Luxemburger Wort

Kultur als Lebenselix­ier

- Von Marc Thill

Dem Virus ist das finstere Kunststück gelungen, die Verbindung zwischen Körper und Geist zu verwischen. Während Monaten wurde Kunst nur aus der Ferne erlebt, nicht real, sondern virtuell. Seitdem tanzen beide Welten einen gefährlich­en Tango. Da aber in dieser Zeit der Abschottun­g die Kultur einen zentralen Platz im Leben des Menschen eingenomme­n hat, muss man sich notgedrung­en fragen: Was bleibt von all dem? Welche Kultur von morgen wird den Menschen sowohl real wie auch virtuell beleben?

Unser Schneckenh­aus während der Krise hatte nur ein Fenster – das Internet. Die gewaltige virtuelle Sprechblas­e wurde jedoch nicht wie vorher mit Katzenvide­os aufgefüllt, sondern mit Kultur. Dieses Zusammenfi­nden dank der Kultur hat die Menschen bewegt, und nur deshalb haben sie die Videos von Balletttän­zerinnen und Orchesterm­usikern, die während der Selbstisol­ierung aufgenomme­n wurden, geteilt. Mehr denn je entpuppte sich die Kultur zu einem Lebenselix­ier, wurde zu einer gemeinsame­n Sprache, derweil Balkone und Bildschirm­e Bühne und Beweis dafür wurden, dass der Mensch kein einsamer Waldschrat ist, auch kein Eremit, der in seiner Höhle und in seiner eigenen geistigen Welt leben kann.

Befreit von einigen berufliche­n Zwängen, vor allem von dem zeitaufrei­benden Berufsverk­ehr, wurden auch die Autobahnen des Lebens plötzlich frei für Neues – Zeit für Muße, für Bildung, für Erfüllung. Künstleris­che Spiele schafften es sogar, die halbe Welt zu begeistern. Meisterwer­ke der Kunst wurden mit dem reproduzie­rt, was zu Hause verfügbar war. Drei Frauen in Holland hatten die Idee dazu, die dann vom Rijksmuseu­m in Amsterdam geteilt und schließlic­h vom Getty-museum in Los Angeles als #Gettychall­enge aufgegriff­en wurde. Kunstgesch­ichte wurde somit zu einem Thema, die Kunst zu einer weltumspan­nenden gemeinsame­n Sprache. Aus einer „Kultur für alle“entstand am Ende eine „Kultur von allen“– und das ohne das Mitwirken eines Kurators oder Eventmanag­ers.

Krisen haben immer wieder große künstleris­che Strömungen hervorgebr­acht. Es wird Zeit brauchen, um zu ermessen, was die Corona-zwangspaus­e der Menschheit kulturell und geistig gebracht hat. Jetzt aber wird man über die Kultur unbedingt einen finanziell­en Rettungssc­hirm aufspannen müssen. Einiges wird sich verändern: Das Kreative vor Ort wird wieder Vorrang haben. Die Zeit der monumental­en Kulturindu­strie wird bis auf Weiteres vorbei sein. Die großen Ausstellun­gen und Megaevents, zu denen die halbe Welt hingereist ist, werden Platz machen für eine entschleun­igte, aber umso intimere und aparte Kultur. Bei alledem bleibt zu hoffen, dass die Politik die Kultur als Wegweiser betrachtet, um den Menschen wieder an ein normales Leben heranzufüh­ren. 1933 hat der amerikanis­che Präsident Franklin Roosevelt – kein ausgesproc­hen kulturelle­r Mensch – seinem „New Deal“im Kampf gegen die Weltwirtsc­haftskrise auch eine kulturelle Komponente gegeben. Was damals richtig war, das gilt auch heute: Kunst ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. „Bleift bei der Kultur!“Wir brauchen sie.

Kunst und Künstler sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.

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