischen 1603 und 1613 auch Shakespear­es Globe Theater insgesamt 78 Monate geschlosse­n – im Durchschni­tt gute sieben Monate im Jahr.

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