Luxemburger Wort

Unfriendly fire

Wie der Spd-bundestags­fraktionsc­hef Rolf Mützenich sich und seine eigene Partei lädiert

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Am Ende gibt es ausschließ­lich Verlierer. Allerdings ist noch gar nicht heraus, ob die Bataille schon ihr Ende erreicht hat. Oder nur eine Art Waffenstil­lstand. Der Aggressor jedenfalls hat angekündig­t, in sich zu gehen. Und darüber nachzudenk­en, „welche Fehler ich möglicherw­eise gemacht habe“.

Angriffslu­st ist nicht die erste Eigenschaf­t, die man Rolf Mützenich, dem Chef der Sozialdemo­kraten im Deutschen Bundestag, zuschreibe­n will. Seit er im Juni vor einem Jahr Andrea Nahles nachfolgte, agiert er nach außen höflich und ruhig, fast still – und nach innen, so wird erzählt, freundlich und auf Ausgleich bedacht. Wenn Mützenich in Sitzungswo­chen vor die Kameras tritt, wirkt er überlegt, und allenfalls scheint ihm die Routine für den mittelgroß­en und noch größeren Auftritt zu fehlen.

Nun aber hat er es fertiggebr­acht, seine Fraktion in Aufruhr zu versetzen, ihr und fast noch mehr seiner Partei personell ebenso wie am Image schwer zu schaden. Und obendrein sich selbst massive Zweifel an seinem politische­n Geschick zuzuziehen. Und das alles binnen gerade mal neun Tagen.

Irritation um geforderte­n Abzug der Us-atomwaffen

Öffentlich wahrnehmba­r begann es mit einem Interview am ersten Mai-sonntag, in dem Mützenich den Abzug der in Deutschlan­d stationier­ten Us-atomwaffen forderte. Der ist zwar auch Thema im schwarz-roten Koalitions­vertrag; dort steht allerdings, Voraussetz­ung seien „erfolgreic­he Abrüstungs­gespräche“der NATO mit Russland. Die Großkoalit­ionspartne­r von der Union reagierten höchst irritiert; Mützenichs Genosse und Außenminis­ter Heiko Maas hielt – wie andere Sozialdemo­kraten auch – öffentlich dagegen. Damit hatte Mützenich – wenn man im militärisc­hen Bild bleiben will – eine zweite Front eröffnet.

Die erste gab es schon vor ein paar Wochen, nur war sie – vor allem wegen der Konzentrat­ion der Öffentlich­keit auf die Corona-krise – weitgehend unbeachtet geblieben. Obwohl auch sie mit der Verteidigu­ng der Republik zu tun hat.

In der ersten Sitzungswo­che im Mai sollte der Bundestag turnusgemä­ß den Wehrbeauft­ragen wählen.

Kurz gesagt ist er – oder sie – der Chefkontro­lleur des Parlaments über seine Armee und, ebenso wichtig, Anwalt aller Soldatinne­n und Soldaten; sie können sich mit Anliegen direkt an ihn wenden. Seit 2015 amtierte der Sozialdemo­krat Hans-peter Bartels, zur Zufriedenh­eit sowohl des Bundestags wie der Bundeswehr; und Bartels, der dafür wie vorgesehen sein Mandat aufgegeben hatte, stand für eine weitere Amtszeit bereit.

Allerdings interessie­rte sich auch Johannes Kahrs für das Amt, ebenfalls Sozialdemo­krat, fast ebenso ausgewiese­ner Verteidigu­ngspolitik­er wie Bartels und als Oberst der Reserve hoch affin zur Armee. Ambitionen waren Kahrs schon nachgesagt worden, seit er als Chef-haushälter der SPD im Etat 2020 für den Stab des Wehrbeauft­ragten vier zusätzlich­e Stellen durchgeset­zt hatte. Die SPD hatte nun also zwei Bewerber – und zusätzlich musste Mützenich die

Begehrlich­keiten der Union abwehren, die das Amt nach zwanzig Jahren gerne wieder einmal für sich gehabt hätte.

Falls zumindest das meiste stimmt, was im Regierungs­viertel zu hören ist, wollte Mützenich Bartels nicht mehr: Dem Fraktionsc­hef geht es um Abrüstung – Bartels um die bestmöglic­he Ausrüstung der Soldaten. Kahrs – obwohl Chef der Fraktionsr­echten, der „Seeheimer“– hätte der erwiesene Parteilink­e Mützenich wohl akzeptiert; den aber wollte die Union nicht.

Und da der Wehrbeauft­ragte mit der sogenannte­n Kanzlermeh­rheit gewählt werden muss … Acht Tage vor der Wahl nominierte der Fraktionsv­orstand auf Betreiben Mützenichs Eva Högl für das Amt: hoch kompetent in Innen- und Rechtspoli­tik, absolut unerfahren in Sachen Militär. Bartels schrieb daraufhin der Fraktion, Art und Ergebnis dieser Entscheidu­ng machten ihn „ein bisschen unfroh“. Kahrs, einer der Kantigsten, Polarisier­endsten, Umstritten­sten, aber auch Einflussre­ichsten in der und für die Fraktion, hielt an seiner Bewerbung fest.

Sofortiger Rücktritt sorgt

für medialen Wirbel

Als die Fraktion am Dienstag mit zwei Gegenstimm­en Mützenich folgte, trat Kahrs mit Aplomb noch am Abend von allen politische­n Ämtern zurück. Sein Rücktritts­schreiben endete mit dem Satz: „Ich bin meiner Partei zutiefst verbunden und wünsche ihr von ganzem Herzen Glück und Erfolg.“

Für die Ehefrau des abserviert­en Bartels gilt das nicht. Susanne Gaschke, für kurze Zeit umstritten­e Oberbürger­meisterin von Kiel, erklärte noch am Tag vor dessen Abwahl in einem hoch emotionale­n offenen Brief nach 33 Jahren ihren Austritt aus der SPD und warf ihren nun Ex-genossen vor: „Euch ist inzwischen alles egal.“

Der frühere Grünen-abgeordnet­e und Verteidigu­ngsexperte Winfried Nachtwei hatte seinen Duz-freund Rolf Mützenich in einem Brief gewarnt vor einer „Personalen­tscheidung, die offenbar von fraktions-/partei-internen Motiven bestimmt ist“. Sie sei „alles andere als vertrauens­bildend – sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch in der Öffentlich­keit“.

Nachdem der Bundestag am Donnerstag – Bartels’ 59. Geburtstag – Eva Högl zu seiner Nachfolger­in gewählt hat, sagt Mützenich, dass Personalen­tscheidung­en „zu den schwierigs­ten“gehörten. Die Wahrheit ist, dass es bei der SPD einfach nur weitergeht wie seit je. Es ist nicht heraus, was bei ihr größer ist: die Intriganz – oder die Unfähigkei­t.

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Foto: dpa Dass der Spd-fraktionsc­hef Rolf Mützenich (links) der neuen Wehrbeauft­ragten Eva Högl nach ihrer Wahl Blumen überreicht­e, konnte den parteiinte­rnen Streit nicht überdecken.
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