Kultur als Lebenselixier
Dem Virus ist das finstere Kunststück gelungen, die Verbindung zwischen Körper und Geist zu verwischen. Während Monaten wurde Kunst nur aus der Ferne erlebt, nicht real, sondern virtuell. Seitdem tanzen beide Welten einen gefährlichen Tango. Da aber in dieser Zeit der Abschottung die Kultur einen zentralen Platz im Leben des Menschen eingenommen hat, muss man sich notgedrungen fragen: Was bleibt von all dem? Welche Kultur von morgen wird den Menschen sowohl real wie auch virtuell beleben?
Unser Schneckenhaus während der Krise hatte nur ein Fenster – das Internet. Die gewaltige virtuelle Sprechblase wurde jedoch nicht wie vorher mit Katzenvideos aufgefüllt, sondern mit Kultur. Dieses Zusammenfinden dank der Kultur hat die Menschen bewegt, und nur deshalb haben sie die Videos von Balletttänzerinnen und Orchestermusikern, die während der Selbstisolierung aufgenommen wurden, geteilt. Mehr denn je entpuppte sich die Kultur zu einem Lebenselixier, wurde zu einer gemeinsamen Sprache, derweil Balkone und Bildschirme Bühne und Beweis dafür wurden, dass der Mensch kein einsamer Waldschrat ist, auch kein Eremit, der in seiner Höhle und in seiner eigenen geistigen Welt leben kann.
Befreit von einigen beruflichen Zwängen, vor allem von dem zeitaufreibenden Berufsverkehr, wurden auch die Autobahnen des Lebens plötzlich frei für Neues – Zeit für Muße, für Bildung, für Erfüllung. Künstlerische Spiele schafften es sogar, die halbe Welt zu begeistern. Meisterwerke der Kunst wurden mit dem reproduziert, was zu Hause verfügbar war. Drei Frauen in Holland hatten die Idee dazu, die dann vom Rijksmuseum in Amsterdam geteilt und schließlich vom Getty-museum in Los Angeles als #Gettychallenge aufgegriffen wurde. Kunstgeschichte wurde somit zu einem Thema, die Kunst zu einer weltumspannenden gemeinsamen Sprache. Aus einer „Kultur für alle“entstand am Ende eine „Kultur von allen“– und das ohne das Mitwirken eines Kurators oder Eventmanagers.
Krisen haben immer wieder große künstlerische Strömungen hervorgebracht. Es wird Zeit brauchen, um zu ermessen, was die Corona-zwangspause der Menschheit kulturell und geistig gebracht hat. Jetzt aber wird man über die Kultur unbedingt einen finanziellen Rettungsschirm aufspannen müssen. Einiges wird sich verändern: Das Kreative vor Ort wird wieder Vorrang haben. Die Zeit der monumentalen Kulturindustrie wird bis auf Weiteres vorbei sein. Die großen Ausstellungen und Megaevents, zu denen die halbe Welt hingereist ist, werden Platz machen für eine entschleunigte, aber umso intimere und aparte Kultur. Bei alledem bleibt zu hoffen, dass die Politik die Kultur als Wegweiser betrachtet, um den Menschen wieder an ein normales Leben heranzuführen. 1933 hat der amerikanische Präsident Franklin Roosevelt – kein ausgesprochen kultureller Mensch – seinem „New Deal“im Kampf gegen die Weltwirtschaftskrise auch eine kulturelle Komponente gegeben. Was damals richtig war, das gilt auch heute: Kunst ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. „Bleift bei der Kultur!“Wir brauchen sie.
Kunst und Künstler sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.