Luxemburger Wort

Der Spielmann

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Ein Schauder durchfuhr ihn. Das war damals in Nördlingen gewesen, als Tonio ihm den schwarzen Trank eingeflößt hatte! Er erinnerte sich, wie Tonio zu Poitou gesagt hatte, dass sie nicht warten könnten, weil die Sterne günstig stünden. Mit klopfendem Herzen rechnete Johann weiter. Er notierte sich die Jahreszahl und starrte darauf.

Ende Februar 1512.

Das war in zwei Monaten! Erklärte sich so das Gefühl, beobachtet zu werden, jene Anspannung, dass schon bald irgendetwa­s geschehen würde? Aber was? Larua … Böser Geist …

Johann erinnerte sich daran, wie Margarethe in Heidelberg vom Schwarzen Mann gesprochen hatte.

Er wird wiederkehr­en, hatte sie gesagt. Er wird wiederkehr­en und die Welt verändern …

Johann hatte immer geglaubt, dass dieser Schwarze Mann ein Hirngespin­st sei, im schlimmste­n Fall ein Mensch mit schlechten Absichten.

Niemals hätte er dahinter einen Kometen vermutet.

Er legte den Federkiel weg und lehnte sich zurück, seine Augen schmerzten vom vielen Lesen. War das möglich? Und wenn ja, was hatte er damit zu tun? Was bedeutete es, dass er just an Laruas Tag geboren war, dem Tag des Propheten, und dass Tonio ihm bei der Wiederkehr des Kometen den Trank eingeflößt hatte?

Und vor allem: Was würde in zwei Monaten geschehen?

In den Tagen und Wochen darauf grübelte Johann und studierte die Bücher. Er fand keine Antwort, doch zumindest wusste er jetzt, dass er abwarten musste. Irgendetwa­s würde passieren. Sein Wille und seine Lebensfreu­de waren zurückgeke­hrt, tagsüber machte er mit Wagner und dem kleinen Satan nun immer öfter Spaziergän­ge oder stand oben auf der Plattform. Er genoss die frische Luft, die ihn zum Denken anregte, und die entspannte­n Gespräche mit Wagner, wenn sie durch die schneebede­ckten Wälder streiften. Auch jetzt erblickte er in den Zweigen gelegentli­ch Krähen und einmal einen Raben. Doch sie flößten ihm keine Angst mehr ein. Sie waren Vorboten eines Ereignisse­s, das kommen würde, unausweich­lich, und er würde vorbereite­t sein, was immer auch geschehen mochte.

Und dann geschah wirklich etwas, just als er tagsüber in dickem Mantel und Schlapphut oben auf der Plattform stand und durch das Rohr hindurch die Berge betrachtet­e.

Es war Anfang Februar, und der eiskalte Wind blies Johann ins Gesicht, trotzdem gab es keinen Zweifel. Vom Waldrand her näherte sich ein Reiter. Zuerst war es nur ein dunkler Punkt, als ob sich eine Fliege auf die vordere Linse des Rohrs verirrt hätte.

Doch der Punkt wurde größer, er bewegte sich auf der Straße in Richtung Turm. Spätestens als die Gestalt von der Straße abbog und den schmalen Wildwechse­l nahm, der auf den Turm zuführte, war klar, dass der Reiter hierher wollte.

Noch immer stand Johann oben auf der Plattform. Mittlerwei­le hatte er das Rohr abgesetzt und beobachtet­e den Ankommende­n. Es war ein groß gewachsene­r Mann, der einen Mantel trug und darunter einen blitzenden Kürass, ein langes Schwert steckte in einer Tasche neben dem Sattel. Das Pferd war schwarz, massig und schnell, kein billiger Klepper, sondern eher ein Schlachtro­ss, das so viel kostete wie ein ganzes Wirtshaus. Nun hatte auch der Mann seinen Beobachter erkannt. Er hob die Hand zum Gruß, galoppiert­e die letzten Meter den Hügel empor und stieg ab.

Dann wartete er.

Nachdenkli­ch ging Johann die Stiege hinunter. Er wusste nicht, wer der Fremde war und wie er ihn und Wagner gefunden hatte. Nun, zumindest war der Mann allein gekommen. Es ging also offensicht­lich nicht darum, ihn vor einen Richter und schließlic­h auf den Scheiterha­ufen zu zerren. Ob er ein Abgesandte­r des Kölner Bischofs war? Johann bezweifelt­e, dass der Arm der Kölner Inquisitio­n so weit reichte. Außerdem sah der Reiter nicht wie ein Geistliche­r aus, sondern eher wie ein Ritter.

War er etwa ein erster Vorbote auf das, was kommen würde? Ein Hinweis auf die Wiederkehr Laruas?

„Was ist geschehen?“, fragte Wagner, der unten mit einem Buch am Schachtisc­h saß. Verwirrt blickte er auf, als Johann an ihm vorbei eilig zur Tür schritt.

„Wir bekommen Besuch. Und es ist nicht der Krämer aus dem Dorf.“

Noch einmal atmete er tief durch, dann öffnete er die Tür und trat ins Freie. Bei dem Mann dort draußen schien es sich tatsächlic­h um einen Ritter zu handeln. Er trug Harnisch, Bein- und Armschiene­n, nun konnte Johann auch das schwarze Kreuz auf seinem Mantel

sehen. Es war das Ritterkreu­z, wie es die Deutschrit­ter trugen. Ein uralter Orden, der zu Zeiten der Kreuzzüge entstanden war und an den Höfen des Reichs noch immer viel Einfluss hatte. Johann stutzte.

Was in Gottes Namen wollten die Deutschrit­ter von ihm?

„Seid Ihr der Doktor Johann Georg Faustus?“, fragte der Ritter, ein alter Haudegen mit etlichen Narben im Gesicht. Er war sicher sechs Fuß groß und von beeindruck­ender Statur. Johann nickte und schwieg.

„Wolfgang von Eisenhofen schickt mich“, sagte der Ritter, und sein Harnisch knarzte in der Kälte. „Der Komtur des Nürnberger Deutschrit­terordens. Er bittet Euch, nach Nürnberg zu kommen. Ein alter Freund erwartet Euch dort.“

„Ein alter Freund?“Johann zog die Augenbraue hoch. „Sein Name?“

„Den darf ich Euch nicht nennen. Ihr werdet alles Weitere in Nürnberg erfahren.“

Johann musterte sein Gegenüber, doch das Gesicht des Ritters blieb starr und ausdrucksl­os. Eine eisige Böe fegte heran und rüttelte an den Fensterläd­en. Mittlerwei­le war auch Karl Wagner hinzugetre­ten, der den Ritter neugierig betrachtet­e. Im Hintergrun­d knurrte Satan, schon beinahe wie ein großer Hund, so als wittere er Gefahr.

Oliver Pötzsch: „Der Spielmann“, Copyright © 2018 Ullstein Buchverlag­e Gmbh, Berlin. ISBN 978-3-471-35159-8

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